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Mühsamer WiederaufbauDie Menschen im Ahrtal sehnen sich nach dem Frühling

Lesezeit 6 Minuten
Baustellen und Baumaschinen prägen den Anblick des Ortes Schuld an der Ahr.

In Schuld ist der Wiederaufbau in vollem Gang. Dennoch ist das Leben im Ort an der Ahr fast vier Jahre nach der Flut noch recht weit von der Normalität entfernt.

Mancherorts sieht es im Ahrtal noch so aus, als sei die Flut von 2021 erst vor Tagen durch den Ort gerast. Der Wiederaufbau ist mühsam und langwierig.

An vielen Stellen entlang der Ahr klaffen auch fast vier Jahre nach der Flut offene Wunden. Es gibt aber auch Stellen, da ist der Wiederaufbau abgeschlossen. Da erinnert an die Katastrophe nur die Wasserlinie am Nachbarhaus, das sich mehr oder weniger im Zustand vom 14. Juli 2021 befindet. Egal, ob in Dernau, Mayschoß, Altenahr oder Schuld – das Bild entlang der Ahr ist an vielen Orten das gleiche. Es wird noch Jahre dauern, bis dort der Wiederaufbau abgeschlossen ist – wenn er es denn jemals sein wird.

Allein in Schuld stehen nach Angaben von Ortsbürgermeister Helmut Lussi 134 Maßnahmen auf dem Programm – 34 davon werden mit Priorität angegangen. Ein Projekt: der Wiederaufbau des Bürgerhauses inklusive Jugendheim. Ein Grundstück dafür sei ausgewählt, berichtet Lussi im Gespräch mit dieser Zeitung.

In Schuld soll es wieder ein Bürgerhaus geben

Es soll an die Stelle, an der bis zur Flut der Frischemarkt stand. Das Grundstück habe man von der Erbengemeinschaft geschenkt bekommen, berichtet Lussi: „Mit der Auflage, dass wieder ein Dorfladen und Wohnraum entstehen.“ Dennoch sei Platz für das neue Bürgerhaus. Ein Architekt soll nun konkrete Pläne zu Papier bringen. Zudem werde wieder ein Bäcker in Schuld aufmachen. „Das Gebäude stand nun ein Jahr im Rohbau da, weil die Bürokratie zugeschlagen hat. Doch die Hürden sind nun genommen, die Förderung ist zugesagt“, sagt der Bürgermeister.

In der Ahr bei Ahrbrück stehen zwei Pfeiler mit einem Betonbalken darüber. Die Brücke selbst ist verschwunden.

Bei Ahrbrück stehen Brückenpfeiler in der Ahr: Das Bauwerk ist nach der Flut nicht wieder aufgebaut worden.

Am Rand der Ahr ist das Gleisbett zu sehen, im Hintergrund der Ort Dernau mit einem alles überragenden Kran.

In Dernau liegt immerhin schon das Gleisbett. Schienen fehlen entlang der Ahr aber immer noch.

Auch sonst sei die Stimmung im Ort wieder positiv. Das sei nicht immer der Fall gewesen. Teilweise sei ein tiefer Riss innerhalb der Dorfgemeinschaft auszumachen gewesen, sagt Lussi. Nach der Flut hätten alle zusammengehalten, erinnert er sich: „Wir hätten eine tolle Dorfgemeinschaft aufbauen können.“ Doch nach einiger Zeit haben sich Neid und Missgunst breitgemacht: Nachbar X habe ein viel schöneres Haus als vor der Flut, wie das wohl sein könne. Nachbar Y wolle doch nur wiederaufbauen, um das Haus zu vermieten.

Auch bei der öffentlichen Infrastruktur ist der Wiederaufbau zu spüren

Lussi sagt, der Job als ehrenamtlicher Bürgermeister habe ihm immer Spaß gemacht, aber die Debatten machten ihn traurig und wütend. „Sollen die Leute denn ihre alten Hütten wieder aufbauen?“, fragt er dann. Und warum sollten Häuser und Wohnungen nicht vermietet werden? Lussi: „Das bringt uns doch Touristen.“

Mittlerweile seien die Menschen aber wieder deutlich mehr zusammengerückt. Wohl auch, weil nun auch in der öffentlichen Infrastruktur der Wiederaufbau zu spüren und sehen sei. „Es hat sich viel zum Positiven gewandelt“, sagt der Bürgermeister.

