AboAbonnieren

Eltern im Ahrtal gestorbenWie eine Gummersbacherin mit ihren Ängsten kämpft

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

Tamara Wiedenfeld mit zwei Leuchten, die Frau Wiedenfeld hat anfertigen lassen, als Erinnerung an ihr Haus und an das ihrer Eltern.

Eifel/Ahrtal – Wenn sie den Scheibenwischer im Auto auf die höchste Stufe stellen muss, ist sie wieder da: die Angst. Das Gefühl, von der Strömung mitgerissen zu werden. Dann zittert Tamara Wiedenfeld wieder der Kiefer. Dann sind die Panik und die Gedanken an ihre Eltern, die sie in der Flut verloren hat, so intensiv, dass sie kurz anhalten muss. „Wenn es stark regnet, wird es schlimm“, sagt sie.

So wie an diesem einen Tag, als sie mit dem Auto von ihrem neuen Wohnort Gummersbach zu einer Freundin nach Bonn fährt. „Es war gar kein Regen angesagt.“ Trotzdem fällt er vom Himmel. „Als ich ankam, war ich völlig fertig. Mein ganzer Körper hat geschwitzt. Ich musste mich erst einmal beruhigen.“

„In manchen Nächten kann ich gar nicht schlafen“

Und das muss die zierliche Frau seit einem Jahr immer wieder. „In manchen Nächten kann ich gar nicht schlafen, weil mir so viel durch den Kopf geht.“ Dann denkt sie an ihre Eltern, fragt sich, ob sie schnell gestorben sind. Ob sie beieinander waren. An die 20 Minuten, die sie in Todesangst im Wasser war und dachte, sie müsse sterben. An ihre beiden Katzen, die vor ihren Augen von der Flut mitgerissen wurden.

Im Kurort Bad Neuenahr hat die Flut schwere Schäden hinterlassen.

Und an ihr Haus auf dem Campingplatz Stahlhütte an der Ahr in dem Ort Dorsel. „Das war mein Zuhause, ich war dort glücklich“, sagt Wiedenfeld. Aus gesundheitlichen Gründen braucht sie eine ruhige Umgebung, einen stillen Rückzugsort, um sich ausruhen zu können. „All das hatte ich dort.“ Innerhalb weniger Stunden hat Tamara Wiedenfeld all das verloren.

Therapie gegen das Trauma der Flut

Ins Ahrtal, oder überhaupt nach Rheinland-Pfalz, will sie nie wieder. Zu schwer wiegen die Erinnerungen. Nach der Flut kam sie bei einer befreundeten Familie in Gummersbach unter. „Hier will ich bleiben“, sagt sie. Hier hat sie Hilfe bekommen. „Hier sind meine Eltern bestattet.“ Zur Erinnerung hat sie für jedes Elternteil eine Leuchte mit den Hausnummern der Häuser ihrer Familie anfertigen lassen. „Es hilft, einen Ort zum Trauern zu haben.“

Neuer Inhalt

Tamara Wiedenfeld mit zwei Leuchten, die Frau Wiedenfeld hat anfertigen lassen, als Erinnerung an ihr Haus und an das ihrer Eltern.

Ob sie ihr ganzes Leben lang unter dem Trauma der Flut und der daraus folgenden posttraumatischen Belastungsstörung leiden werde, wisse sie nicht, sagt sie. „Ich will nicht mein Leben lang wütend sein. Ich möchte glücklich werden.“ Bei der Therapie erklärt ihr ein Psychologe, wie sie mit den Momenten, in denen die Angst wiederkommt, umgehen kann. Wie sie mit ihren Händen so aufs Lenkrad klopft, dass es sie beruhigt.

Aufbau des Trauma Hilfe Zentrums an der Ahr

„Flashbacks“ nennt man die Momente, in denen traumatisierte Menschen wieder in den Moment des lebensbedrohlichen Erlebnisses zurückversetzt werden, sagt Dr. Susanna Smolenski. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie und war lange Zeit Chefärztin an der Ehrenwall’schen Klinik Ahrweiler.

Das Fachkrankenhaus für Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie wurde durch die Flut schwer beschädigt. Um den Menschen im Ahrtal eine Möglichkeit zu geben, das Erlebte zu verarbeiteten, hat die Ehrenwall’sche Klinik mit dem Deutschen Roten Kreuz, dem Land Rheinland-Pfalz und einigen Mitarbeitern unter ärztlicher Leitung der Chefärztin Dr. Katharina Scharping das Trauma Hilfe Zentrum an der Ahr aufgebaut.

Zittersymptomatik – eine Folge des Traumas

Wie gut oder schlecht ein Mensch ein traumatisches Erlebnis verarbeitet, hänge vom Wesen der Person ab, sagt Susanna Smolenski. „Eine Mitarbeiterin von uns, die in der Flutnacht nur knapp überlebt hat, ist jetzt ganz fantastisch wieder im Leben angekommen. Sie kann gut und distanziert von dem Erlebten sprechen.“ Andere Menschen, die weniger stark betroffen waren, zeigten heute noch eine Zittersymptomatik, wie man sie von Kriegsüberlebenden kennt – eine Folge des Traumas.

