Aufs kollektive Daumendrücken folgte in der 119. Minute auch im Kreis Euskirchen die kollektive Enttäuschung. Am Kreisel in Euskirchen blieb es ruhig.
Ramers schützt PolizeiSo erleben die Fans im Kreis Euskirchen das Aus gegen Spanien
Am Ende war nur noch Enttäuschung. Die Gewissheit schmerzte einfach, dass die deutschen Fußballer trotz großartigem Kampf und Einsatz das Europameisterschaftsspiel gegen Spanien verloren und damit den Einzug in das Halbfinale nicht geschafft hatten.
Dabei hatte alles doch so verheißungsvoll begonnen: „3:1“, so tippte Jürgen Dederichs kurz vor 18 Uhr. Für wen? Kurzes, abfälliges Grunzen: Das ist doch wohl klar. Trotzdem: Etwas nervös sei er schon. Mit seiner Familie hat er sich einen Tisch im Sleidanuseck bei Marga Sajonskowski gesichert. „Zwei Spiele der Deutschen habe ich schon hier gesehen“, sagt er. Beim Rudelgucken könne man Leute treffen, es sei halt nett.
Schleiden: Auch eine angezündete Kerze brachte kein Glück
Rund 50 Fans sind in Schleiden zusammengekommen. Der große Vorteil dabei im bisher regenreichen Sommer 2024 ist sicherlich die große Markise, die bei einigen Spielen schon Zuschauer und Fernsehapparat vor Nässe geschützt hat. „Wir waren hier immer gut besucht, wir können uns nicht beklagen“, sagt Sajonskowski. Um halbwegs kalkulieren zu können, müssen die Fans sich in dem kleinen Biergarten, der auf dem Schleidener Marktplatz liegt, einen Tisch reservieren. „Das ist besser, als wenn die Leute einfach so vorbeikommen“, so die Gastwirtin.
„1990 habe ich alle Vorrundenspiele im Ratskeller gesehen“, beschreibt ein Schleidener seine Erfahrungen im Rudelgucken, der eigentlich gar nichts sagen will, als er den Block in der Hand des Reporters sieht. Dafür erzählt er dann umso mehr: „Public Viewing macht einfach Spaß.“ Eigentlich habe er es gar nicht so mit der Nationalelf, sei mehr der Vereinstyp. Deshalb habe er auch eine Dauerkarte für seinen Lieblingsverein Borussia Mönchengladbach.
Saal Gier in Kall ganz in Fußball geschmückt
Und das Spiel heute? „Ich habe so ein Elfmeterschießengefühl“, sagt er. Die Mannschaft sei gut, Nagelsmann ein kreativer Junge. Die Rückkehr von Kroos habe Stabilität gegeben. Die Spanier hätten aus ihrer Goldenen Zeit das Tikitaka beibehalten, kämen jetzt aber auch mehr über Außen. Nach wenigen gespielten Minuten das erste kollektive Raunen bei der ersten deutschen Chance. Marga Sajonskowski entzündet eine Kerze: „Das hat bisher immer geholfen.“
Der Saal Gier in Kall ist ganz in Fußball geschmückt, doch einige leere Plätze gibt es am Freitag doch. „Der Sané spielt nur Scheiße, aber Wirtz sitzt auf der Bank“, mosert Helmut Schmitz. Er scheint den direkten Draht zur deutschen Trainerbank zu besitzen, denn kurz danach erfolgt genau dieser Wechsel.
Kalls Bürgermeister Hermann-Josef Esser beobachtet das Spiel an der Saaltür stehend. „Traurig. Das ist im Grunde das Endspiel“, sagt er. Dafür kämen dann andere Mannschaften, die im Turnier noch nichts gezeigt hätten, vielleicht ins Finale. Er schaue Fußball gerne mit anderen Leuten. „Hier ist es immer schön“, lobt er. Dann, nach dem Pausenpfiff, fährt er zu einem anderen Public Viewing in seiner Gemeinde, das in Sötenich angeboten wird.
Nach Geschäftsschluss haben sich Petra Heinzen, Uschi Schmeltz und Werner Ley zum Rudelgucken getroffen. „Ich wohne in Mützenich, da wäre ich rechtzeitig zum Ende der zweiten Halbzeit gewesen“, begründet Schmeltz die Lösung. Dabei ist es streng genommen ja Arbeitszeit, denn sie arbeiten bei Intersport in Kall. Arbeitskleidung haben sie auch an: drei verschiedene Nationaltrikots. „Drei Generationen“, betont Ley, auf dessen Brust nur drei Weltmeisterschaftssterne den Bundesadler krönen.
In Hollerath herrscht zunächst gedrückte Stimmung
Auf dem Weg zur nächsten Station schießen die Spanier den Führungstreffer. Entsprechend bedröppelt ist zu diesem Zeitpunkt die Stimmung auf dem Sportfest in Hollerath. Dort ist das traditionelle Bürgermeisterturnier extra auf Sonntag verlegt worden, damit im Rudel Fußball geguckt werden kann. Rund 80 Leute verfolgen das Spiel auf dem Großbildschirm, der tapfer gegen die Blendwirkung der tief stehenden Sonne kämpft.
Je näher das Spielende rückt, desto emotionaler werden die Reaktionen. Alle verfolgen das Spiel, die Damen an der Frittenbude haben nichts zu tun.
