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KriseninterventionsdienstIm Notfall kommen auch die Rettungssanitäter für die Seele

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Mitarbeiter des Kriseninterventionsdienstes des DRK im Kreis Euskirchen gehen zu einem Einsatzort.

Wenn etwas Schreckliches geschehen ist, Menschen etwa einen plötzlichen Verlust erlitten haben, leisten die ehrenamtlichen Helfer des Kriseninterventionsdienstes (KID) eine erste psychosoziale Unterstützung.

Das 15-köpfige Team des Kriseninterventionsdienstes im Kreis Euskirchen leistet Unterstützung in seelischen Ausnahmesituationen.

Wenn sie kommen, dann ist Schreckliches geschehen. Doch wenn sie gehen, dann können die Menschen, die davon betroffen sind, in der Regel ein klein bisschen besser mit der Situation umgehen, die sie so unvorbereitet getroffen hat. Tod, Unfälle, Suizide – den Ehrenamtlichen der Krisenintervention (KID) des DRK-Kreisverbands Euskirchen ist nichts fremd. Doch, und das machen sie deutlich: Die Arbeit gibt ihnen viel.

15 Aktive hat die kleine Gruppe, und alle sind ausgebildet für die Situation, in der sie eingesetzt werden. Denn, das betonen sie, sie sind weder Psychologen noch Therapeuten. Sie sind für Extremsituationen und Notlagen da, um dort psychosoziale Unterstützung für Betroffene zu leisten. „Wir unterstützen Menschen, die in eine schwierige Lage gekommen sind, dabei, wieder handlungsfähig zu werden“, formuliert Andrea es etwas griffiger (ihre Nachnamen möchten die Helfer mit Ausnahme von KID-Leiterin Elsa Cäsar nicht nennen). „Wir sind Rettungssanitäter für die Seele“, ergänzt Ludwig.

Vor rund 20 Jahren wurde der KID im Kreis Euskirchen gegründet

Ihr Job ist ähnlich dem der Notfallseelsorger, wie sie zum Beispiel nach der Flutkatastrophe oder jüngst nach dem Attentat in Solingen zum Einsatz gekommen sind. Doch vor rund zwei Jahrzehnten, so berichtet Elsa Cäsar, sei der Versuch, mit den Kirchen im Kreis ein derartiges Angebot zu realisieren, am Personalmangel gescheitert.

Einige Mitglieder des Kriseninterventionsteams im Kreis Euskirchen stehen im Haus des DRK-Kreisverbands vor einem rot-weißen Kunstwerk.

Das Team des KID im Kreis um Leiterin Elsa Cäsar (l.) besteht insgesamt aus 15 Mitgliedern.

Daraufhin erklärte sich der DRK-Kreisverband bereit, die Krisenintervention aufzubauen – nicht religionsgebunden und neutral. Die Ausbildung, sagt Iris, die seit zehn Jahren in der Gruppe aktiv ist, sei die gleiche wie die der Notfallseelsorger. Ein Jahr dauert die, mit rund 180 Stunden inklusive Praktika bei Feuerwehr, Rettungsdienst und mitunter auch Polizei. Seit seiner Gründung wird der KID von der Leitstelle alarmiert.

Meistens gehen die Helfer zu zweit in den Einsatz, berichten sie. Das biete die Möglichkeit, flexibel auf die Situation zu reagieren. Einer kümmere sich vielleicht um die Kinder, der andere geht zu der Person, die möglicherweise etwas aggressiver reagiert. Auch sei es möglich, weitere Kollegen zur Verstärkung zu holen, wenn das notwendig sei, weil zum Beispiel der Einsatz zu groß für zwei ist oder einer aus welchen Gründen auch immer mit der Situation nicht umgehen kann. Denn im Hintergrund sind „Alarmierer“, die ständig telefonisch erreichbar sind und das, was notwendig ist, disponieren können.

Die Helfer wollen Sicherheit in Ausnahmesituationen vermitteln

„Primär sind wir da, um zu stabilisieren“, sagt Ludwig. Sicherheit solle vermittelt werden, soweit das möglich sei. Auch werde informiert, was jetzt eigentlich vor sich geht: „Wir sind in dem Augenblick eine Schnittstelle zwischen den Betroffenen und Polizei oder Feuerwehr.“ Wichtig sei auch, das soziale Netzwerk zu aktivieren, also Freunde und Verwandte zu erreichen.

