Einsamkeit führt zu vielen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Problemen. Die SPD im Kreis Euskirchen fordert eine Einsamkeitsstrategie.
IsolationJeder Siebte im Kreis Euskirchen ist einsam
Etwa jeder siebte Mensch im Kreis Euskirchen ist einsam. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten, das in den Abschlussbericht der Enquete-Kommission des nordrhein-westfälischen Landtags zum Thema Einsamkeit Eingang gefunden hat.
Demnach liegt die Quote im Kreis zwischen 14,2 und 15,1 Prozent – und damit im NRW-Landesschnitt, der laut Gutachten bei 14,47 Prozent liegt. Das ruft die SPD-Kreistagsfraktion auf den Plan. Sie fordert in einem Antrag die Erstellung einer Einsamkeitsstrategie für den Kreis.
Menschen fühlen sich auf dem Land genauso einsam wie in den Städten
„Die Zahlen zeigen deutlich, dass Einsamkeit und soziale Isolation nicht nur ein Thema in Städten sind“, sagt Karl Vermöhlen, Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion im Ausschuss für Soziales und Gesundheit: „Auch ländliche Regionen sind zunehmend davon betroffen.“
Auch sei es falsch, dass Einsamkeit allein alte Menschen betreffe, sagt Kreis-SPD-Vorsitzender Thilo Waasem: „Auch, – aber eben nicht nur.“ Es betreffe junge Menschen, die in der Pandemie aufgewachsen seien; alte Menschen, die allein lebten; Menschen, die einen Bruch in ihrer Biografie erfahren hätten; Menschen, die umzögen, und keinen Anschluss in der neuen Stadt fänden; Menschen, deren Partnerschaft in die Brüche gegangen sei; Alleinerziehende und vor allem auch arme Menschen, denen Teilhabe am meist kostenintensiven gesellschaftlichen Leben nicht möglich sei. Kurzum: „Einsamkeit kann jeden treffen.“
Einsamkeit macht krank
Die Folgen von Einsamkeit seien vielfältig und könnten sich von Person zu Person unterschiedlich äußern, so Vermöhlen. Häufig seien die Symptome aber körperlicher (psychosomatischer) und psychischer Art.
Studien zeigten, dass chronische Einsamkeit die körperliche und seelische Gesundheit auch unmittelbar beeinträchtigen könne. „Menschen, die von Einsamkeit und sozialer Isolation betroffen sind, haben ein erhöhtes Brustkrebsrisiko und ein erhöhtes Vorkommen von Herz-Kreislauf-Problematiken“, so die SPD.
Auch Depressionen und weitere psychische Erkrankungen könnten mit Einsamkeit in Verbindung gebracht werden. Waasem: „Einsamkeit macht krank. Und wenn man bereits krank ist, dann verschlimmert die Einsamkeit jede Krankheit. Deswegen müssen wir uns diesem Thema dringend annehmen.“
Nur präventive Maßnahmen können effektiv helfen
„Effektive und präventive Maßnahmen können daher insbesondere im Gesundheitssystem und im Bereich der Daseinsvorsorge sowie im Sozialbereich angesiedelt werden. Darüber hinaus können auch im Alltag – beispielsweise im Vereinsleben und im Ehrenamt vor Ort – wirksame Maßnahmen etabliert werden“, zeigt Vermöhlen Wege auf, wie der Einsamkeit vor Ort entgegengewirkt werden könne.
Wichtig sei es in jedem Fall, einsame Menschen zu erreichen, wenn sie noch zu erreichen seien, sagt Vermöhlen. Wenn Schnittstellen wie etwa Schule, das Vereinsleben, Jugendtreffs oder ähnliches im Leben der Menschen noch existent seien.
Mit Präventivmaßnahmen könne man dort gut andocken. Fielen diese Schnittstellen weg, wären die Einsamen kaum noch zu erreichen. Vermöhlen: „Einsame Menschen kommen nämlich gesellschaftlich einfach nicht mehr vor. Das sind Gruppen, die man nicht wahrnimmt. Die aber auch nicht auf sich aufmerksam machen.“
Neben den gesundheitlichen Auswirkungen bedinge Einsamkeit auch gesellschaftliche Folgen. „So gehen einsame Menschen mit einer reduzierten Wahrscheinlichkeit wählen“, so die SPD-Kreistagsfraktion.
Aktuelle Studien wiesen zudem darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit unter Jugendlichen und Zustimmung zu Verschwörungserzählungen, autoritären Haltungen und Billigung politischer Gewalt gibt.
Schlüssel gegen Einsamkeit liegt in der gesellschaftlichen Teilhabe
Ein Schlüssel gegen Einsamkeit liege in der gesellschaftlichen Teilhabe. Sie beeinflusse nachweislich die Lebensqualität und die physische und psychische Gesundheit positiv.
