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GrundsteuerreformGroßer Frust bei Mietern, Eigentümern und Kämmerern im Kreis Euskirchen

Lesezeit 7 Minuten
Ein Blick in die Euskirchener Neustraße mit Häusern, in denen sich sowohl Geschäfte als auch Wohnungen befinden.

Unten Laden, oben Wohnungen: Wie wäre das zu besteuern, wenn es differenzierte Hebesätze gäbe? Solche Fragen beschäftigen die Kämmerer.

Am 1.1.2025 soll die neue Grundsteuer auf Immobilien greifen. Wie das gehen soll, ist den Verantwortlichen im Kreis Euskirchen schleierhaft.

Sind am Ende die Eigenheimbesitzer und Mieter von Wohnungen die großen Verlierer der Grundsteuerreform? Wie es derzeit aussieht, müssen verstärkt sie die Kassen der Rathäuser füllen. Die Eigentümer und Mieter von Gewerbegrundstücken hingegen würden entlastet.

Noch etwas mehr als acht Monate, dann soll die Grundsteuerreform greifen. Wie, das weiß noch niemand so genau.

In den Kämmereien in den Städten und Gemeinden im Kreis Euskirchen ist das Kopfschütteln groß. Den Kommunen sollen durch die Reform keine Verluste entstehen. Schließlich wollen Kitas und Schulen weiterhin betrieben sowie Straßen und Grünanlagen gepflegt werden.

Ich finde das unmöglich. Die Kommunen müssen das ausbaden.
Ralf Claßen, Kämmerer der Stadt Mechernich

So möchte etwa Euskirchens Kämmerer Klaus Schmitz gerne auch 2025 rund 11,6 Millionen Euro an Grundsteuer-B-Einnahmen einplanen. Seine Hellenthaler Kollegin Ramona Hörnchen braucht die etwa 1,8 Millionen Euro ebenso für ihren Haushalt wie der Weilerswister Kämmerer Alexander Eskes die 4,1 Millionen Euro für seinen. „Ich muss 2025 meine Einnahmen aus der Grundsteuer B haben“, meldet sich naturgemäß auch Mechernichs Finanzchef Ralf Claßen zu Wort. Bei ihm geht es um rund 5,6 Millionen Euro.

Doch wenn Gewerbegrundstücke weniger Steuern abwerfen, müssen im Sinne der Aufkommensneutralität folgerichtig Wohngrundstücke mehr einbringen. Dass diese Verschiebung bei den neuen Wertbemessungen herauskommen würde, sei eigentlich wenig überraschend, sagt Kreisstadt-Kämmerer Schmitz: „Es ist von der Systematik her logisch. Die Preise für Wohngebäude sind in den vergangenen Jahren explodiert, während die Preise für Gewerbeimmobilien eher überschaubar gestiegen sind.“ Dennoch habe die große Politik die Auswirkungen auf die Steuern kaum beachtet.

Mietern droht, dass steigende Steuern die Nebenkosten erhöhen

Um diese Verwerfungen ausgleichen zu können, hat NRW-Landesfinanzminister Marcus Optendrenk kürzlich vorgeschlagen, dass die Kommunen zweierlei Hebesätze für die Grundsteuer B erheben könnten: einen für Wohn- und einen für Gewerbegrundstücke. Die Hebesätze werden in den Räten beschlossen, die Verwaltungen müssen sie dann umsetzen.

Dass Optendrenks Vorschlag in den Kämmereien nun Jubelstürme ausgelöst hätte, kann man aber wirklich nicht behaupten. „Ich halte gar nichts davon“, sagt Ralf Claßen. Zum einen würden Gruppen und Kommunen gegeneinander ausgespielt: „Dann besteht die Gefahr, dass Gewerbebetriebe, die keine Produktionsstätten haben, abwandern.“ Zum anderen sei das technisch kaum zu realisieren, so Claßen. Schon gar nicht bis zum 1.1.2025.

Er geht derzeit davon aus, dass in Mechernich die Gewerbegrundstücke ihm künftig nur noch die Hälfte der bisherigen Einnahmen bescheren, was dann Eigenheimbesitzer und Mieter (über die Nebenkosten) ausgleichen müssten.

Kämmerer im Kreis Euskirchen halten wenig von zwei Grundsteuer-B-Sätzen

Doch wie viel genau ist die Hälfte? Welchen Anteil einerseits Wohnungs- und andererseits Gewerbeimmobilien zu den Einnahmen der Kommunen beitragen, wissen die Kämmerer nämlich nicht. Wozu auch? Wer wie viel zu zahlen hat, ist Sache der Finanzämter. Und die Hebesätze gelten dann für alle gleich.

„Es gibt Messbeträge für die Grundsteuer B, die werden mit dem Hebesatz multipliziert, und am Ende kommt der Steuerbetrag heraus“, erklärt Eskes das Einmaleins der Grundsteuern.

Finanzamt findet kein Kriterium, um Wohn- und Gewerbenutzung zu filtern

Laut Finanzamt Schleiden sei aktuell auch kein Kriterium ausfindig zu machen, wonach man zwischen Wohn- und Gewerbenutzung filtern könnte, teilt Ramona Hörnchen mit. Für die von Optendrenk angedachten differenzierten Hebesätze wäre das aber Voraussetzung.

„Wir müssen dann bei allen Objekten festlegen: Wo fängt eine Gewerbeimmobilie an und wo fängt ein Wohnhaus an?“, erläutert Schmitz. Die Finanzämter hätten zwar die Objekte bewertet, aber aus den Grundsteuermessbescheiden, die die Kommunen erhielten, gehe die Nutzungsart nicht hervor.

