Das Rheinland ist von Geldautomatensprengungen besonders betroffen. Die Täter kommen oft aus dem benachbarten Ausland. Polizei und Banken suchen seit Monaten nach Lösungen.
Flucht mit schnellen AutosPolizei kämpft gegen Geldautomaten-Sprenger in der Region
Vor einer Bankfiliale in Kerpen-Buir sieht es aus wie nach einem Anschlag: völlige Verwüstung, Dutzende Meter weit ist der Vorplatz der Bank übersät mit Glassplittern, die Fassade der Filiale ist massiv zerstört. Geldautomatensprenger waren hier am Werk. Die Fälle häufen sich: Aachen, Burscheid, Heinsberg, Erftstadt, Kerpen-Buir, Köln-Bayenthal – um nur die jüngsten Ereignisse von Automatensprengungen in der Rheinland-Region zu benennen.
Mitte September legte das NRW-Innenministerium im Landtag aktuelle Zahlen vor. Von 2020 bis heute habe es demnach 615 Angriffe auf Geldautomaten gegeben, inklusive den erfassten 105 Fällen in diesem Jahr (Stand 28. August). Bei diesen Taten konnte man in den meisten Fällen – für dieses Jahr: in 94 Fällen – bisher keine Verdächtigen identifizieren.
Auch Unbeteiligte werden bei Sprengungen verletzt
Geht man bei den Taten weiter zurück, ist die Erfolgsquote der Ermittler etwas besser: „Von den seit dem Jahr 2015 bekannt gewordenen Taten wurden bisher 332 aufgeklärt. Dies entspricht einer durchschnittlichen Aufklärungsquote von 29,5 Prozent“, führt das Innenministerium weiter aus. Beunruhigend sei, dass die Automatensprenger immer stärkeren Sprengstoff verwenden und damit bei ihren Attacken auch Unbeteiligte oder sich selbst verletzen würden.
Seit 2020 seien bei Angriffen auf Geldautomaten 17 Menschen verletzt worden – davon sechs Tatverdächtige, ein Polizist und zehn Unbeteiligte. Ältere Daten gäbe es nicht, da die Verletzten laut dem Ministerium erst seit 2020 erfasst worden seien.
Die Strategien von LKA und Polizei
Auf Anfrage der Rundschau erläutert das Innenministerium die neue Strategie gegen die sich häufenden Sprengungen von Geldautomaten in NRW: „Einsatz- und Ermittlungsmaßnahmen aus Anlass der Sprengung von Geldautomaten erfolgen seit dem 15. Juni dieses Jahres zentralisiert über die Polizeipräsidien Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Münster und Köln sowie beim Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen“, so Sprecher Christoph Wickhorst.
Man begegne dem Phänomen zudem mit einem ganzheitlichen Ansatz aus Repression, Prävention, Einsatzmaßnahmen, nationaler und internationaler Vernetzung sowie Aus- und Fortbildung. Auch der Austausch mit den Banken wurde in Nordrhein-Westfalen intensiviert, so Wickhorst. Die aktuelle Entwicklung beunruhigte schon den Kölner Polizeipräsidenten Falk Schnabel.
In einem Interview mit der Rundschau äußerte er sich besorgt: „Wir messen der Bekämpfung dieser Kriminalität große Bedeutung bei. Die Täter sind hochgradig skrupellos, denn sie gehen nicht nur das Risiko großer Sach- und Gebäudeschäden ein, sondern gefährden auch durch ihr rücksichtsloses Fluchtverhalten Menschenleben, wenn sie mit Hochgeschwindigkeit in ihren Autos ins Ausland fliehen.“
Maßnahmen der Banken gegen Geldautomaten-Sprengungen
Was tun die Betreiber der Geldautomaten gegen die sich häufenden Sprengungen? Laut Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) haben Banken und Sparkassen in den letzten Jahren massiv in die Sicherheit der Geldautomaten investiert. Danach wurden dafür rund 300 Millionen Euro an Risikostandorten ausgegeben und rund 53 000 Sicherungsmaßnahmen an den Geldautomatenstandorten realisiert, so Steffen Steudel, Sprecher des BVR auf Nachfrage der Rundschau.
Die ergriffenen Maßnahmen seinen vielfältig und umfassten unter anderem den Einsatz von Alarmanlagen, Vernebelungstechnik, Nachtverschluss, eine Reduzierung der Bargeldbefüllung sowie den Einsatz von Einfärbetechnik, die die Geldscheine unbrauchbar machen. „Die Sicherheitssysteme werden weiter ausgebaut, um präventiv die Fallzahlen der Sprengungen zu reduzieren“, so Steudel weiter.
Es mache jedoch einen großen Unterschied, ob sich ein Geldautomat im Ankunftsterminal eines Flughafens, auf einem Parkplatz in einem Industriegebiet nahe der Autobahn oder in einem Wohnhaus befindet. Unterschiedliche Standorte gehen mit unterschiedlichen Risiken einher. Eine einheitliche Lösung gebe es daher aktuell nicht, so Steudel.
