900 KilometerEhepaar wanderte aus Pruggern in Österreich zurück nach Euskirchen-Kirchheim

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Ralf und Bettina Schaffrath posieren auf einem Wanderweg für ein Foto. Sie tragen Wandermontur.

Von „Heimat zu Heimat“ legten Ralf und Bettina Schaffrath aus Kirchheim etwa 900 Kilometer zurück.

Die kölsche Hymne „Ich mööch zo Fooß noh Kölle jonn“ hat die Schaffraths inspiriert, von Österreich nach Euskirchen zu wandern.

Angefangen hat alles, als Bettina Schaffrath aus Kirchheim eines nachmittags das Radio einschaltete: Es lief ein Beitrag über eine 70-jährige Kölnerin, die beschlossen hatte, aus der Schweiz zu Fuß die etwa 800 Kilometer in ihre Heimatstadt zurückzulaufen. Das hat Bettina Schaffrath beeindruckt, und in ihr den Wunsch entfacht, es der topfitten 70-Jährigen gleichzutun.

„Ich wollte zo Fooß noh Kölle jonn – wie in diesem Lied“, sagt Schaffrath. Sie meint die kölsche Hymne „Heimweh noh Kölle“. Doch da ihre Heimat nicht Köln, sondern Kirchheim ist, müsse sie den Refrain für sich selbst wohl umdichten, in: „Ich mööch zo Fooß noh Oeskerche jonn.“ Auch einen anderen Startpunkt hat sie sich ausgesucht. Da ihr Mann Ralf Schaffrath und sie ein Haus in Österreich (in Pruggern über dem Ennstal) haben, das Schaffrath ihre „zweite Heimat“ nennt, sollte dies der Startpunkt sein. Von der zweiten in die erste Heimat sind es knapp 900 Kilometer.

Euskirchener Ehepaar war sechs Wochen auf Wanderschaft

Ihr kleines Häuschen in Pruggern verließen Bettina und Ralf Schaffrath am 10. Mai. In Kirchheim angekommen sind sie am Donnerstag, 20. Juni. Dazwischen liegen sechs Wochen Wanderschaft durch das Salzkammergut mit seinen malerischen Seen, durch dichten hessischen Wald und auch einige rheinische Industriegebiete – alles mit einem vollgepackten, zehn Kilo schweren Rucksack.

Bettina und Ralf Schaffrath sitzen auf einer Bank vor einem See.

In der Natur pausierten die Kirchheimer am liebsten.

Bettina und Ralf Schaffrath tragen Regencapes und küssen sich.

Nach jedem Streit über die Navigation hat das Ehepaar sich vertragen

Der habe schon ab und zu die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sagt Bettina Schaffrath. Ein Mann etwa habe das Reisegepäck bemerkt und sich kurzerhand entschlossen, das Kirchheimer Ehepaar für eine Weile zu begleiten. „Sowas passiert leider viel zu selten“, sagt Ralf Schaffrath. „Mikroabenteuer“ nennt Bettina Schaffrath solche Begegnungen. Das seien für sie im Wesentlichen all die Dinge, die anders liefen als erwartet.

Immer wenn auf einer Wanderung das Wohlbefinden durch äußere Umstände beeinträchtigt wird, ist das für mich ein Highlight.
Bettina Schaffrath, Wandererin aus Kirchheim

Das könne etwa sein, dass man begleitet werde, aber auch, dass der gewählte Weg plötzlich ende. Oder dass die Wiese überschwemmt werde und man einen ganzen Tag in nassen Schuhen herumlaufe, dass man sich mit kurzen Hosen durch Brennnesseln und Sträucher schlagen müsse, und dass man morgens noch nicht weiß, was man abends zu Essen bekommen wird. Sie liebt das Unbequeme: „Immer wenn auf einer Wanderung das Wohlbefinden durch äußere Umstände beeinträchtigt wird, ist das für mich ein Highlight“, sagt sie. Und: „Wir sind ja keine Pauschalreisenden.“