Plötzlich der euphorische Aufschrei, als Florian Wirtz kurz vor Schluss doch noch der Ausgleich für die deutsche Mannschaft gelingt. Die Menschen liegen sich in den Armen und feiern. Verlierer ist erst einmal der Fernseher, der auf Stand-by schaltet und per Fernbedienung wieder zum Leben erweckt werden muss.
Dann der Schlag: Als alle schon mit einem Elfmeterschießen rechnen, erzielt Spanien den Siegtreffer. Das war's, so Wolfgang Müller klar. Nach dem Schlusspfiff ist die Enttäuschung groß. „Wenn man die Chancen nicht nutzt, verliert man“, urteilt Gregor Becker. „Das Spiel war klasse, wir hätten es verdient“, resümiert Bernd Schmitz. Natürlich sei er enttäuscht, aber wenn die Mannschaft so spiele, verzeihe Deutschland ihr das Ausscheiden.
Es soll keiner sagen, die Euskirchener Polizei wäre nicht auf den Ansturm der Fans vorbereitet gewesen. Für die mehr als zehn Beamten, unterstützt von Mitarbeitern des Euskirchener Ordnungsamts, wird es aber ein ruhiger Freitagabend. Die spanischen Fans, die den Erfolg in Stuttgart mit einem Hupkonzert in Euskirchen feiern, könnten eine Eins-zu-eins-Betreuung von den Beamten bekommen. Brauchen sie aber nicht, weil alles friedlich bleibt. Einzige Aufregung: ein Bengalo, das unmittelbar vor einem Stadtbus hochgeht und für eine Minute eine rote Nebelwand entfacht.
Uwe Metternich und sein Sohn drücken in Stuttgart die Daumen
Nachdem Uwe Metternich und sein Sohn Luis das Achtelfinale gegen Dänemark während des Abiballs verfolgt hatten, war nun wieder Rudelgucken angesagt. Wie bereits gegen Schottland (in München) und die Schweiz (in Frankfurt) schauten die Sötenicher das Spiel der deutschen Nationalmannschaft auf der Fanmeile des Austragungsorts. Während des Viertelfinales gegen Spanien drückte das Vater-Sohn-Duo der deutschen Elf am Stuttgarter Schloss die Daumen. „Die Stimmung war überragend. Wieder kein Ärger in irgendeiner Form. Einfach top“, so Uwe Metternich.
Wie bereits beim EM-Eröffnungsspiel in München waren auch beim Viertelfinale wieder einige Fans aus dem Kreis Euskirchen in Stuttgart. Gemeinsam stimmte man sich auf das Spiel gegen Spanien ein. „Die anderen hatten Tickets. Luis und ich nicht. Das haben wir nachher auch ganz bewusst gemacht“, so Metternich.
Dass sich der englische Schiedsrichter Anthony Taylor die Szene mit dem spanischen Handspiel in der Verlängerung noch nicht einmal ansah, ist für den Sportlichen Leiter des SV Sötenich „ein Skandal“. „Das war ein glasklares Handspiel“, so Metternich: Mit dem 2:1 der Spanier sei der Stecker gezogen gewesen. Nicht nur auf dem Platz und im Stadion, sondern auch beim Public Viewing. „Die Sache mit der Euphorie war gefühlt sofort beendet“, erzählt der Eifeler: „Wir sind direkt ins Hotel gedackelt und haben uns am Samstagvormittag auf den Weg nach Hause gemacht.“
Alles in allem sei die Vater-Sohn-Tour durch Deutschland einfach überragend gewesen. „Das schweißt auch irgendwie zusammen. Ich kann das allen Vätern nur empfehlen“, sagt Metternich. Und das Drumherum mit Fanmärschen, trinkfesten Schotten und sonstigen EM-Erfahrungen werde er – und auch sein Sohn Luis – wohl nicht mehr vergessen, ist sich Metternich sicher.
Landrat Markus Ramers stellt sich schützend vor die Polizei
Kurz vor dem Deutschland-Spiel gegen Spanien nahm Landrat Markus Ramers Stellung zur Kritik gegenüber der Polizei, die zuletzt auf Sozialen Netzwerken geäußert worden war.
Der Vorwurf: Die Polizei untersage den deutschen Fans das Feiern am Euskirchener Europa-Kreisel, während andere Nationalitäten, beispielsweise die türkischen Fans, ungestört ihre Autokorso-Runden durch den Kreisverkehr drehen dürften. Das sei eine Ungleichbehandlung der deutschen Fans gegenüber anderen Nationen.
Tatsächlich war der Kreisverkehr – anders als bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft – etwa nach dem Achtelfinalerfolg der Türken nicht für Autos gesperrt. Und so wurde beispielsweise bei Facebook der Polizei unter anderem „Versagen“ vorgeworfen.
Das wollte Ramers nicht auf sich und der Behörde, deren Chef er ist, sitzen lassen. „Die Polizei macht keine Unterschiede zwischen den einzelnen Fan-Gruppierungen. Sie arbeitet eng mit dem Ordnungsamt der Stadt Euskirchen zusammen. Bei den Maßnahmen geht es allein darum, Risiken zu minieren und gegebenenfalls Gefahren abzuwehren“, so Ramers auf seinem Instagram-Account.
„Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass da behauptet wird, dass die Polizei eine Versagertruppe sei. Ganz im Ernst: Unsere Polizei sind Menschen, die für unsere Sicherheit Tag für Tag ihren Kopf hinhalten. Sie haben verdient, dass wir ihnen den Rücken stärken“, so Ramers weiter.