Euskirchen – Auf einem Güterwaggon im Euskirchener Bahnhof ist die Ladung verrutscht. Eine Maschine ragt zur Seite. Der Waggon steht zwar, doch auf dem Nebengleis rollt ein Zug mit Kesselwagen in den Bahnhofsbereich ein. Es kommt zum Zusammenstoß: Der Kessel wird eingedrückt, reißt auf einer Länge von 20 Zentimetern auf. Flüssigkeit tritt aus. Sofort wird die Feuerwehr alarmiert.
Schnell steht fest, dass es sich bei der Flüssigkeit um Salzsäure handelt – zumindest, wenn es nach dem Gefahrgutschild an der Seite des Kesselwagens geht. Tatsächlich handelt es sich jedoch nicht um eine stark ätzende Säure, sondern um Wasser. Das Leck ist auch nicht durch die Kollision entstanden. Es handelt sich um eine Übung.
Die Feuerwehr übt den Ernstfall
Der Kesselwagen ist Bestandteil des Ausbildungszugs „Gefahrgut“ der Deutschen Bahn (DB), an dem die Einheiten des ABC-Zugs der Feuerwehren im Kreis Euskirchen den Ernstfall üben. Den hat Peter Jonas nach eigenem Bekunden in seiner Zeit als aktiver Feuerwehrmann noch nicht erlebt.
Er ist seit mehr als drei Jahrzehnten Mitglied und beim Kreis seit vielen Jahren im Bereich der Gefahrenabwehr und des Katastrophenschutzes tätig. „Es ist gut, dass er nicht eingetreten ist. Es ist aber auch gut, dass es die Möglichkeit gibt, den Einsatz zu trainieren, ihn so perfekt zu simulieren“, sagt der Leiter der Euskirchener Feuerwehr, während er den Kollegen des Löschzugs Kommern über die Schulter schaut.
Seit über 30 Jahren gibt es den Ausbildungszug
Mit dabei ist auch Christoph Wiesen, der Zugführer der sogenannten Abwehr-Komponente des ABC-Zugs. Mit ihm sind etwa 20 Mitglieder der Mechernicher Feuerwehr nach Euskirchen gekommen, um sich weiterzubilden. Mit den Einheiten aus Euskirchen und Bad Münstereifel (Messkomponente) sowie Dahlem und Schmidtheim (Dekontaminierungskomponente) setzt sich der ABC-Zug, der 1988 im Kreis Euskirchen gegründet worden ist, zusammen.
Uwe Lindenberg, Leiter des Ausbildungszuges „Gefahrgut“ der DB Netz AG, erklärt: „Der Ausbildungszug unterstützt die Ausbildung und Schulung von Feuerwehren und Technischen Hilfswerk, in deren Einsatzbereich Bahnstrecken liegen. Zudem ist der Ausbildungszug eine gute Ergänzung zu den regelmäßigen Fortbildungen der Hilfs- und Rettungskräfte.“
Weiterbildung besteht aus drei Teilen
Die Weiterbildung in Euskirchen, an denen auch Einsatzkräfte der Dahlemer, Nettersheimer und Euskirchener Feuerwehr sowie deren Kollegen aus dem Rhein-Erft-Kreis teilnehmen, gliedert sich in drei Teile. Begonnen wird mit der Theorie. Schulungsleiter Lindenberg frischt das Wissen über Gefahrgutklassen und ihre Kennzeichnungen auf.
Theorie und Praxis
Der Ausbildungszug „Gefahrgut“ der Deutsche-Bahn-Notfalltechnik ist bundesweit im Einsatz – und der einzige seiner Art in Deutschland. Vier Wagen gehören zu dem Zug, der 48,70 Meter lang ist und rund 90 Tonnen wiegt.
Der Unterrichtswagen ist wie ein Klassenzimmer eingerichtet. In ihm werden die theoretischen Ausbildungsinhalte vermittelt. In, an und auf dem Armaturen- oder Kesselwagen sind 65 Armaturen, Sicherheitsventile und weitere Sicherheitseinrichtungen verbaut. Während der Unterweisungen werden sie eingehend besichtigt und erklärt.
Der Leckagewagen ist ein zu Übungszwecken umgebauter Kesselwagen. An neun verschiedenen Stellen weist er Lecks auf, an denen das Abdichten praktisch geübt werden kann. Die Gefahrgüter, die bei Leckagen austreten, werden hier durch Wasser ersetzt.
Im Aggregatwagen befindet sich ein Notstromaggregat, das den Ausbildungszug komplett mit Energie versorgen kann sowie eine kleine Werkstatt für Reparaturen. (tom)
Anschließend wird der Aufbau eines Kesselwagens erklärt. Dieser Ausbildungskesselwagen ist eine Spezialanfertigung aus drei unterschiedlichen Kesselwagentypen. Darin sind 65 Armaturen und Sicherheitsventile verbaut (siehe „Theorie und Praxis“). Beim dritten Teil der Ausbildung wird es dann praktisch. Ein eigens vorbereiteter Kesselwagen hat neun verschiedene Leckagen, also Löcher oder Risse.
Deutsche Bahn unterstützt das Training der Feuerwehr
Trainiert wird, mit welcher Technik die Leckage verschlossen werden kann. „Leckagen an Kesselwagen sind ja glücklicherweise äußerst selten. Deshalb ist es umso wertvoller, einen solchen Einsatz tatsächlich zu simulieren. Die Deutsche Bahn unterstützt im Rahmen des Notfallmanagements die Schulung von Rettungskräften“, erklärt Lindenberg. Von den etwa 307 Millionen Tonnen Gefahrgut, die jährlich durch Deutschland transportiert werden, entfallen Lindenberg zufolge rund 75 Millionen Tonnen auf den Bereich der Schiene.
ABC-Zugführer Christoph Wiesen ist begeistert: „Das ist eine tolle Gelegenheit zu üben, die man nicht allzu oft erhält.“ Der Kommerner Alfred Elkes ist seit seinem 13. Lebensjahr in der Feuerwehr. Die Fortbildungen für den ABC-Zug habe er gerne gemacht: „Solche Einsätze passieren selten, sind aber immer eine Herausforderung.“
Einsatzkräfte werden gefordert
Während das erste Leck mit einem Keil und etwas extrem klebriger Paste schnell gestopft ist, scheitern die Mechernicher Feuerwehrmänner auf der anderen Seite. „Das hat noch nie jemand gelöst“, sagt Experte Lindenberg. Simuliert wird eine geplatzte, innenliegende, schwer zu erreichende Schweißnaht.
Wichtig sei es, kreativ vorzugehen und den Schaden einzudämmen, so der Schulungsleiter. Peter Jonas ergänzt: „Die Aufgabe der Feuerwehr ist die Gefahrenabwehr, also die Gefährdung einzudämmen.“Am heutigen Donnerstag probt die ABC-Einheit aus Dahlem/Nettersheim am Euskirchener Güterbahnhof den Ernstfall. Es geht um dekontaminiertes Material.