Schon immer hat die Kirchheimer Familie gern „Mikroabenteuer“ erlebt

Schon mit den Kindern seien sie lieber auf Berghütten ohne Strom gefahren als in einen All-inclusive-Urlaub am Strand. Auch deswegen scheint Bettina Schaffrath sich besonders gut an ihre Übernachtungs-Abenteuer zu erinnern. Mal schliefen die Kirchheimer in kleinen Holzfässern, die an Hobbithöhlen erinnern, mal in einem gruseligen ehemaligen Krankenhaus, mal auf einem heruntergekommenen Bauernhof: „Die Bäuerin, von unschätzbarem Alter, trug Arbeitskleidung und roten Lippenstift. Sie lief, oder vielleicht sollte ich besser sagen kroch – so gebückt ging sie – vor uns die Treppe hinauf“, erinnert Schaffrath sich. Dabei leuchten ihre Augen so, dass man selbst Lust auf ein Mikroabenteuer bekommt.

Eine Ansammlung von Holzfässern, die als Unterkunnft dienen, stehen in einem Garten.

In diesen „Fässern“ haben die Schaffraths in einer Nacht geschlafen, in der nächsten in einem gruseligen, ehemaligen Krankenhaus.

Oben angekommen habe die Bäuerin ihren Gästen ein staubiges, von Spinnweben durchzogenes Zimmer gezeigt. „Und dann – sie war wohl vom Treppenlaufen müde geworden – ließ sie sich mit ihren Stallklamotten auf unseren Betten nieder.“ Bettina Schaffrath lacht: „Die war eigentlich ganz lieb, irgendwie sympathisch, aber auch merkwürdig.“

Ein Kontrastprogramm erlebten die Kirchheimer dann in einem Hotel im Industriegebiet. „Da lief alles online.“ In der Empfangshalle gab es nur Bildschirme. „Es gab gar keinen Menschenkontakt.“ Doch als die Schaffraths ihr Zimmer bezogen, bemerkten sie, dass die Wände des Hotels sehr dünn waren. So dünn, dass sie alles hörten, was ihre Nachbarn taten. Das war Bettina Schaffrath dann doch zu viel des Menschenkontakts.

Die letzten Tage waren auch ein Kampf gegen die Schmerzen

Doch neben den willkommenen Unbequemlichkeiten und beeindruckender Natur (Ralf Schaffrath: „Deutschland ist so wunderschön, wir vergessen das manchmal!“) gab es auch Streit und ein paar Blessuren. Das bleibe bei so einer Wanderung eben nicht aus, meint Bettina Schaffrath. Den ganzen Tag sei man zusammen. Jeder wisse besser als der andere, wo es langgehe. Einer gehe immer schneller als der andere. Die Sonne scheint, man spürt die Erschöpfung in den Beinen: Da schreie man sich auch schon einmal an und habe eine Weile gar keine Lust mehr auf den anderen. Das Vertragen nach so einem Streit sei auf einer Wanderung aber wichtig.

Bis Kilometer 300, sagt sie außerdem, sei sie komplett blasenfrei gelaufen. Doch dann ging es los: „Bald hatte ich Blasen an jedem einzelnen Zeh.“ Und auch Ralf Schaffrath hatte zu kämpfen. Sein künstliches Hüftgelenk bereitete ihm besonders in den letzten drei Tagen der Wanderung solche Schmerzen, dass er überlegte, auf den letzten Kilometern die Tour abzubrechen.

Doch darüber, dass er das nicht tat, ist er heute froh, denn nur so konnte er den „magischen Moment“ erleben, in dem die Schaffraths über den vertrauten Kirchheimer Hügel nach Hause kamen. „Unser Hund und unser Sohn kamen uns entgegengelaufen“, sagt Schaffrath. Und im Garten wateten schon alle Nachbarn und Freunde auf sie.

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