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PflegenotstandSo findet das Zülpicher Unternehmen Marienborn Azubis in aller Welt

Lesezeit 5 Minuten
Zwei Männer und eine Frau diskutieren bei einer Podiumsveranstaltung.

Seit zehn Monaten macht Rosariya Maria Bose aus Indien eine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Uwe Beu (M.) von der Marienborn gGmbH kümmert sich ums Auslandsrecruiting. Mit Moderator Sebastian Tittelbach sprachen sie über ihre Arbeit.

Die Anwerbung von Pflegefachkräften im Ausland wird beim Kreis Euskirchen geplant und im Zülpicher Unternehmen Marienborn schon umgesetzt.

Fachkräftemangel. Arbeitskräftemangel. Personalmangel. Pflegenotstand. Was ist nicht schon darüber debattiert und geschrieben worden. Auf das Thema hat Landrat Markus Ramers gleich zu Beginn des Jahres den Fokus für 2023 im Kreis gelegt. Es wird die Menschen weit darüber hinaus beschäftigen. Dass es auch das dominierende Thema beim Sommerempfang des Landrats und dessen Talkrunden am Freitag im Kreishaus-Innenhof sein sollte, überraschte also wenig.

„Die wichtigste Ressource sind die Menschen“ sagt Ramers gleich zu Beginn. Um mit Zahlen aus dem Bildungsbericht die Dringlichkeit zu unterstreichen: Die Altersgruppe der heute 15- bis 25-Jährigen deckt gerade einmal 70 Prozent der 55- bis 65-Jährigen ab, die in absehbarer Zeit aus dem Berufsleben ausscheiden.

Ein Mann und eine Frau mit einem Mikrofon in der Hand reden auf einer Podiumsveranstaltung miteinander.

Sprach über die Pläne des Kreises: Birgit Wonneberger-Wrede.

Birgit Wonneberger-Wrede, Geschäftsbereichsleiterin Gesundheit und Soziales im Kreishaus, skizziert eindringlich das sich abzeichnende Defizit: 1330 Pflegekräfte werden ihr zufolge im Kreis bis 2040 zusätzlich gebraucht. Und zwölf weitere Altenheime mit je 80 Plätzen. Das nur in der Altenpflege. Die Krankenpflege ist da noch gar nicht mit einberechnet.

„Ohne neue Pflegekräfte bricht das System im Kreis Euskirchen zusammen“

Und wenn die Pflegekräfte nicht da sind? „Dann bricht das System zusammen.“ Rumms. Das sitzt. Und sie legt gleich nach: „Mit kleinen Aktionen kann man das nicht wuppen.“ Mit hübschen Flyern vielleicht mal zwei Kräfte gewinnen, sei da bestenfalls der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Also soll’s ein großer Aufschlag werden im Kreis: Die potenziellen Arbeitgeber benennen ihren Bedarf, mithilfe einer Agentur werden die Pflegekräfte im Ausland angeworben. Klingt simpel, ist es natürlich nicht. Inzwischen ist man so weit, dass an diesem Montag ein spannender Tag für Wonneberger-Wrede sein dürfte, da der Kreis und die interessierten Arbeitgeber zwei potenzielle Agenturen in Augenschein nehmen und im Idealfall Eckpunkte für Verträge festgelegt werden.

Es dauert etwa ein Jahr, bis jemand hier in Deutschland ist
Birgit Wonneberger-Wrede, Geschäftsbereichsleiterin bei der Kreisverwaltung Euskirchen

Wenn dann die Verträge mal fixiert sind, sitzen ausgebildete Lösungen für das Pflegedilemma im Kreis quasi schon im Flieger? Mitnichten. Das Bürokratiemonster lugt gleich mal hämisch grinsend um die Ecke. „Es dauert etwa ein Jahr, bis jemand hier in Deutschland ist“, sagt Wonneberger-Wrede. Das Sprachniveau B1 müssen die Kandidaten zuerst in ihrem Heimatland erwerben. Die zu erledigenden Formalitäten reichen weit über die Prüfung von Zeugnissen und die Einreisedokumente hinaus. „Das ist Bürokratismus pur“, sagt Wonneberg-Wrede.

Anwerbung von Pflegekräften im Ausland ist langwierig und teuer

Und es ist alles andere als günstig. 14.000 bis 15.000 Euro nennt sie als einen Mittelwert, was eine solche Anwerbung kostet. Für eine Person. Je nach Land etwas mehr oder weniger. Und je nach aktuellen Preisen für die Flugtickets kann’s auch mal ein Tausender rauf oder runter sein.

