Professor Ewald Frie hat im ehemaligen Kuhstall in Kommern aus seinem Buch über seine Kindheit mit elf Geschwistern auf einem Bauernhof gelesen.
LesungProfessor Ewald Frie entführte Lit.Eifel-Publikum auf den Bauernhof der 50er-Jahre
Eine so humorvolle Lesung war auf den ersten Blick ins Programm der Lit.Eifel nicht unbedingt zu erwarten. Immerhin ging es in der Lesung von Professor Dr. Ewald Frie um den Abschied vom bäuerlichen Leben, wie er sich für viele Höfe ab den 1960er-Jahren abzeichnete.
Doch Frie, der als eines von elf Geschwistern auf einem Hof in Nottuln groß geworden ist, erzählte in seinem Buch „Ein Hof und elf Geschwister – Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“ mit viel Witz und Selbstironie, wie seine Familie die Veränderungen in der Landwirtschaft erlebt hatte.
Ein Zuchtbulle mit dem Namen „Wolke zwei“
Moderiert wurde die Lesung von Gisela Steinhauer vom WDR-Hörfunk. Dabei mussten Steinhauer und Frie selbst ständig lachen. Beispielsweise über den Zuchtbullen mit dem lustigen Namen „Wolke zwei“.
Der hatte damals bei einer Tierschau in Frankfurt den Siegerpreis erhalten. Die Reisen zu solchen Veranstaltungen stellten für Landwirte oft die einzige Möglichkeit dar, mal so etwas wie einen Kurzurlaub zu machen, berichtete Frie. Für sein Buch hat er seine Geschwister interviewt und beides geschafft: die treffsichere Darstellung der sozialen Veränderungen, die die Landwirtschaft im 20. Jahrhundert erlebte, und eine anschauliche und unterhaltsame Art der Familien-Biografie.
Landwirtschaft verlor mit Industrialisierung an Ansehen
Frie lenkt in seinem Buch den Blick auf Vorgänge, die den meisten Deutschen kaum bewusst geworden sein dürften: Hatte der Landwirt bis Ende der 1950er-Jahre noch hohes soziales Ansehen, so erlebt er mit fortschreitender Industrialisierung einen stetigen Ansehensverlust. Bauern und ihre Familien blieben sozial bis in die 1960er-Jahre meist unter sich.
Man verheiratete die Töchter mit Kindern anderer Bauern. Kinder werden nebenbei groß. Die Landwirtschaft gewährte auch den Frauen wenig Freiraum für die Kinderbetreuung und schon gar nicht für persönliche Entfaltung. Religiöse Rituale spielen eine große Rolle im Leben der Bauern. „Meine Geschwister erleben das allmählich anders. Waren sie bisher vom Dorf mit seiner Jugend eher isoliert, wollen sie immer mehr dazugehören“, berichtete er.
Ewald Frie wurde Professor für Neuere Geschichte in Tübingen
Frie selbst beschrieb sich als „Fehlbesetzung im bäuerlichen Umfeld“: „Ich konnte lesen und schreiben, bevor ich in die Schule kam. In Haus- und Hofarbeiten war ich nicht gut. Vor Tieren hatte ich Angst. Das einzige, was ich liebte, war Apfelpflücken. Aber das war nur für eine sehr kurze Zeit im Jahr möglich.“
Er wurde Professor für Neuere Geschichte in Tübingen, einer seiner Brüder Apotheker. Bei seinen Interviews mit den Geschwistern habe er erstaunt festgestellt, „dass jedes für sich beansprucht, anders als die anderen zu sein.“
Vater tat sich schwer mit gesellschaftlichem Wandel
Der Wandel der Landwirtschaft habe zu Verlusten geführt. Er erwähnte, dass in einer Umfrage in den 1960er-Jahren jeder Deutsche an fünfter Stelle der Fähigkeiten, die er zu haben glaubte, das Melken angab. Wem würde das heute überhaupt noch einfallen? Verloren gingen auch Fähigkeiten wie Besenbinden, das Wetter zu deuten und Tiere zu beurteilen.
Fries Vater tat sich schwer mit dem Neuen – der Fortschritt machte auch vor den Geschlechterrollen nicht Halt. Vorsichtig fragte er: „Können bei meiner Beerdigung nicht Frauen und Männer noch mal getrennt voneinander sitzen?“
Für sein Buch erhielt Frie den Deutschen Sachbuchpreis 2023. Margareta Ritter, die Vorsitzende des Lit.Eifel-Vereins, freut sich über den starken Besuch im ehemaligen Kuhstall der Familie Weidenfeld in Kommern. Rund 170 Zuhörer waren ins passende Ambiente gekommen und lauschten den Einblicken in eine bäuerliche Welt, die es so heute nicht mehr gibt.