FDP in Hellenthal fordert einen Sachstandsbericht der Verwaltung

Abgesehen davon, dass die EDV umfangreich umgestellt werden müsste: Wie die Kommunen es schaffen sollen, bis zum Jahresende für jedes Grundstück zu bestimmen, ob es unter Wohn- oder Gewerbenutzung fällt, ist den Fachleuten in den Rathäusern schleierhaft. „Was machen wir denn, wenn sich unten im Haus eine Metzgerei befindet und darüber Wohnungen?“, fragt Claßen.

Wer durch die Euskirchener Fußgängerzone flaniert, kann sich gut vorstellen, wie Claßens Kollege Klaus Schmitz diese Frage beschäftigt: Häuser mit Läden in Parterre, darüber Wohnungen – und das auf mehreren Hundert Metern.

FDP sorgt sich um die Steuerzahler

Die Hellenthaler Verwaltung wurde kürzlich vom FDP-Fraktionsvorsitzenden Peter Rauw gebeten, mal im Ausschuss einen „Sachstandsbericht zur Grundsteuerreform“ abzugeben. Rauw sorgt sich um die Steuerzahler, aber auch um die Finanzen der Gemeinde.

Der Kaller Bürgermeister Hermann-Josef Esser hat erst kürzlich angesichts dieser vielen offenen Fragen seine Zweifel geäußert, dass die Reform, wie geplant, zum 1. Januar 2025 umgesetzt werden kann.

Weilerswister Kämmerer bezweifelt die Rechtmäßigkeit

Auch Ramona Hörnchen in Hellenthal schließt eine Verschiebung auf 2026 nicht aus. Die Bürgerinnen und Bürger bekämen natürlich ihre Bescheide für 2025 – im Zweifel nach dem alten Recht. Auch Klaus Schmitz geht derzeit davon aus, „dass wir auf der Basis der jetzt vorliegenden Messbescheide die Grundsteuer erheben werden“.

Seine Abteilung stelle derzeit die Sachverhalte für den Euskirchener Stadtrat zusammen, damit er spätestens im September oder Oktober über die Hebesätze entscheidet. Die Kreisstadt hat nämlich eine separate Hebesatz-Satzung, losgelöst vom Haushaltsbeschluss, „damit wir das vorher gelöst haben“, so Schmitz.

Alexander Eskes stellt sich zudem die Frage, wie gerichtsfest differenzierte Hebesätze wären. „Man würde ja gleiche Sachverhalte unterschiedlich besteuern“, gibt der Weilerswister Kämmerer zu bedenken.

Er will ebenfalls die Bescheide spätestens im Januar 2025 rausschicken, damit die Steuerzahler bis zur ersten Fälligkeit Mitte Februar Klarheit haben – wohl mit den aktuell gültigen Messbeträgen. „Man kann als Kommune die Hebesätze noch bis zum 30.6. rückwirkend zum 1.1. ändern“, erklärt Eskes. Er hoffe aber, dass er nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen müsse.

Glücklich sind die Leitungen der Finanzabteilungen in den Rathäusern nicht. „Ich finde das unmöglich. Die Kommunen müssen das ausbaden“, sagt Ralf Claßen. Je nach Temperament klingt das bei seinen Kollegen ähnlich.


Mehr als 100.0000 Erklärungen allein im Kreis Euskirchen

Millionen Grundbesitzer in Deutschland mussten 2022 und 2023 eine Grundsteuererklärung abgeben. Im Bereich des Finanzamtes (FA) Euskirchen waren 55 285 Erklärungen fällig, im Bereich des FA Schleiden 49.464. Das geht aus einer Antwort der NRW-Landesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervor.

In Euskirchen hatten bis 7. Dezember 2023 gut 93 Prozent ihre Erklärung abgegeben, in Schleiden 92 Prozent. Das FA Euskirchen hatte bis 7. Dezember aufgrund fehlender Erklärungen 4068 Schätzungen vorgenommen, das Finanzamt Schleiden 3210.

Bis 29. November sind beim FA Euskirchen 2400 Einsprüche gegen die Grundsteuermessbeitragsbescheide eingegangen, somit sind 4,8 Prozent der Bescheide betroffen. In Schleiden waren es 2177 (4,7 Prozent). Von April 2022 bis April 2023 gingen bei der Grundsteuerhotline in Euskirchen 37.686 Anrufe ein, in Schleiden 37.643.

Die Reform war notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2018 die Form der Erhebung für verfassungswidrig erklärt hatte.


Das sagt der „Städtetag NRW“ zu dem Vorschlag der Landesregierung

Laut dem „Städtetag NRW“ geht es bei der Grundsteuer B landesweit um 4,4 Milliarden Euro im Jahr. Durch das Verfahren bei der Reform entstehe eine „systematische Belastungsverschiebung weg von nicht zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken („Nichtwohn-Grundstücke“) und hin zu den zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken („Wohn-Grundstücke“). Künftig würden Wohngrundstücke insgesamt deutlich höher belastet als bislang.

Das muss nicht automatisch jeden Besitzer und Mieter treffen, weil es unter ihnen auch Verschiebungen geben wird, aber als Gruppe würden sie mehr zahlen müssen.

Unterschiedliche Hebesätze für Wohn- und Gewerbegebäude lehnt der Städtetag ab: Damit würde das Land den Eigentümern und Mietern, vor allem von Ein- und Zweifamilienhäusern, Entlastungen in Aussicht stellen, die viele Kommunen nicht rechtzeitig umsetzen könnten. „Ob eine Entlastung erfolgt oder nicht, darf aber nicht davon abhängen, ob die Verwaltungen vor Ort in der Lage sind, dies noch rechtzeitig umzusetzen“, heißt es in einem Schreiben des Städtetags NRW.