„Nicht zu vernachlässigen und von großer Bedeutung ist ebenfalls der Aspekt der Armut“, stellt SPD-Fraktionschef Thilo Waasem fest. Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit oder prekärer Beschäftigung wenig Geld zum Leben hätten, könnten weniger an gesellschaftlicher Teilhabe partizipieren und seien daher besonders häufig von Einsamkeit und sozialer Isolation betroffen.
Auch Kinderarmut führe dazu, dass sich Kinder und Jugendliche, obwohl sie im Schulsystem soziale Kontakte pflegen können, in ihrer Freizeit besonders einsam fühlen, da Unternehmungen mit ihren Freundinnen und Freunden oftmals vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
Durch die Pandemie waren besonders die Kinder benachteiligt
Hier spielen laut dem Bericht der Kommission auch Digitalisierung und Corona eine Rolle: „Kinder im Alter bis zu sieben Jahren mussten insbesondere zu Beginn der Pandemie den Kontakt zu Gleichaltrigen stark reduzieren. 30 Prozent der Eltern von Kindergartenkindern gaben an, dass ihre Kinder einsam waren beziehungsweise stimmten dem eher oder voll und ganz zu, häufiger als in den anderen Altersgruppen.“
Neben den jungen Menschen seien vor allem Ältere betroffen, was für den Kreis Euskirchen mit einem hohen Durchschnittsalter von Bedeutung sein könnte. Gesundheitliche Einschränkungen führten zunehmend zu einem kleineren sozialen Netzwerk.
Verwitwung ist großer Risikofaktor
„Menschen ab 80 Jahren, haben mit größerer Wahrscheinlichkeit als jüngere Kohorten keine Partnerin oder keinen Partner mehr und sind dadurch häufiger vor allem abends allein, sind weniger mobil und haben häufiger gesundheitliche Einschränkungen“, ist dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission zu entnehmen.
Verwitwung könne als großer Risikofaktor für Einsamkeit gelten. „Einsamkeit macht krank, und das wollen wir nicht einfach so hinnehmen“, so Waasem. Der geforderte Strategieprozess solle die Fragen beantworten: Was gibt es im Kreis schon? Wie können wir das vorhandene Angebot stärken und wie ergänzen?
Was kann man gegen Einsamkeit unternehmen? Ein Blick in Nachbarländer lohnt
Gegen Einsamkeit könne so einiges unternommen werden, sagt Thilo Waasem. Zunächst müssten Teilaspekte und betroffene Gruppen identifiziert werden. Dann stehen die Fragen im Fokus: „Wo setze ich mit meinem Hilfsangebot an, und wie erreiche ich Betroffene?“ Gute Maßnahmen müssten dazu nicht immer neu erfunden werden. Manchmal reicht etwa ein Blick in ein Nachbarbundesland.
In Rheinland-Pfalz gibt es seit einiger Zeit etwa einen Einsamkeitsbeauftragten der Landesregierung. Dieser berichtet regelmäßig über die Einsamkeitssituation im Land, schlägt vorbeugende Maßnahmen vor und macht Behandlungsangebote.
Einsamkeitsbeauftragter der Landesregierung Rheinland-Pfalz soll im Kreis Euskirchen unterstützen
Diesen will die SPD auch für ein Expertengespräch in den Kreistag einladen – neben Wohlfahrtsverbänden und Kirchen. Das Expertengespräch soll als Auftakt für den Prozess dienen, an dessen Ende eine fundierte Kreis-Strategie gegen Einsamkeit stehen soll.
Ein weiteres Projekt aus Rheinland-Pfalz ist „Gemeindeschwesterplus“. Ein Angebot an Menschen, die noch keine Pflege brauchen, sondern Unterstützung und Beratung in ihrem aktuellen Lebensabschnitt. Eine Fachkraft besucht Menschen dort nach vorheriger Zustimmung zuhause und berät etwa in Belangen hauswirtschaftlicher Versorgung, Wohnsituation, Hobbys, Mobilität, Kontakte und Teilhabe.
„Denn bei der Pflege geht es nicht nur um die Befriedigung von Grundbedürfnissen, sondern immer auch um menschliche Zuwendung“, sagt Thilo Waasem.
In Skandinavien laufe die Einsamkeitsprävention auch digital, erklärt Karl Vermöhlen. Denn auch Online-Kontakte könnten gegen das Problem helfen. Und gerade in Skandinavien seien die Wege zu anderen Menschen oft einfach zu weit – „quasi Eifel, aber um ein vielfaches potenziert.“ Wenn Nähe im echten Leben nicht möglich sei, helfe auch die digitale Nachbarschaft.
In Nordfrankreich, erklärt Karl Vermöhlen, gehe der Briefträger von Tür zu Tür. Dort aber nicht nur mit dem Auftrag, sich um die Post zu kümmern, sondern auch um die Menschen. Denn im Kleinen habe man so jeden im Blick.
Briefträger schauten dort, ob einzelne Personen zum Beispiel lange keine Post bekommen oder ob Briefkästen überquellen. Falle ihnen dann etwas auf, dann klingeln sie. Vermöhlen: „Das sind alles banale Geschichten, aber gebündelt als Strategie können sie wirklich helfen.“