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207 Menschen
Darum sind Abschiebungen im Kreis Euskirchen oft nur theoretisch möglich

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt einen Mann, der von Polizisten in ein Flugzeug begleitet wird, damit er mithilfe des Flugs abgeschoben werden kann.

Abschiebungen scheitern mitunter auch daran, dass es keine Direktflüge in die Zielländer gibt.

207 Menschen leben im Kreis Euskirchen, die das Land verlassen müssten. Landrat Markus Ramers erklärt die Probleme bei den Abschiebungen.

207 Menschen leben aktuell im Kreis Euskirchen, die eigentlich das Land verlassen müssten. Jedoch sind 132 davon aus humanitären Gründen geduldet, eine Abschiebung ist durch diese Duldung aktuell ausgeschlossen. Über Jahre, manchmal Jahrzehnte werden die Duldungen verlängert – arbeiten dürfen die Menschen in dieser Zeit in Deutschland nicht. Bleiben 75 Menschen im Kreis, die zwar auch eine Duldung haben, aber abgeschoben werden könnten. Theoretisch jedenfalls. Beispielsweise dann, wenn die Identität geklärt ist.

Landrat Markus Ramers erläutert im Gespräch mit dieser Zeitung, wie der Kreis mit diesen Menschen umgeht und wo die Schwierigkeiten bei Abschiebungen liegen. Zuvor hatte sich die FDP im jüngsten Bildungsausschuss des Kreises nach der Zahl der ausreisepflichtigen Menschen im Kreis erkundigt.

Kreis Euskirchen: Viele Abschiebungen nur theoretisch möglich

„Eine Duldung wird häufig dann ausgesprochen, wenn beispielsweise eine schlimmere Krankheit vorliegt, es Kinder sind oder es wegen der familiären Situation gewisse Hemmnisse gibt“, erklärt Ramers. Das sei in 132 Fällen so, bei 75 gebe es grundsätzlich keine Gründe gegen eine Abschiebung. Dass Ramers das Wort „grundsätzlich“ nutzt, lässt auf Probleme schließen.

„In der Praxis stellt sich die Abschiebung als extrem schwierig dar. Und das liegt nicht an Gesetzesgrundlagen“, so Ramers. Es liege auch nicht daran, dass das Ausländeramt im Kreis die Abschiebungen nicht durchführen möchte oder personell dazu nicht in der Lage sei, versichert der Landrat: „Es liegt an extrem vielen anderen Gründen, die wir als zuständige Behörde nicht beeinflussen können.“

Kleine Ausländerbehörden kommen schnell an ihre Grenzen

Ein Problem seien die Flugverbindungen. So gebe es beispielsweise nach Syrien und Afghanistan aus Deutschland keinen Direktflug – was für Abschiebungen allerdings zwingend vorgeschrieben ist. „Als kleine Ausländerbehörde sind wir nicht in der Lage, einen Charterflug zu organisieren, zumal das Ländersache ist“, erklärt Ramers.

Bis ein solcher Charterflug vom Land organisiert sei, müssten die Menschen in Abschiebehaft. Theoretisch jedenfalls. „Dafür gibt es in NRW gar keine richtigen Möglichkeiten. Manchmal gibt es eine Kooperation mit Rheinland-Pfalz. Das ist aber alles nichts, was wir als Behörde selbst organisieren können.“

Große Probleme bereiteten oft nicht geklärte Identitäten. Das jedoch hilft den Menschen, einer Abschiebung zu entgehen – was ihnen laut Ramers durchaus bekannt ist: „Es wirken nicht alle Asylbewerber mit. Es hat sich herumgesprochen, dass es ihnen hilft, wenig Kooperation zu zeigen.“

Auch abgelaufene Pässe verhindern oft die Abschiebung

Ein weiteres Problem: Der Zielstaat stellt keine Passersatzpapiere aus. Hierzu nennt Ramers zahlreiche Beispiele. Etwa den Fall, dass ein Pass eines Asylsuchenden abgelaufen ist. Dann sei doch bekannt, um wen es sich handele. „Trotzdem ist ein Zielstaat dann vermeintlich nicht in der Lage, einen Ersatzpass auszustellen. Die machen das, um Druck in diplomatischen Beziehungen aufzubauen“, so Ramers.

Die Türkei nennt Ramers als Beispiel, „wo wir gerade erhebliche Probleme haben“. Auch mit Marokko gibt es laut Ramers seitens der Bundesregierung „diplomatische Verstimmungen seit 2021“. Das wirke sich auch auf den Kreis Euskirchen aus – indem Marokko per se keine Passersatzpapiere ausstelle. Die Liste der Länder und der unterschiedlichsten Schwierigkeiten, die Ramers herunterbeten könnte, ist lang.