In Altenburg ist ein Transparent zu sehen: „Wo bleibt der Hochwasserschutz für die Orte im Ahrtal?“, ist darauf zu lesen. Und: „Keiner weiß, was die Zukunft bringt.“

In Altenburg ist der Wiederaufbau, aber auch der Frust über fehlenden Hochwasserschutz sichtbar. Anlieger verdeutlichen ihre Sorgen und Ängste.

Vor dem Eisenbahntunnel in Altenahr ist eine Baustelle eingerichtet.

In Altenahr wird am Wiederaufbau der Bahn gearbeitet, momentan vor allem im Bereich der Eisenbahntunnel.

Noch mehr von Wein und Tourismus geprägt sind entlang der Ahr andere Orte als Schuld. Nach Angaben der Landesregierung sind 85 Prozent der von der Katastrophe betroffenen touristischen Betriebe inzwischen wiederaufgebaut. Etwa drei Viertel der zuvor verfügbaren Bettenkapazitäten stünden wieder zur Verfügung, sagt der Geschäftsführer des Ahrtal-Tourismus, Andreas Lambeck. Bei den Übernachtungen seien 55 Prozent des Niveaus von vor der Katastrophe wieder erreicht.

Es hat sich viel zum Positiven gewandelt.
Helmut Lussi, Ortsbürgermeister von Schuld

Im Sommer vor fast vier Jahren zerstörte die Flutkatastrophe viele Gebiete des Ahrtals. 135 Menschen starben in der Region, Tausende verloren ihr Zuhause. Gebäude wurden überschwemmt, Brücken weggerissen. Seitdem hat auch der Tourismus zu kämpfen. Bei inhabergeführten Gastbetrieben gehe die Wiedereröffnung oft mit einem Generationenwechsel einher, sagt Lambeck.

Der Wiederaufbau der Bahnstrecke im Ahrtal ist ein Kraftakt

Der Wiederaufbau werde noch viele Jahre dauern. Aber er schreite voran – beispielsweise bei der Bahn oder dem Ahrtalradweg. Derzeit ist der Radweg auf dem Teilstück zwischen Blankenheim und Ahrbrück sowie zwischen Bad Neuenahr-Ahrweiler und Sinzig mit Umleitungen wieder befahrbar. Bei der Bahn wird es noch dauern – ähnlich wie im Kreis Euskirchen, wo lange nicht alles nach Plan gelaufen ist und es immer wieder zu Verzögerungen kommt.

Blick auf ein leerstehendes Restaurant im Ahrtal, darüber eine Burgruine.

In Altenahr ist die frühere touristische Infrastruktur, etwa dieses Restaurant, noch längst nicht wieder komplett hergestellt.

Auf dem völlig zerstörten Abschnitt zwischen Walporzheim und Ahrbrück fand vor zwei Jahren der offizielle Spatenstich für den Wiederaufbau der letzten 14 Kilometer der Ahrstrecke statt. Dort werden die Bauteams 13 neue Brücken bauen, acht Brücken sanieren sowie alle Stützbauwerke und Durchlässe erneuern und Bahndämme in großem Umfang wiederherstellen. Sechs Bahnstationen sowie sechs Weichen, 16 Kilometer Gleise und sieben Bahnübergänge müssen erneuert werden.

19 Hochwasserrückhaltebecken werden entlang der Ahr gebaut

In Dernau beispielsweise liegt immerhin schon das Gleisbett, Schienen sind noch nicht zu sehen. Die sucht man auch in Kreuzberg vergebens. Aber auch dort wird fleißig gebaut. Ein Teil der neuen Eisenbahnbrücke wartet unter einem großen weißen Zelt auf ihren Einbau. Das wird noch einige Zeit dauern, weil die Pfeiler gerade erst Gestalt annehmen. Immerhin ist der Streckenabschnitt von Remagen bis Walporzheim schon wieder in Betrieb.