„Die haben das Erlebnis nicht so gut verarbeiten können.“ Es sei auffällig, dass diejenigen, die in der Flutnacht selbst aktiv werden mussten, um sich oder andere zu retten, seltener eine posttraumatische Belastungsreaktion zeigten, als die, die hilflos waren und auf Rettung warten mussten.

„Ich glaube, ich bin verrückt geworden“

Von einer „posttraumatischen Reaktion“ sprechen die Psychotherapeuten, wenn Betroffene durch Situationen, Gerüche oder Geräusche wieder in den Moment des Geschehens und in Angst und Schrecken versetzt werden. Bei lebensbedrohlichen Situationen sei das eine normale Reaktion, sagt Smolenski. Viele Betroffene kommen aber mit diesen und anderen Symptomen wie Vermeidungsverhalten, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Anspannung, Übererregbarkeit und vermehrter Reizbarkeit nicht gut zurecht.

„Ich glaube, ich bin verrückt geworden, hören wir dann öfter“, sagt Smolenski. „Dann sei es wichtig, klar zu machen, dass es sich um eine „normale Reaktion auf eine unnormale Situation“ handele. In der Regel klinge solch eine „posttraumatische Reaktion“ nach einigen Wochen wieder ab. Bei zehn bis 15 Prozent der Betroffenen entwickele sich allerdings eine „posttraumatische Belastungsstörung“, die längerfristig behandelt werden müsse.

Helfer leiden nach der Flut an „Sinnentleerung“

Wer eine Katastrophe wie die Flut erlebt hat, braucht schnelle Hilfe, sagen die Psychotherapeuten. „Wir stellen fest, dass diejenigen, die umgehend nach dem Ereignis psychotherapeutisch betreut werden, sich schneller erholen als solche, die abwarten.“ Wichtig sei auch eine solidarische Umgebung. „Die Betroffenen brauchen kein melodramatisches Mitgefühl, sondern müssen Gemeinschaft und Zuversicht erleben.“ Im Ahrtal habe das sehr gut funktioniert. „Die Menschen unterstützen sich hier gegenseitig, etwa in Nachbarschaftsgruppen.“

In den vergangenen Monaten habe sich im Ahrtal aber auch ein neues Phänomen gezeigt, das bislang kaum erforscht sei. „Manche Menschen, die ihre ganze Existenz aufgegeben haben, um im Ahrtal zu helfen, erleben jetzt, wo die Dinge langsam zur Normalität zurückkehren, eine Art Sinnentleerung“, sagt Smolenski. „Das ist eine ganz eigentümliche und sehr neue Dynamik. Manchmal gebe es aggressive Auseinandersetzungen zwischen professionellen und ehrenamtlichen Helfern. „Die sagen dann: Ihr nehmt uns unsere Existenzberechtigung.“ Eine Entwicklung, die die Psychotherapeuten mit Sorge betrachten.

Betroffene sollen sich der Angst langsam nähern

So wie die fehlende psychotherapeutische Betreuung im Ahrtal. „Ja, wir bieten im Trauma Hilfe Zentrum Gespräche und Gruppen-Sitzungen an, aber es gibt Menschen, die mehr therapeutische Hilfe brauchen als die Gespräche dort leisten können.“ Das sei etwa eine ambulante Psychotherapie. „Aber es ist sehr schwierig, freie Plätze zu finden, denn es gibt viel zu wenige Therapeuten und dementsprechend lange Wartezeiten.“ Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) habe das Angebot an Therapeuten zwar aufgestockt, doch damit können nur 150 bis 170 zusätzliche Menschen betreut werden. „Ungefähr 4000 sind aber behandlungsbedürftig.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Manchmal helfe es außerdem, sich der Angst langsam zu nähern. „Eine Mitarbeiterin konnte sich nach der Flut nicht mehr in der Nähe der Ahr aufhalten“, sagt Smolenski. „Das hat den Alltag natürlich erschwert, die Wege haben länger gedauert.“ Deswegen habe sie sich, gemeinsam mit einem Freund, dem Fluss immer wieder ein Stückchen genähert. „Bis sie irgendwann wieder an der Ahr entlang gehen konnte und gemerkt hat: „Okay, die Gefahr ist jetzt vorbei.“Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, haben oft vergessen, wo ihre Stärken liegen, sagt Smolenski. „In der Therapie lernen sie, sich wieder auf ihre Stärken zu besinnen.“

Tamara Wiedenfeld sagt: „Ich habe jetzt Katastrophenerfahrung. Was immer kommt, ich bin vorbereitet.“ Sie hat einen Notfall-Rucksack gepackt, falls sie noch einmal plötzlich aufbrechen muss. „Da ist alles drin, was ich brauche. „Ihre Katze Bärle hat sie drei Tage nach der Flut in den Trümmern ihres Hauses wiedergefunden. „Ohne sie gehe ich nirgendwohin.“