Erst das Haus umbauen, dann den Notfallkoffer packen - so liest sich kurz gefasst die Anleitung der Starkregenforscher für die Zukunft. Bei der Flut vor zwei Jahren hat Warnen nicht so gut geklappt.
Umfrage der Uni belegtViele Menschen trauten Warnung vor Hochwasser nicht
Vor dem Starkregen, der vor zwei Jahren im Rhein-Sieg-Kreis mehrere Menschen das Leben kostete und gigantische Schäden anrichtete, ist nicht glaubwürdig oder effektiv genug gewarnt worden. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die nun kurz vor dem Auslaufen des entsprechenden Forschungsprojekts im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom „Institut für Umweltwissenschaften und Geographie“ an der Uni Potsdam veröffentlicht wurde.
Jeder zweite Befragte (49,6 Prozent) aus dem Rhein-Sieg-Kreis gab bei der Umfrage an, im Juli gar keine Warnung mitbekommen zu haben, während in anderen Teilen des Landes bloß jeder Dritte (36,8 Prozent) ahnungslos von der Flut getroffen wurde. Jeder Fünfte hatte vorab während der Kommunikation mit Bekannten von der Gefahr erfahren, jeder Vierte eine Information per Wetter- oder Warnapp erhalten, 8,1 Prozent der Befragten wurden durch Sirene oder Lautsprecherwagen auf die Flut aufmerksam.
Verhaltenstipps kamen nicht an
Doch was haben die Menschen aus der Warnung verstanden? Jeder Zweite erinnert sich an eine Ankündigung von Niederschlagsmengen, eine Uhrzeitprognose für das Wetterereignis und das betroffene Gebiet blieben im Gedächtnis. Doch bloß jeder Zehnte nahm Verhaltenstipps zur Kenntnis, nur 6,8 Prozent der Menschen zogen in Erwägung, dass etwas Lebensbedrohliches bevorstehen könnte. Also ein Glaubwürdigkeitsproblem?
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Die Befragten sollten ausdrücklich auf einer Skala von eins bis sechs die Glaubwürdigkeit der Warnungen, die sie erhalten hatten, einstufen. Die Antworten konzentrieren sich im mittleren Bereich. Für unglaubwürdig hielten die Menschen die Warnung also kaum, aber sie vertrauten ihnen auch nicht. Während in NRW insgesamt noch ebenso viele Menschen die Warnungen für real wie für neutral hielten, schätzte im Rhein-Sieg-Kreis ein deutlich geringerer Teil das Angekündigte als glaubwürdig ein.
Unter Literangaben oder einer Gefahrenstufe, wie sie in Wettervorhersagen oder Warnmeldungen der Apps vorkamen, konnte sich offenbar kaum jemand etwas vorstellen. Auch darum wurden die Befragten weit überwiegend von der Stärke des Ereignisses „total überrascht“. Zudem war kaum jemandem klar, wie er seinen Haushalt im Vorfeld vor einer Überflutung hätte schützen können. Und die meisten gingen nach Erkenntnis der Forscher davon aus: „Es wird regnen, aber das ist unproblematisch“.
Ein „Steckbrief für den Rhein-Sieg-Kreis“ gibt wieder, was die Forscher hierzulande von 258 Betroffenen - meist aus Swisttal und Rheinbach - erfuhren. Ein bis drei Monate nach der Katastrophe hatte es unter Regie von Professorin Annegret Thieken online Kurzbefragungen gegeben, an denen insgesamt 894 Menschen aus NRW teilnahmen, 424 aus Rheinland-Pfalz.
Ein Wunsch der Betroffenen ist bereits umgesetzt worden: Cell-Broadcasting ist nun erlaubt. So kann jeder Handybesitzer vor einer Gefahr gewarnt werden, auch wenn er keine Warnapp installiert hat.
Woher das Wasser kam
Von den hiesigen Befragten hatten 88,7 Prozent noch nie zuvor ein Hochwasser erlebt. 2021 aber stand bei vielen das Wasser im Keller oder sogar in der Wohnung. Die Herkunft dieses Wassers nach Einschätzung der Betroffenen: Überflutete Gewässer (70 Prozent), überlastete Kanäle (60 Prozent), von Straßen und Hängen (48 Prozent), Grundwasser (29 Prozent), Dammbruch/übergelaufene Talsperre (15 Prozent).
Überlastete Kanäle und Wasser, das aus Toiletten quoll, wurden im Rhein-Sieg-Kreis merklich häufiger genannt, als von anderen Betroffenen in NRW. Das spricht für ein lokales Problem. Auch Grundwasser und Wasser von einer Talsperre wurden häufiger als andernorts als Ursache genannt.
Das Handeln in der Flut
Etwa acht Prozent der Befragten machten während der Flut im Alltag weiter. Das dürfte denen entsprechen, die nicht direkt betroffen waren. Noch mehr Menschen als in anderen Teilen NRWs versuchten im Rhein-Sieg-Kreis ihre Habe zu retten, sei es, Dokumente zu sichern oder Möbel hochzustellen. Deutlich weniger Menschen als im Landesschnitt warnten andere oder halfen anderen, was dafür spricht, dass wesentlich mehr Personen so betroffen waren, dass sie keine Zeit mehr dafür hatten. Dafür spricht auch der auffallend geringe Anteil derer, die Hilfe holten, zumal meist die gesamte Nachbarschaft betroffen war. Jeder Dritte aus dem Rhein-Sieg-Kreis hat sich zunächst selbst in Sicherheit gebracht, als das Wasser stieg. Auch das sind mehr als im Landesschnitt. Jeder Fünfte hat Strom oder Gas selbst abgedreht.