Entlang der Ahr sollen 19 Hochwasserrückhaltebecken gebaut werden – eine Art Jahrhundertprojekt. Kurzfristigere Hilfe sollen beispielsweise mobile Hochwasserschutzwände bringen, berichtet Blankenheims Bürgermeisterin Jennifer Meuren. Solche Wände seien etwa in Ahrdorf geplant.

Der Winter hier ist schon noch hart. Aber wenn jetzt die Sonne kommt, dann wächst an vielen Stellen wieder buchstäblich Gras über die Katastrophe. Das ist von den Weinhängen immer gut zu sehen – und das tut uns hier allen gut.
Oliver Schell, Winzer aus Rech

„Es sind kleine Dinge, die aber gut für die Seele sind und deutlich schneller gehen“, so die Verwaltungschefin. Zudem sollen für Ahrdorf und Ahrhütte sogenannte Steckbriefe erstellt werden. Auf denen soll festgehalten werden, welche Dinge ohne große bürokratische Hürden umgesetzt werden können und der Sicherheit der Dorfbewohner dienen. „Natürlich würden wir uns alle weniger Bürokratie wünschen – nicht nur beim Wiederaufbau“, so Meuren.

Ein bei der Flut zerstörtes Schrottauto wurde auf einem Holzstamm drapiert.

In Marienthal erinnert ein Schrottauto an die Zerstörungen der Flut.

Zurück ins Ahrtal: „Alles, was von der öffentlichen Hand gemacht wird, dauert sehr lange – auch, weil es viel mehr Planung bedarf und weil viel mehr Institutionen mitreden“, sagt Oliver Schell. Er ist Winzer aus Rech. Das Familienunternehmen feierte ausgerechnet im Jahr der Flut seinen 100. Geburtstag. Bereits wenige Wochen nach der Katastrophe hatte Schell bereits wieder Trauben einlagern und Wein produzieren können.

Vieles wird nachhaltiger und zukunftsorientierter aufgebaut

Vieles werde nach der Flut deutlich nachhaltiger und zukunftsorientierter aufgebaut. Das sei gut und wichtig, aber bremse das Ahrtal derzeit auch aus, so Schell: „Ich hoffe, dass wir hier bald einen neuen Standard haben und das, was wir vielleicht jetzt verlieren, wieder dazugewinnen.“

Er könne aber viele Privatleute verstehen, die der Ist-Zustand „sehr frustriert“. Er selbst sei vor wenigen Tagen noch mal von Rech nach Altenahr gefahren. Eine Tour, die Eindruck hinterlassen hat – auch für jemanden, der in einem der Epizentren der Flut seinen Lebensmittelpunkt hat. „Da bekomme auch ich einen Kloß im Hals. Das ist an vielen Stellen noch so, als sei die Flut erst eine Woche her“, sagt Schell.

Er könne die Gastronomen und Hoteliers verstehen, die sich wünschen, dass alles schneller geht. „Wenn man aus einem vermieteten Zimmer auf eine Bauruine mit Schlamm an der Fassade schaut, dann ist das nicht gerade das Zugpferd für den Tourismus“, so Schell, der selbst mit der Hilfe seitens des Kreises, der Versicherung, aber auch der vielen freiwilligen Helfer zufrieden ist: „Wir konnten glücklicherweise sofort mit dem Wiederaufbau loslegen.“

Dennoch spüre er, dass die Stimmung gerade im gesamten Ahrtal gedrückt sei. Doch Schell hat – wie vermutlich viele Menschen an der Ahr – eine große Hoffnung: auf den Frühling. „Der Winter hier ist schon noch hart. Aber wenn jetzt die Sonne kommt, dann wächst an vielen Stellen wieder buchstäblich Gras über die Katastrophe. Das ist von den Weinhängen immer gut zu sehen – und das tut uns hier allen gut“, sagt Schell.