Erinnerungen an die Nacht bleibenSo sieht es in Reifferscheid heute nach der Flut aus
Hellenthal-Reifferscheid – Wer nicht genau hinsieht, könnte meinen, die Flut aus dem Sommer sei in Reifferscheid vergessen. Die Schäden an den Straßen sind beseitigt, die Brücke über den Bach hat ein neues Geländer, und auch die Uferbereiche sehen frisch renoviert und gepflegt aus. Doch in den Köpfen der Menschen sieht es anders aus.
„Das kann ich nicht vergessen, es war grauenhaft“, sagt Paul Gülden. Er steht auf der Straße „Im Tal“, die durch den Ort führt. Sein Auto sei in der Nacht weggespült worden. So viele Schäden und auch noch die Todesopfer, die zu beklagen gewesen seien. „Ich war auch halb versoffen“, erzählt er und zeigt auf die Einmündung der Gasse „In den Weiern“. „Da schoss das Wasser 1,20 Meter hoch raus“, ergänzt Nachbar Hans-Werner Eiserfey.
Die Erinnerungen an die Flutnacht bleiben
Er habe versucht, durch das Wasser zu waten und sei einfach weggespült worden, berichtet Gülden. „Ich bin von den zwei Balken des Brunnens auf der anderen Straßenseite aufgefangen worden, das sind meine Lebensretter“, sagt er. Er habe nie für möglich gehalten, dass Wasser so eine Gewalt haben könne. Er sei in Reifferscheid geboren worden, aber so etwas habe er noch nicht erlebt.
Auch für Christopher Vehnor wird die Nacht zum 15. Juli unvergesslich bleiben. „Ich war mit dem Fahrrad unterwegs und habe immer versucht, nach Reifferscheid zurückzukommen, doch es ist mir nicht gelungen“, berichtet er von seinen Erlebnissen während des Hochwassers. Um drei Uhr nachmittags sei er losgefahren, da habe der Netto-Markt in Blumenthal bereits unter Wasser gestanden. Egal, wo er langgefahren sei, das Wasser sei zu tief gewesen, um durchzufahren. „Dabei ist es einfacher, mit einem Rad durch das Wasser zu fahren, weil es im Gegensatz zum Auto eigentlich keine Fläche gibt, an der die Strömung angreifen kann“, erläutert er.
Hilfeschreie durch die Nacht
Die ganze Nacht sei er unterwegs gewesen, um irgendwie nach Hause zu kommen, doch es habe keine Chance gegeben. „Bis halb fünf morgens stand das Wasser zu hoch“, sagt er. Wie es bei ihm zu Hause in Reifferscheid aussah, wusste er nicht. Es sei unmöglich gewesen, Kontakt zu seiner Freundin zu bekommen.
„Es war höllisch knapp“, sagt er. Manchmal kämen die Schrecken der Nacht wieder hoch – vor allem dann, wenn er zwischen Oberhausen und Blumenthal unterwegs sei. „Man hat von überall die Hilfeschreie gehört, das war schlimm, denn man konnte niemand erreichen“, beschreibt er die Situation.
Glimpflich weggekommen sei ihre Familie, berichtet Johanna Schmitz. „Unser Garten wirkte in der Flut wie ein Wellenbrecher“, erzählt sie. Ihr Pferd musste dort allerdings aus dem Wasser gerettet werden, in dem es bis zum Bauch stand. In einer Hütte seien leider drei Puten ertrunken, so erzählt sie. Die Hühner habe sie noch ins Haus holen können.
Tischlerwerkstatt seit Oktober wieder in Betrieb
Immer noch sei der Keller nass, doch das sei nichts Ungewöhnliches. „Wir stellen da nichts mehr rein“, sagt Schmitz. Zwar sei die Gasheizung von dem Hochwasser zerstört worden, doch eine neue solle nicht installiert werden. „Wir haben einen Holzofen, mit dem wir nun heizen“, berichtet sie. Deshalb sei ihre Familie nun damit beschäftigt, genug Holz für den Winter zu machen.
In der Tischlerei Bungard geht es kurz vor Weihnachten nicht anders zu als in anderen Handwerksbetrieben: Die Auslastung ist hoch, mit Hochdruck wird an der Erledigung der Aufträge gearbeitet. Erst seit Oktober kann der Familienbetrieb wieder produzieren. Denn vor etwas mehr als fünf Monaten war die Werkstatthalle leer, alle Maschinen wurden von der Flut zerstört. Jetzt bietet sich dem Besucher ein anderes Bild: Fast alles, was eine moderne Schreinerwerkstatt benötigt, ist wieder vorhanden. Rund 20 Maschinen stehen hier wieder.