Immerhin: Der Kreistag hat das Geld für eine volle Kümmerer-Stelle freigegeben. Da sind zwar noch abschließende Gespräche zu führen, doch Wonneberger-Wrede ist optimistisch, für diesen Job bald jemanden vorstellen zu können. Und an Ideen mangelt es ihr offenbar auch nicht: Ein zweites Großprojekt hat sie bereits im Auge. Doch darüber reden mag sie noch nicht – erst mal das eine in trockene Tücher bringen.

Einen großen Schritt weiter ist da schon die Marienborn gGmbh aus Zülpich mit ihren rund 2000 Mitarbeitern in den Standorten in Zülpich und Nettersheim im Kreis sowie zahlreichen darüber hinaus, etwa in Köln und im Rhein-Erft-Kreis.

Zülpich: Marienborn gGmbH setzt auf die Ausbildung in Deutschland

Seit mehr als einem Jahr kümmert Uwe Beu sich dort um das Auslandsrecruiting. Ja, auch Marienborn wolle sich am Kreis-Projekt beteiligen und habe Bedarf an ausgebildeten Pflegekräften angemeldet. Doch noch stärker setzt man auf Auszubildende, die dann gleich im deutschen Pflegesystem ihren Beruf erlernen.

Vom Bürokratismus kann auch er ein Liedchen singen: Dinge wie Wohnungssuche, Konto einrichten, Krankenkasse und Sozialversicherung beantragen – was die Arbeitgeber alles vor der Einreise der neuen Kollegen von Deutschland aus übernehmen – kommen ja noch obendrauf. Doch bei Marienborn sind inzwischen 40 Auszubildende aus dem Ausland angekommen: aus Indien etwa, aus Kamerun, Marokko, Madagaskar, der Türkei.

Ich fühle mich hier in Deutschland sehr willkommen
Rosaniya Maria Bose, Pflegeschülerin der Marienborn gGmbh

Eine von ihnen ist die 20-jährige Rosaniya Maria Bose. Vor knapp einem Jahr ist sie mit viel Herzklopfen und der Freude, ein neues Land und eine neue Kultur kennenzulernen, von Indien nach Deutschland gekommen. Seitdem ist sie Auszubildende zur Pflegefachkraft in einer Marienborn-Altenpflegeeinrichtung in Bornheim. „Ich fühle mich sehr willkommen“, sagt sie. Und gibt zu: Am Anfang sei es mit der Sprache nicht so leicht gewesen, obwohl sie mit einem B2-Diplom nach Deutschland gekommen ist.

Bewohner und Kollegen unterstützen beim Sprachtraining

Doch dank der Bewohner und der Kollegen klappe auch das immer besser. Warum sie sich für Deutschland entscheiden hat? „Es gibt viel mehr Möglichkeiten als in anderen Ländern.“ In ihrer Heimat gebe es keine vergleichbare Ausbildung, nur ein vierjähriges Studium. Und ein Faktor darf nicht unterschlagen werden: „Hier gibt es ein Gehalt. Damit kann man selbstständig leben.“

Einig sind sich Beu und Wonneberger-Wrede, dass die Willkommenskultur eine entscheidende Rolle in derartigen Projekten spielt – etwas, das im Kreis-Projekt neben den Arbeitgebern auch ins Ressort des Kümmerers fallen soll. „Nach Frankfurt zum Flughafen fahren und mit Fähnchen eine Gruppe abholen reicht da nicht“, formuliert es Wonneberger-Wrede.

Uwe Beu: „Es ist nicht jeder für die Pflege geeignet“

Die zu erfüllende Bandbreite reiche von Ansprechpartnern bei Sorgen hin zu Stammtischen sowie Whatsapp-Gruppen – und sei beim Kennenlernen der neuen Heimat und der Integration in all ihren Facetten längst nicht beendet. „Es ist eine Heidenarbeit“, sagt Beu: „Aber sie lohnt sich, wenn man sieht, wie toll sie sich entwickeln.“ Dass die Pflegeeinrichtungen jede Hilfe brauchen können, unterstreicht er.

Doch auch wenn die Not groß ist und Beu zufolge inzwischen Abwerbeprämien für Pflegekräfte gezahlt werden, gibt er zwei Dinge zu bedenken: „Kräfte aus dem Ausland können nur eine Teillösung sein.“ Und: „Wir müssen passgenau suchen. Es ist nicht jeder für die Pflege geeignet.“

Bei Rosariya Maria Bose scheint das Programm jedenfalls auf fruchtbaren Boden zu fallen. Zwei Jahre dauert ihre Ausbildung noch. Und ihre Pläne danach beschreibt sie deutlich: „Ich sehe meine Zukunft in Deutschland. Und bei meinem Arbeitgeber.“