Wenn einer seine Nummer aber nicht nennt, dann kann die Abschiebung nicht erfolgen.
Landrat Markus Ramers zur Abschiebung nach China

In den Iran seien Abschiebungen nur möglich, wenn die betreffende Person eine Freiwilligkeitserklärung unterschreibe. In Guinea gebe es kein Melderegister, sodass Passersatzpapiere dort nur nach vorheriger persönlicher Anhörung ausgestellt werden. „Dazu reist dann eine Delegation aus Guinea nach Deutschland. Der letzte Besuch war vor vier Jahren“, so Ramers.

China stelle Papiere zur Abschiebung nur aus, wenn die 18-stellige ID-Nummer angegeben sei. „Wenn einer seine Nummer aber nicht nennt, dann kann die Abschiebung nicht erfolgen.“ All solche Dinge seien nicht von heute auf morgen zu ändern. Und: „Es bringt unsere kleine Behörde an die Grenzen.“

Forderung nach einer zentralen Behörde für Abschiebungen

Darüber hinaus bezweifelt Ramers, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland bessert, wenn mehr Menschen abgeschoben werden. „Ob es den Zusammenhang gibt, ist fraglich“, sagt er: „Zum Asylrecht gehört aber auch, dass diejenigen, die kein Bleiberecht haben, abgeschoben werden müssen. Nur dann bekommen wir in der Bevölkerung Akzeptanz für die Menschen, die hierbleiben, weil sie unseren Schutz benötigen.“ Die Integrationsbemühungen müssten sich auf diejenigen konzentrieren, „die letztlich dauerhaft bleiben können“.

Unter den 75 Menschen wurde laut Ramers sechs Kirchenasyl gewährt. „Die bleiben so lange da, bis bestimmte Fristen abgelaufen sind“, so Ramers: „Ich schätze unsere Kirchen sehr. Ob man sich als Staat das aber so gefallen lassen muss, dass staatliche Mechanismen nicht gelten, wenn jemand im Schutz der Kirche aufgenommen wird, stelle ich zumindest mal infrage.“

Nicht infrage stellt Ramers, dass Kräfte gebündelt werden müssen. Er hält es für sinnvoll, dass zentrale Behörden die Abschiebungen übernehmen, weil dort Dinge besser organisiert werden können. „Wir stoßen hier im Kreis auf Rahmenbedingungen, die es extrem schwierig machen“, sagt Ramers.

Ramers: Ausländerbehörde arbeitet „sehr gewissenhaft“

Seine Forderung: „Wir müssen natürlich schon bei der Einreise schauen und entsprechende Kontrollen durchführen.“ Die 75 Menschen, die ausreisepflichtig sind und keine humanitären Gründe für die Duldung im Kreis Euskirchen anführen können, halten sich verteilt im Kreis Euskirchen auf. Einer dieser Menschen sitze in Haft.

„Den könnten wir aus der Haft abschieben, aber der Zielstaat kooperiert nicht bei der Ausstellung von Passersatzpapieren. Das kann man keinem erklären, vor allem wenn man bedenkt, dass der Mensch aus der Haft entlassen wird – als Straftäter.“

Die Ausreisepflichtigen müssen laut Ramers regelmäßig im Kreishaus vorstellig werden – auch, um ein mögliches Untertauchen zu verhindern. Mehr als 20 Abschiebungen seien in diesem Jahr durchgeführt worden – teilweise im zweiten oder dritten Versuch. „Natürlich hatten wir auch Fälle, dass jemand versucht, sich der Abschiebung zu entziehen“, sagt er. Abschiebungen durchzusetzen sei, so Ramers, keine angenehme Aufgabe für die Mitarbeitenden im Ausländeramt: „Sie machen es aber sehr gewissenhaft.“

Er fordert, dass sich die Organisation rund um das Thema Asyl verbessert – und sieht in erster Linie den Bund gefordert: „Wir müssen auf Bundesebene Druckmittel besser nutzen und mit Staaten intensiver verhandeln.“ Und: „Wir haben echt viele Baustellen in der Praxis – die liegen nicht im Asylrecht. Wenn man die Zahl der Abschiebungen erhöhen möchte, dann sind da viele diplomatische Bemühungen nötig.“ An schnelle Lösungen glaubt Ramers nicht: „Die ganze Thematik ist ein zähes Geschäft.“


Erstes Einbürgerungsfest im Kreis Euskirchen

Am Freitag, 6. September, feiert der Kreis Euskirchen sein erstes Einbürgerungsfest. 82 Menschen werden nach Angaben der Kreisverwaltung eingebürgert. Landrat Markus Ramers wird den feierlichen Akt durchführen und die Einbürgerungsurkunden aushändigen.

Im Rahmen der Feierlichkeit werden auch die Eide gesprochen und die deutsche Nationalhymne gespielt. Die jetzigen Einbürgerungen in der Kreisverwaltung erfolgen erstmals nach den Regelungen des neuen Staatsangehörigkeitsrechts, das am 27. Juni 2024 in Kraft getreten ist.