Für die Familie der Getöteten hingegen ist mit dem Urteil noch lange nichts erledigt.
Unaufgeklärte AblenkungErzieherin verurteilt für fahrlässige Tötung eines 17-jährigen Mädchens
Noch lange saßen die Eltern und die beiden Schwestern der getöteten Radfahrerin nach der Urteilsbegründung im Bonner Schwurgerichtssaal. Auch im gut gefüllten Zuschauerraum, darunter zahlreiche Freunde und Weggefährten der mit 17 Jahren gestorbenen Schülerin, blieben noch lange sitzen – sie schienen wie gelähmt. Dass der fahrlässige Tod des jungen Mädchens, das von so vielen geliebt wurde, niemals gesühnt werden kann, das war allen klar.
Dennoch fühlte sich das Auseinanderdriften zwischen den furchtbaren Unfallfolgen, die einer Familie mitten ins Herz getroffen haben, und die scheinbar milde Bestrafung der Angeklagten, die unbestritten das Leid verursacht hat, schräg an. Wie „einfach nicht richtig“.
Die 2. Große Strafkammer hat die 62-jährige Erzieherin, die damals auf der Kreisstraße 57 in Wachtberg am Steuer eines Autos saß, am Dienstag wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt; als Bewährungsauflage muss sie 3600 Euro an einen Verein für die Begleitung schwerst kranker Kinder zahlen.
Erzieherin zu einem Jahr und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt
Was an dem 3. Juli 2023 auf der K57 zwischen Villip und Gimmersdorf passiert ist, sei „kein Augenblicksversagen gewesen, sondern eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung“, so der Kammervorsitzende Wolfgang Schmitz-Justen im Urteil. Über 150 Meter und insgesamt zwölf Sekunden sei die Aufmerksamkeit der Autofahrerin nicht auf der Straße gewesen. „Es muss etwas gegeben haben, was sie massiv abgelenkt hat.“ Das Rätsel jedoch, was das gewesen sein könnte, hat die Kammer nicht aufklären können. Denn die Angeklagte, die durchaus eingeräumt hatte, auf der falschen Spur gewesen zu sein, wollte oder konnte sich nicht daran erinnern, was sie abgelenkt hat.
Am Anfang des Prozesses, so Schmitz-Justen, sei er sicher gewesen, dass die Angeklagte lüge, dass sie den Blackout nur vorgeschoben habe, um nicht die Wahrheit sagen zu müssen. „Vielleicht“ so der Richter nachdenklich weiter, habe sie doch einen Gedächtnisverlust erlitten. „Ich bin nicht sicher, deswegen bin ich mit Vorwürfen vorsichtig und sage nichts dazu.“ Der Anwalt der Nebenkläger hatte im Plädoyer der Angeklagten vorgeworfen, dass sie sich als Opfer inszeniere – und dass sie lüge: „Wir glauben ihr die Erinnerungslücke nicht.“
Am Unfalltag, so die Feststellungen des Gerichts, sei die Angeklagte auf dem Weg zu einer Teambesprechung ihrer Kita gewesen, als sie auf der übersichtlichen Kreisstraße langsam über die Mitte auf die Gegenfahrbahn abdriftete, wo die beiden Schwestern – 17 und 16 Jahre alt – auf ihren Pedelecs ihr von Richtung Gimmersdorf entgegenkamen. Beide Mädchen fuhren hintereinander. Zuerst touchierte die Angeklagte mit 85 Stundenkilometer – ungebremst und ohne eine einzige Lenkbewegung – das Fahrrad der Jüngeren. Dann fuhr sie frontal auf die ältere Radfahrerin, die nach dem Aufprall auf der Windschutzscheibe des Personenwagens mehr als 37 Meter durch die Luft schleuderte und im Feld liegen blieb.
Die 17-Jährige verstarb noch in der Nacht in der Bonner Uniklinik. Ihre jüngere Schwester, selber schwerst verletzt, musste – vom eignen Krankenbett aus – das Sterben der geliebten Schwester miterleben. „Nichts“ könne, so Wolfgang Schmitz-Justen am Ende des Urteils, „ein angemessener Ausgleich sein für das, was passiert ist. In was für ein Unglück die Familie durch den Tod des Kindes gestürzt wurde, können wir nur erahnen.“
Es sei ein Gerichtsverfahren gewesen, das alle sehr aufgewühlt habe, sagte er zum Ende. Für die Familie der Getöteten hingegen ist mit dem Urteil noch lange nichts erledigt. „Die Angeklagte hat eine Bewährungsstrafe bekommen“, kommentierte ein Familienmitglied das Ergebnis resigniert: „Unser Verlust bleibt lebenslänglich.“