Immer noch viele Probleme
Auch wenn sich schon viel getan habe, so bleibe doch immer noch viel zu tun, so Bürgermeister Rudolf Westerburg. Immer noch seien mehrere Wohnungen und Häuser nicht bewohnbar, einige Heizungen liefen noch nicht. Strom und Internet bereite bei den Hausinstallationen Probleme, da Handwerker nur schwer zu bekommen seien. Zu einer großen Hürde hätten sich die Teile-Lieferungen bei den Heizungen entwickelt, sowohl bei Ersatzteilen als auch bei kompletten Anlagen. „Die Zahl der Schwierigkeiten hat sich reduziert, aber die Schwierigkeiten sind die gleichen geblieben“, so Westerburg.
22 Betriebe im Gemeindegebiet hätten Schäden durch die Flutkatastrophe gemeldet. Bei einigen, wie bei der Schreinerei Bungard, sei die Produktion angelaufen, wieder andere wollten gar nicht mehr aufmachen. Viel Arbeit sei zum Beispiel auch bei der Corsten-Jugendhilfe noch zu leisten. Die Einrichtung, die im Liebfrauenhof in Reifferscheid angesiedelt ist, stehe noch still, da das Gebäude schwer beeinträchtigt sei.
Als größeres Problem habe sich in der Gemeinde die Auszahlung der Hilfsgelder erwiesen. „Da stehen noch etliche aus“, so Westerburg. Viele Anträge seien wieder zurückgekommen, weil Kopien von Personalausweisen oder Meldebescheinigungen gefehlt hätten.
Durchweg gut gelaufen seien die freiwilligen Spendenaktionen, wie auch die, die durch die Gemeinde ins Leben gerufen wurde. (sev)
„Wir sind sehr stolz, dass wir das wieder geschafft haben“, sagt Jutta Bungard. Nicht nur der Betrieb sei betroffen gewesen, sondern auch das Erdgeschoss ihres Wohnhauses, in dem ihr Büro gewesen sei. „Das ist alles noch nicht wieder in Ordnung, aber Hauptsache, die Werkstatt läuft wieder“, sagt sie. Siebenstellig sei die Schadenshöhe gewesen, sagt sie.
Nur an der Außenverkleidung der Halle sind die Folgen des Hochwassers noch zu sehen. Die Bleche der Außenverkleidung sind von der Strömung verbogen worden, in den Rillen hängt noch altes Gras. Im Eingangsbereich der Werkstatt empfängt ein massives Holzbrett den Besucher, auf dem der Wasserstand verzeichnet worden ist.
Schreinerei mangelt es nicht an Aufträgen
Nicht nur die Maschinen waren ein Raub der Fluten geworden, sondern praktisch alles, was zur Produktion notwendig ist: jeder Stechbeitel, alle Schrauben und Schraubenzieher. Nur eine der alten Hobelbänke konnte aus dem Schlamm gezogen werden. „Ich suche immer noch viele Sachen, die eigentlich selbstverständlich sind, Umleimer, Lamellos, Korpusverbinder“, sagt Juniorchef Niklas Bungard. Es sei eh schon schwer, das notwendige Material zu bekommen, doch es fehlten immer wieder Dinge, an die er nie gedacht hätte. „Das macht es schwer zu planen“, ergänzt er.
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An Arbeit mangelt es nicht, bis Weihnachten soll die Theke der Schleidener Filiale der Bäckerei Jenniches ausgeliefert sein. „Wir haben mit dieser dann schon drei neue Bäckereien gemacht“, erzählt Jutta Bungard. Sie würden versuchen, Flutopfer vorrangig zu bedienen, die nichts mehr hätten, und dafür andere Aufträge nach hinten zu schieben. „Die meisten haben dafür Verständnis“, habe sie festgestellt.
Die Maschinen zu bekommen, sei schwierig gewesen. „Die meisten davon sind neu“, sagt sie. Kurz nach der Flut habe ihr Mann begonnen, Lieferanten abzutelefonieren und nach Ersatz für die zerstörten Anlagen zu suchen. „Die Händler und Lieferanten haben uns sehr geholfen“, berichtet sie. So sei ein Schreiner von einer Bestellung zurückgetreten, nachdem er erfahren habe, dass die von ihm bestellte Maschine dringend von einem Kollegen im Flutgebiet gebraucht werde. Auch mit zwei gemieteten Anlagen konnten die langen Lieferzeiten überbrückt werden.