Pfarrer mit Lust am FabulierenWie der Goldzug der Nazis nach Mechernich kam
Mechernich – „Ich bin ein Pfarrer, der gerne erzählt und schreibt“, sagt Michael Stöhr, der unter anderem Seelsorger, promovierter evangelischer Theologe und Klinikpfarrer im Kreiskrankenhaus Mechernich ist. Besonders interessiert ihn dabei stets der Spagat zwischen Glaubwürdigkeit und Fiktion: „Dem Thema Fake News liegt ja fast schon eine philosophische Fragestellung zugrunde“, führt Stöhr aus: „Was ist wahr – und was könnte alles möglich sein?“
Geschichte nach der Flut augfgeschrieben
Mit diesen gegensätzlichen Polen spielt Stöhr auch bei einer Geschichte, die er in den Monaten nach der Flutkatastrophe von 2021 aufgeschrieben hat: Es geht um 300 Tonnen Gold und Kunstschätze, die am Ende des Zweiten Weltkrieges von Waldenburg in Niederschlesien nach Mechernich gelotst wurden. Dort liegen sie in den Stollen des Bleibergwerks verborgen. Nach der Flutkatastrophe werden Teile des Goldzuges von Jugendlichen entdeckt.
„Es gab mehrere Aspekte, darunter auch Teile meiner eigenen Familiengeschichte, die ich in diesem Text miteinander verknüpft habe“, erzählt Stöhr: „Mein Großvater war Polizist in Waldenburg, mein Vater ist dort aufgewachsen“, so der Pfarrer: „In Satzvey habe ich im vergangenen Jahr einen alten Eisenbahnwaggon entdeckt, und als es durch den Starkregen im Juli 2021 im Mechernicher Bergschadensgebiet zu Auswaschungen kam und sich große Löcher im Boden auftaten, da hat es bei mir Klick gemacht und ich habe mit der Geschichte begonnen.“
Mischung aus Dokumentation und Fiktion
Herausgekommen ist nun eine sogenannte Mockumentary, eine im Detail recherchierte Dokumentation, „die den Hörer so anspricht, damit er die Fiktion des Hauptgeschehens innerlich zur Wahrheit wandelt“, wie es Stöhr formuliert.
Versteckter Nazi-Goldschatz?
Gold und Raubkunst
Der Goldzug aus Waldenburg soll ein gepanzerter, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vermisster, Sonderzug sein. Er soll sich in einem Stollen nahe der polnischen Stadt Wałbrzych (Waldenburg) befinden und von den Nazis geraubtes Gold und Kunstschätze transportiert haben. (thw)
Was ist dran am Mythos?
„Die moderne Saga kam erstmals in den 1970er Jahren auf. Es gibt (Stand 2021) keinerlei bekannte Belege, Indizien oder Beweise für die Existenz eines solchen Zuges“, ist im Online-Lexikon Wikipedia zu lesen. Umfangreiche Suchmaßnahmen im Jahr 2015 brachten keine Ergebnisse. (thw)
Dass er großen Spaß daran hat, seine Zuhörer in die Irre zu führen, merkt man sofort, während Stöhr mit einer alten Brille herumspielt. „Ich bin mit dem Komponisten Franz Schubert verwandt“, erzählt der Pfarrer beiläufig und deutet auf die Brille in seinen Händen: „Das ist ein Erbstück.“
Während der Zuhörer eins und eins zusammenzählt und für sich schlussfolgert, dass es sich bei der Lesehilfe also um Schuberts Brille handeln muss, klärt Stöhr den Irrtum bereits mit großer Freude auf: „Und das ist natürlich nicht die Brille des Komponisten.“
Am Ende folgt natürlich die Auflösung
So macht es Stöhr dann letztlich auch in seinem Text „Der Goldzug aus Waldenburg in der Eifel“, den er selbst zu einem Hörbuch weiterentwickelt hat. In der Präsentation wird die Spreu vom Weizen getrennt: Fakt und Fake werden dort kenntlich gemacht.
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„Ich habe die Geschichte selbst eingelesen und dazu in einem Video Fotos von Orten und Personen sowie Musik hinzugefügt“, berichtet Stöhr, der für das Projekt das Pseudonym Michel van den Berg gewählt hat. Mehr als vier Stunden Material sind so entstanden, das er in sechs Teilen auf der Video-Plattform YouTube hochgeladen hat und dort kostenlos abgerufen werden kann.
Am Mittwoch, 26. Oktober, stellt Stöhr in Zusammenarbeit mit dem Mechernicher Besucherbergwerk „Grube Günnersdorf“ sein Hörbuch der Öffentlichkeit vor. Beginn ist um 18 Uhr im Vortragsraum des Museums, der Platz für 80 Personen bietet. Das Museum bietet Getränke an. Eine Platzreservierung ist nicht erforderlich.