Der BVR-Sprecher weist darauf hin, dass die Banken als Anwender darauf angewiesen seien, dass die Sicherheitssysteme vor einer Markteinführung in Abstimmung mit Berufsgenossenschaften, Versicherern und Dienstleistern sowie Herstellern zulassungsreif konzipiert werden – und zwar, ohne dass Banken Gewährleistungsansprüche verlieren oder neuen Haftungsrisiken ausgesetzt sind. Diesbezüglich werden derzeit intensive Gespräche auf Expertenebene geführt, ob künftig auch solche Systeme zum Einsatz kommen können.
Allerdings bergen einheitliche Maßnahmen wie Einfärbe- oder Klebesysteme auch die Gefahr, dass sich Täter noch besser auf Sprengungen vorbereiten können. Marktfähige Klebesysteme gibt es laut BVR aktuell in Deutschland ohnehin nicht. So müssen Geldautomaten weiterhin individuell mit Blick auf das ermittelte Standortrisiko gesichert werden.
Enger Austausch mit dem LKA
Ständige Verbesserungen in den Sicherheits- und Alarmtechniken ist für die Sparkasse Köln Bonn der entscheidende Ansatz, um Angriffen auf Geldautomaten entgegenzutreten. „Wir halten unsere Sicherheitsstrategie auf dem neuesten Stand und stehen hier in engem Austausch mit Polizei, LKA und Versicherern, um fortwährend die aktuelle Sicherheitslage zu prüfen“, so Sparkassensprecher Jörg Wehner.
Das könne unter Umständen auch heißen, Geldautomaten an besser geeignetere Standorte zu verlagern. Auch isoliert stehende SB-Pavillons wie in Porz-Grengel finden dabei Anwendung. „Unser Ziel ist es, mit einem Mix an Maßnahmen Täter wirkungsvoll abzuschrecken. Neueste Sicherheits- und Überwachungstechnik sowie entsprechend gesicherte Standorte tragen dazu bei. Details nennen wir aus Sicherheitsgründen aber nicht.“ (mit dpa)
Fälle von Automatensprengungen in der Region
Wieder erschütterten heftige Explosionen Geldautomaten-Standorte von Banken in mehreren Gemeinden im Rheinland. Die Täter konnten jeweils flüchten. Eine Übersicht von Fällen aus den letzten Wochen:
Von einer Postbank-Filiale auf der Bonner Straße in Köln-Bayenthal sind in der Nacht zum Freitag die Täter nach der Sprengung des Automaten vermutlich ohne Beute geflüchtet. Das Gebäude blieb unbeschädigt, Menschen wurden nicht verletzt.
In der Nacht zum Mittwoch wurden an drei Orten Geldautomaten gesprengt und Geldbeute gemacht: In einem Wohngebäude in Aachen explodierte es gleich zweimal. Glücklicherweise haben die Statiker keine akute Einsturzgefahr feststellen können.
Auch in Niederkrüchten an der NRW-Grenze zu den Niederlanden sowie in Sprockhövel im Ennepe-Ruhr-Kreis wurden in dieser Nacht Automaten gesprengt.
In Heinsberg hatten Samstag vor einer Woche Geldautomatensprenger am Tatort Sprengstoffreste zurückgelassen. Experten des Landeskriminalamtes brachten den gefährlichen Fund auf einem nahe gelegenen Sportplatz kontrolliert zur Explosion. Gegen 4 Uhr in der Nacht meldeten Anwohner eine Explosion. Nach ersten Erkenntnissen gehen die Ermittler von mindestens drei Tätern aus, die per Auto in Richtung niederländischer Grenze flüchteten. Bewohner angrenzender Wohnungen mussten aus Sicherheitsgründen zeitweise das Haus verlassen.
Am Montag letzter Woche wurde ein Geldautomat in einer Bankfiliale in Erftstadt-Lechenich gesprengt. Die dortige Bonnerstraße war im Einmündungsbereich zum Lechenicher Marktplatz meterweit übersät mit Glassplittern. Nach Zeugenangaben sollen schussähnliche Geräusche gefallen sein, als der Fluchtwagen der Maskierten in Richtung der nahen Autobahn davonraste.
Auch in Burscheid bei Leverkusen mussten Anwohner nach einer Sprengattacke auf einen Geldautomaten in der Nacht zum 19. September vorübergehend ihre Wohnungen verlassen, bis ein Statiker das Gebäude begutachtet hatte. Die Polizei geht von mindestens zwei Tätern aus, die per Auto mit hoher Geschwindigkeit in Richtung A1 geflüchtet sind.
Ein ungewöhnlicher Fall hat sich am 4. September in Kerpen-Buir ereignet: Ein 69-Jähriger sprach die Automatensprenger während ihrer Tat an. Er wurde dabei von einer Anwohnerin gefilmt, ein anderer rief die Polizei. Trotzdem konnten die Täter mit ihrer Beute fliehen. Auch hier fanden die Einsatzkräfte noch nicht detonierten Sprengstoff in der Filiale. (dhi/mit dpa)