Und sie bereiten die Menschen auch auf die psychischen Reaktionen vor, die in den folgenden Tagen auftreten und wo sie Hilfe erhalten können. „Das ist ein ganz großes Paket einzelner Dinge, die je nach Situation mal hier wichtiger sind und mal da“, so Ludwig. Doch vor allem sei es wichtig, da zu sein. Zuhören. Empathisch zu sein. Und ganz wichtig: Taschentücher griffbereit haben. Die seien immer in der Tasche.

Die Konfessionslosigkeit sei ein Vorteil. Die Neutralität ermögliche den Menschen, sich ganz anders zu öffnen, sagt Ulrike. Wie bei der Jugendgruppe, als ein Unfall geschah und die Reanimation des Opfers nicht gelang. Da sei bei einem der Jugendlichen der Tod des Vaters wieder hochgekommen, erzählt Elsa.

Eine Umarmung als Dank ist der größte Lohn

Eine zeitliche Begrenzung gibt es bei den KID-Helfern nicht. Sie bleiben so lange, wie die Betroffenen sie brauchen. „Wir gehen, wenn die Leute uns sagen, dass wir gehen können“, sagt Elsa. „Ich habe in den zehn Jahren, in denen ich dabei bin, eigentlich keinen Einsatz unter zwei Stunden gehabt“, sagt Iris.

Manche hat ein traumatisches Erlebnis zum KID gebracht. Andere wieder, wie Iris, wollten etwas für die Gesellschaft tun. „Wenn jeder ein Stück zur Gemeinschaft beiträgt, wird die Welt in Stückchen besser“, sagt sie. Ludwig hat erste Erfahrungen im Hospizdienst gemacht, Ulrike erlebte als Rettungssanitäterin das Love-Parade-Unglück in Duisburg.

Vor allem teamintern werden die Einsätze und die Erlebnisse aufgearbeitet. „Am Tag danach meldet sich die Leitung und fragt, ob etwas übrig geblieben ist“, sagt Oliver. Dazu gebe es einmal im Monat einen Teamabend, an dem die Einsätze besprochen werden. Nicht nur, um die Erlebnisse noch einmal zu verarbeiten, sondern auch, damit die anderen von den im Einsatz gemachten Erfahrungen profitieren könnten. Feedback erhalte das KID-Team dagegen eher selten.

„Wir wissen sofort, ob es ein guter Einsatz war“, sagt Oliver und Ludwig ergänzt: „Wenn die Frau, die ihren Mann zwei Stunden vorher verloren hat, im Anschluss fragt, ob sie mich in den Arm nehmen darf, dann brauchen Sie keine anderen Worte mehr, um zu wissen, dass der Einsatz gut war. Eine wunderbare Arbeit.“


Die Ausbildung

„Das könnte ich nicht.“ Solche und ähnliche Aussagen hören die Mitglieder des KID oft, wenn sie über ihre Arbeit berichten. „Ich glaube das nicht“, erwidert Iris dann. Wer das sage, beweise doch, dass er über die Empathie verfüge, die als Werkzeug benötigt werde. Viele verstehen nicht, wie viel einem die Arbeit bringe.

Sicher sehen die KID-Mitglieder auch schlimme Dinge. Doch daran werde man langsam herangeführt. Darüber hinaus gebe es auch immer die Möglichkeit, einen Einsatz abzulehnen. Aber eine Eigentherapie sei es nicht. „Wenn ich Sachen nicht verarbeitet habe, kann ich den Menschen nicht helfen“, sagt Iris. „Ausprobieren kann es jeder“, sagt Elsa Cäsar, Leiterin des KID. Mit einem Praktikum werde getestet, ob der Interessent ins Team passe, dann werde ein Ausbildungsplatz gesucht. Auch solle der Arbeitgeber informiert werden.

Die Ausbildung, die ein Jahr dauert, sei ausgezeichnet, bestätigen die Mitglieder. „Die habe ich nicht nur für mich gemacht, sondern auch für mich“, sagt Ulrike. Interessenten können sich per E-Mail unter kid@drk-eu.de beim KID melden.