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Marien-HospitalIn Euskirchener Klinik werden die Bewegungen der Pflegefachkräfte analysiert

Lesezeit 6 Minuten
Ein Mitarbeiter in weißer Kleidung steht auf einem Krankenhausflur. An Kopf und Armen trägt er Sensoren. Ein anderer Mann an einem Laptop beobachtet ihn.

Begleitet und beobachtet werden die Pflegefachkräfte wie Sefer Koni während der Arbeit von Experte Michael Gissinger.

Die Datengewinnung dient in erste Linie dazu, mit sinnvollen Maßnahmen zur Entlastung der Mitarbeitenden des Euskirchener Krankenhauses beizutragen.

Im Marien-Hospital Euskirchen wird nicht die Fortsetzung von Avatar gedreht, aber ein Hauch von Kino weht dann schon über den Flur der Station 2b. Pflegefachkraft Sefer Koni hat Sensoren an den Füßen, an der Hüfte, den Knien, an den Handgelenken und am Kopf. Die Sender spiegeln jede Bewegung auf einen Laptop, der wiederum die Belastungen der Gelenke aufzeichnen. Mit diesem Motion-Capture-System, das Michael Gissinger, Geschäftsführer von Spinebase, nutzt, wird die alltägliche Belastung ermittelt. Und dieses System ist genau so in dem erfolgreichen Film zum Einsatz gekommen.

Die Arbeit in der Klinik ist anstrengend und fordernd – geistig und körperlich. Die körperliche Belastung reicht etwa vom Sortieren von Spritzen bis zum Verlagern eines übergewichtigen Notfallpatienten auf eine andere Liege.

Arbeitsalltag in Euskirchener Neurologie unter der Lupe

Gissinger ist als Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement im Marien-Hospital – und das nicht zum ersten Mal. Im September 2023 war der Gründer von Spinebase erstmals im Krankenhaus – damals in der Notfallambulanz. Dort nahm er, wie jetzt in der Neurologie auf Station 2b, die Mitarbeiter und deren Arbeitsalltag unter die Lupe.

„Wir haben die Belastungen bei den ganz alltäglichen Bewegungen während der Arbeit gemessen“, erklärt Gissinger. Das fange bei einer Ganganalyse an und ende mit einer Livemessung der Belastungen – beim Umbetten, dem Aufziehen einer Spritze oder der Zubereitung des Kaffees für die Patienten. So geht auch Koni seinem ganz normalen Alltag auf Station nach – verfolgt von Gissinger, der einen Laptop auf dem Arm trägt. Trotz der Sensoren arbeitet die Pflegekraft ganz normal. Er fühle sich überhaupt nicht als Versuchskaninchen, sagt Koni: „Es soll uns ja helfen und für uns gut sein.“

Auf einem Laptopmonitor sind Grafiken zu den Bewegungsabläufen der Pflegekraft zu sehen.

Jede Bewegung, jede Belastung wird auf dem Computer sofort abgebildet und aufgezeichnet.

„Das Projekt war deutschlandweit vielleicht einzigartig“, sagt Dr. Jesko Priewe, Chef der Zentralen Notaufnahme im Euskirchener Marien-Hospital. Die Hoffnung auf wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie die körperlichen Belastungen im Alltag in der Notaufnahme reduziert werden können, erfüllte sich für Priewe. Unter anderem wurden neue Auflagen für Liegen angeschafft, mit denen Patienten wesentlich leichter und weniger belastend für den Körper umgebettet werden können.

Zudem ist denkbar, dass die Liegen ein fünftes Rad bekommen – in der Mitte. „Dadurch lässt sich die Liege einfacher lenken und schieben“, erklärt Gissinger. Ein fünftes Rad am Wagen sei nicht immer schlecht. Zudem sollen die Liegen hydraulisch in der Höhe verstellbar werden, damit nicht immer mit einem Bein „gepumpt“ werden müsse. „Die Resonanz war überragend. Die Mitarbeiter haben gemerkt, dass wir etwas für sie und ihren Alltag machen“, so Gissinger.

Erste Analyse in der Euskirchener Notaufnahme durchgeführt

Tatsächlich beschränkt sich die Analyse nicht mehr nur auf die Notaufnahme. Die Arbeit dort ist abgeschlossen – zumindest für Spinebase. Für die Mitarbeiter noch lange nicht. „Bis man auch in Stresssituationen nicht wieder in alte Gewohnheiten verfällt, dauert es teilweise Jahre“, sagt der Gesundheitsexperte: „Ein Patient liegt auf einer Liege, bekommt ein EKG gemacht und Blut abgenommen. Die komplette Aufnahme. Die Pflegekraft ist etwa 15 Minuten beschäftigt und arbeitet die allermeiste Zeit nach vorne gebeugt. Das Einfachste, was die Pflegekraft machen kann, ist die Liege auf eine körperschonende Höhe einzustellen. Oft macht man einfache Dinge nicht, weil man betriebsblind ist.“

Gerade in solchen Fällen sei die Messung sinnvoll, weil sich anschaulich darstellen lasse – auch mithilfe des Avatars –, welche Auswirkungen die täglichen Belastungen auf den Körper haben. „Die Schaffung dieses Bewusstseins, verbunden mit den nachgelagerten Maßnahmen zur Entlastung der Kolleginnen und Kollegen, war zentrales Ziel des Projekts“, erklärt Priewe.

