„Das Leben ist anders, aber nicht vorbei“Ibrahim Khaled kämpfte sich zurück ins Leben
Kreis Euskirchen – „Die Ärzte hatten mich abgeschrieben, mir eine nullprozentige Überlebenschance gegeben“, sagt Ibrahim Khaled. Die Diagnose für den damals 21-jährigen Euskirchener: schwerer septischer Schock im Endstadium und multiples Organversagen. Doch Khaled kämpfte, so wie er es auf dem Fußballplatz gelernt hatte. Aufgeben war auch dort nie eine Option für ihn.
Alles geben – das war auch nach der Blutvergiftung die einzige Chance, als sein Leben am seidenen Faden hing. Khaled gewann den wichtigsten Kampf seines Lebens. Auch wenn es seitdem ein völlig anderes ist als zuvor.
Zahlreiche Hauttransplationen und zwei Prothesen
Der heute 28-Jährige hat durch die Krankheit beide Beine verloren, zahlreiche Hauttransplantationen musste er über sich ergehen lassen. Fast ein Jahr lag er im künstlichen Koma. Das Sprechen musste er neu lernen. Was ihm aber blieb, war sein Lebensmut. „Das Leben ist anders, aber nicht vorbei“, sagt Khaled: „Man muss das Beste daraus machen.“ Seit einem Monat absolviert er nun beim Kreis Euskirchen eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten.
„Ich freue mich sehr. Das ist eine Chance für mich. Und ich kann Vorbild für andere sein“, so der ehemalige Marienschüler. Die Bewerbung auf diese Azubistelle sei die erste gewesen, die er geschrieben habe: „Ich habe überlegt zu studieren, habe mich dann aber für die Ausbildung entschieden. Was ich habe, habe ich.“
Markus Ramers: Inklusion und Vielfalt vorleben
Landrat Markus Ramers begrüßt Khaleds Entschluss. „Wir profitieren von den Kompetenzen, von den Erfahrungen und den anderen Blickwinkeln, die nicht 08/15 sind“, sagt der Verwaltungschef. Ihm sei daran gelegen, dass der Kreis Inklusion und Vielfalt nicht nur in Konzepten und Veranstaltungen darstelle, sondern als Arbeitgeber auch vorlebe. „Es ist wichtig, dass wir Menschen Chancen bieten, die sie vielleicht nicht bei jedem Unternehmen in der freien Wirtschaft erhalten“, so der Landrat: „Da haben wir eine Vorbildfunktion.“
Und Khaled hat den Verantwortlichen bereits nach wenigen Tagen die Augen geöffnet. Als erste Station seiner Ausbildung durchläuft der 28-Jährige die Untere Naturschutzbehörde.
Drei Azubis
Ibrahim Khaled ist nach Angaben von Sarah Falk, die beim Kreis Euskirchen die Auszubildenden betreut, einer von drei Schwerbehinderten, die eine Ausbildung in der Kreisverwaltung absolvieren. Insgesamt arbeiten in der Kreisverwaltung 62 schwerbehinderte Menschen und sieben, die ihnen gleichgestellt sind.
Das bedeutet, dass die Mitarbeiter eine Beeinträchtigung von mindestens 30 Prozent haben und einen Antrag gestellt haben, dass sie aufgrund dessen als schwerbehindert gelten. (tom)
Die Abteilung befindet sich im zweiten Stock der Verwaltung und verfügt über keinen barrierefreien Fluchtweg. „Wir merken gerade wieder, wie räumlich beengt wir sind. Wir brauchen dringend den Erweiterungsbau“, stellt Ramers fest: „Viele Abteilungen haben gar nicht den Platz, um Herrn Khaled mit dem Rollstuhl einen vernünftigen Arbeitsplatz bieten zu können.“
Khaled: Lebensmut und starker Wille
Doch der 28-Jährige öffnet mit seiner offenen Art nicht nur Augen, sondern – im wahrsten Sinne des Wortes – auch Türen. „Es sind schon Führungskräfte auf mich zugekommen, die ihr Einzelbüro für Ibrahim abgeben möchten, wenn er sich im Rahmen seiner Ausbildung für die Abteilung interessiert“, sagt Sarah Falk, die beim Kreis die Auszubildenden betreut.
Um 8 Uhr beginnt für den Azubi der Tag in der Verwaltung. 39 Wochenstunden sieht sein Vertrag vor. Ursprünglich hatte Khaled das Ziel, mit 25 Jahren wieder selbstständig laufen zu können. Doch er habe lernen müssen, dass im Leben nicht alles nach Plan läuft „Ich werde das schaffen. Ich werde nach meinen Stunden in der Kreisverwaltung weiter zur Reha fahren.“ Da sind sie wieder: der Lebensmut und der starke Wille.
Persönlicher Assistent Emre Cevik
Nicht zu vergessen der Humor, mit dem er seine Situation meistert. Fragt ihn etwa jemand, ob er immer noch dieselben Prothesen trage, antwortet der 28-Jährige trocken: „Nachwachsen kann da nichts mehr, also Ja.“ Und wie es sich für einen jungen Mann gehört, trägt er moderne Sneaker an den Prothesen. „Ich könnte Geld sparen, wenn ich mir Kinderschuhe kaufen würde, das würde aber aufgrund der Körperrelation komisch aussehen“, scherzt Khaled.
Ende November muss Khaled erstmals zur Berufsschule nach Köln. Dorthin wird ihn sein persönlicher Assistent Emre Cevik begleiten, den der Landschaftsverband Rheinland finanziert. „Die Bedarfe sind im Vorfeld mit der Berufsschule abgeklärt worden. Er wird dort ein ganz normaler Schüler sein“, so Falk.
In der Verwaltung sitzt Khaled an einem speziellen Arbeitsplatz. Das Mauspad lässt sich individuell programmieren, er hat eine Armstütze, die das Arbeiten erleichtert, den PC kann der 28-Jährige über Sprache steuern. Das alles funktioniert ganz gut, auch wenn es für die Kollegen im Büro komisch klingen muss, wenn Khaled „Aufwachen“ sagt – damit aber nicht sie meint, sondern den PC aus dem Stromsparmodus holt.
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Die Furcht, die lange Zeit im Koma könnte Schäden im Gehirn angerichtet haben, hat sich zum Glück als grundlos erwiesen. „Ich bin geistig topfit. Ich spreche immer noch Arabisch, Deutsch, Englisch und Platt – wenn auch noch etwas langsamer“, sagt Khaled und lächelt.