Was der Einzelne vorbereitend tun kann
Was der Einzelne gegen solche Naturereignisse in der Zukunft tun kann? Die Forscher raten zu einem an Hochwasser angepassten Ausbau von Häusern. Dies bezieht sich auf das verwendete Baumaterial, schließt aber auch die Heizung ein, die entsprechend hoch zu positionieren ist. Zudem sollten Wohnungsbesitzer Pumpen und Wassersperren erwerben. Der dazu verlinkte Flyer beruft sich auf einen Starkregen von 2014 in Münster, bei dem innerhalb von sieben Stunden 292 Liter Wasser auf jeden Quadratmeter niederprasselten. Klingt veraltet, ist aber im Ergebnis aktuell. Ernüchternd: Es gibt keine lokale Einschränkung. „Starkregen kann überall in Deutschland auftreten“, heißt es in der Einleitung.
Der Flyer ist vor allem eine Checkliste zur Vorbereitung auf eine Flut und gibt Tipps zum Packen eines Notfallkoffers.
Die Checkliste
- Gefährdung der eigenen Wohnung in der örtlichen Starkregenkarte erkunden
- Sichere Orte bei Extremereignissen identifizieren
- Notfallplan erstellen und mit anderen absprechen
- Notfallgepäck packen
- Wertvolle Gegenstände im Keller erhöht lagern
- Pumpe anschaffen
- Elementarschadenszusatzversicherung abschließen
Der Notfallkoffer
In den Notfallkoffer gehören nach Auffassung der Potsdamer Forscher vor allem die wichtigsten Telefonnummern. Außerdem sollte er eine Mappe oder einen USB-Stick mit den wichtigsten Dokumenten enthalten. Eine Schere sollte darin sein, oder ein Taschenmesser. Zudem gehören zum Inhalt eine Taschenlampe, ein Radio mit Batterie- oder Kurbelbetrieb und Bargeld.
Während diese Dinge lange vor einem möglichen Ereignis zusammengepackt sein können, gibt es für einen Notfallkoffer auch einen empfohlenen Inhalt, der erst kurzfristig hineingelegt werden sollte: Dazu zählen die Ratgeber wichtige Dokumente und Hygieneartikel, Trinkwasser und lagerfähige Lebensmittel, ein Mobiltelefon samt Ladegerät sowie Wechselkleidung und Decken oder einen Schlafsack.
Wenn es ernst wird
Wenn es dann wieder einmal Hochwasser gibt, sollen Betroffene „die Lage im Blick halten“ und den „Anweisungen der Einsatzkräfte folgen“. Die Menschen sollen sich nicht in Gefahr begeben, etwa in dem sie mit einem Auto in einen gefluteten Bereich fahren. Auf dem Flugblatt heißt es: „Meiden Sie Tunnel, Unterführungen und Gewässernähe. Gehen Sie nicht in den Keller. Stellen Sie den Strom ab. Wählen Sie den Notruf nur in ernsthaften Notfällen.“
Für Laien gibt es noch den wichtigen Hinweis, nicht mit dem Abpumpen zu beginnen, wenn draußen noch Wasser steht. Der fehlende Gegendruck könnte das Bauwerk zerstören. Und ist das Wasser wieder abgeflossen, so das Papier, sollte mit der Dokumentation der Schäden begonnen werden.
Hochwasserfakten
Starkregen ist viel Regen in wenigen Stunden, und zwar so, dass er nicht mehr versickern oder durch Kanäle ablaufen kann. Senken und Wasserläufe füllen sich, sodass es zu Überschwemmungen oder gar Hangrutschen kommen kann.
Drei Warnstufen nutze der Deutsche Wetterdienst, um vor Starkregen zu warnen, heißt es im Flyer aus Potsdam. Tatsächlich sind es vier: Grau heißt zehn Liter je Quadratmeter, Gelb (markant) bis zu 25 Liter in einer Stunde oder 35 Liter in sechs Stunden, Rot (heftig) bis zu 40 in einer oder 60 in sechs Stunden sowie Lila (extrem) für noch mehr Wasser, Lebensgefahr und drohende Evakuierung. „Da Starkregen oft lokal auftritt, ist er schwer vorherzusagen.“
HoWas2021 ist die Abkürzung für das Projekt „Governance und Kommunikation im Krisenfall des Hochwasserereignisses im Juli 2021“, an dem unter anderem das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft (IWW) der RWTH Aachen, das Institut für Umweltwissenschaften und Geographie (IUG) der Universität Potsdam, das Institut für Medienforschung (IfM) der Universität Siegen, die Katastrophenforschungsstelle (KFS) der Freien Universität Berlin, Verwaltungswissenschaftler, das Psychosoziale Krisenmanagement im Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das THW und der Deutsche Wetterdienst beteiligt waren.