Nahaufnahme der Sensoren, die bei der Pflegekraft an Armen und Beinen befestigt wurden.

Zur Kalibrierung der Sensoren muss Sefer Koni einfach nur nur den Krankenhausflur entlanggehen.

Das Feedback in der Zentralen Notaufnahme sei sehr positiv gewesen, so Priewe. Die an Armen, Beinen, Körper und Kopf befestigten Sensoren und die permanente Begleitung durch einen Spinebase-Mitarbeiter während der Messphasen seien bei der Arbeit weder als störend noch einschränkend empfunden worden, so Priewe.

Und auch Koni macht während der Messung das, was er immer macht. Das wiederum sorgt bei Gissinger mitunter für Kopfschütteln. So trägt Koni einen Kasten Wasser den ganzen Flur hinunter, anstatt ihn auf dem Schiebewagen stehen zu lassen und ihn mit deutlich weniger Energie einfach den Flur hinunterzufahren. „Das mache ich schon mal anstatt Training“, sagt Koni.

Bis man auch in Stresssituationen nicht wieder in alte Gewohnheiten verfällt, dauert es teilweise Jahre.
Gesundheitsexperte Michael Gissinger

Dem wiederum kann Gissinger nur zustimmen. Viele Belastungen seien auch eine Kopfsache. Wer Arbeitsabläufe als Training verstehe, sei nach dem Dienst oft nicht so erschöpft. Allerdings bleibe die körperliche Belastung dieselbe.

Ein weiteres Mal schüttelt Gissinger mit dem Kopf, als Koni die x-te Tasse mit heißem Wasser auffüllt. Der Behälter mit dem Wasser steht unter und nicht auf dem Schiebewagen. „Das geht wesentlich einfacher. Das hat auch nichts mit Training zu tun“, sagt er augenzwinkernd. Bei vielen Arbeitsabläufen habe sich Routine eingeschlichen, die nicht hinterfragt werde. Die Routine, die mitunter körperlich belastend sei, werde durch die Messungen schonungslos offengelegt.

Nur mit gutem Arbeitsmaterial kann man Fachkräfte binden

Und teilweise kommen dabei überraschende Zahlen ans Licht. So lege eine Mitarbeiterin der Zentralen Notaufnahme während der Schicht allein im Schockraum – der ist nur ein wenig größer als ein normales Schlafzimmer – schnell mal mehrere Kilometer zurück, berichtet Gissinger.

Und wie hat das Marien-Hospital reagiert? Schließlich dürften neue Liegen und andere moderne Infrastruktur nicht gerade günstig sein. „Was kostet ein kranker Mitarbeiter, der wegen Rückenproblemen langfristig ausfällt?“, lautet die Gegenfrage des Spinebase-Geschäftsführers: „Wenn ich gutes, erfahrenes Personal haben will, dann muss ich sehen, dass ich es halte. Und das mache ich nicht damit, indem ich einmal am Tag den Obstkorb im Sozialraum austausche, sondern ich benötige auch gutes Arbeitsmaterial.“ Mit solchen Punkten könne sich ein Unternehmen dann tatsächlich von der Konkurrenz abheben.

Das hat man offenbar auch im Marien-Hospital erkannt. Denn neben der Zentralen Notaufnahme und der Neurologie auf Station 2b samt ihrer Stroke Unit (siehe „Geringe Sterberate“) werden auch die Mitarbeitenden der Intensivstation und des Transportwesens von Spinebase unter die Lupe genommen. Was das Projekt das Marien-Hospital kostet, verrät die Geschäftsleitung indes nicht.


Stroke Unit erneut zertifiziert

Im vergangenen Jahr wurden auf der Neurologie-Station des Marien-Hospitals in Euskirchen nach Angaben von Chefarzt Dr. Hartmut Bauer etwa 1100 Patienten behandelt – die meisten von ihnen mit der Diagnose Schlaganfall.

Als er 2006 in Euskirchen angefangen habe, seien es im Jahr etwa 300 Schlaganfallpatienten pro Jahr gewesen. In die Neurologie am Marien-Hospital ist die Stroke Unit integriert. Das sind spezialisierte Abteilungen zur optimalen Diagnose und Therapie von Schlaganfällen und somit erste Anlaufstelle im Kreis.

Die Stroke Unit ist laut Bauer erneut zertifiziert worden und umfasst zehn Betten. „Die gesamte Station hat eine große Bedeutung in der Notfallversorgung – für das Haus, aber auch für die gesamte Region“, sagt Wolfgang Schneider, Geschäftsführer des Marien-Hospitals. Das Portfolio der Abteilung erreiche universitäre Standards, so Schneider.

Stolz ist man im Marien-Hospital auf die geringe Sterberate in der Neurologie. Laut Chefarzt Bauer verlassen knapp 96 Prozent aller Patienten die Station lebend. Die Sterberate von 4,2 Prozent in Euskirchen liege unter dem landesweiten Durchschnitt. Auf Kürzungen in der aktuellen Krankenhausplanung muss sich das Marien-Hospital in diesem Bereich nach Angaben der Geschäftsleitung nicht einstellen. Stattdessen wird das Portfolio ausgebaut. In der Neurologie wird laut Bauer gerade wieder ein Bereich für die Früh-Reha aufgebaut.