Die mutmaßlichen Täter haben sich offenbar den Netflix-Film „Athena“ des Regisseurs Romain Gavras als Vorbild für ihre Aktion ausgewählt.
Silvester 2022/23Zwölf Männer stehen nach Angriffe auf Polizisten in Bonn vor Gericht
Vermummte Randalierer setzen mitten auf der Straße Mülltonnen und Autoreifen in Brand. Die Männer lauern auf Feuerwehr und Polizei, bombardieren Einsatzfahrzeuge mit Pyrotechnik und Steinen. Erst als die Beamten mit Verstärkung wiederkommen, flüchten die Angreifer. Ein Jahr nach der Randale von Silvester 2022/23 muss sich ein Teil der mutmaßlichen Täter vor Gericht verantworten: Im Januar beginnt der erste Prozess.
Die Bonner Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen zwölf Männer – fünf Jugendliche, sechs Heranwachsende und einen Erwachsenen erhoben. Sie lautet auf gemeinschaftlichen Landfriedensbruch, Widerstand gegen und tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchte gefährliche Körperverletzung. Der Prozess gegen sieben der Angeklagten vor der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts beginnt am 30. Januar und ist bis 28. Februar terminiert, wie Gerichtssprecherin Gerlind Keller mitteilt. Die übrigen fünf Angeklagten – drei Jugendliche und zwei Heranwachsende – müssen sich aus prozessökonomischen Gründen später in einem getrennten Verfahren vor derselben Kammer verantworten. Die jüngsten Angeklagten sind aktuell 17, der älteste 34 Jahre alt.
Die mutmaßlichen Täter haben sich offenbar den Netflix-Film „Athena“ des Regisseurs Romain Gavras als Vorbild für ihre Aktion ausgewählt. Das Sozialdrama spielt in einem fiktiven Vorort von Paris, „Athena“ genannt. Ein Umfeld aus tristen Wohnblocks, bewohnt von Zuwandererfamilien. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, Perspektivlosigkeit verbreitet. Nach einem Fall mutmaßlicher Polizeigewalt kommt es im Film zu einer Art Bürgerkrieg, in dem Container brennen, Molotow-Cocktails fliegen und Feuerwerkskörper auf die Polizei abgefeuert werden.
Barrikaden aus Müllcontainern errichtet
In einer Whatsapp-Gruppe sollen sich die Bonner Angeklagten auch über diesen Film ausgetauscht haben. Die Parallelen sind offensichtlich: Die jungen Männer, die ab Ende Januar vor Gericht stehen, sollen sich zum Jahreswechsel auf dem Europaring zunächst in einer Gruppe von rund 15 bis 20 Personen versammelt haben. Mit der Zeit sollen noch einmal genauso viele, größtenteils ebenfalls dunkel gekleidete und mit Masken und Sturmhauben vermummte Beteiligte dazugestoßen sein.
Viele aus der Gruppe trugen laut Anklage pyrotechnische Gegenstände zum Werfen und Utensilien zum Entzünden von Feuer bei sich. Exakt zum Jahreswechsel gegen Mitternacht sollen die Randalierer zwischen den Hausnummern 38 und 59 mehrere Barrikaden aus Müllcontainern und -tonnen errichtet haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sie diese entzündeten, um eintreffende Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei aus der Deckung heraus mit Böllern und Raketen anzugreifen.
Als kurz nach Mitternacht zuerst der Brand einer Hecke gemeldet wurde, soll ein Tanklöschfahrzeug der Berufsfeuerwehr am Erreichen des Brandorts gehindert worden sein. Die Besatzung versuchte laut Staatsanwaltschaft, die Barrikaden zur Seite zu räumen, wurde aber aus der Gruppe heraus mit Pyrotechnik und einem leeren Getränkekasten beworfen. Das Leergut traf laut Anklage auch den Feuerwehrwagen, der leicht beschädigt wurde. Daraufhin ordnete der Einsatzleiter den Rückzug an; die Hecke konnte erst gelöscht werden, nachdem die Wehrleute einen Umweg gefahren waren.
Danach ging es erst richtig los: Die Angeklagten und weitere Beteiligte sollen auf der Fahrbahn des Europarings zwei Feuer gelegt haben, deren Flammen mehrere Meter hoch schlugen. Die eintreffende Polizei soll aus der mittlerweile auf 30 bis 40 maskierte Personen angewachsenen Gruppe unter Anfeuerungsgeschrei mit Feuerwerkskörpern und Steinen beschossen und beworfen worden sein. Nach einem strategischen Rückzug gelang es der zur Unterstützung gerufenen Bereitschaftspolizei gegen 1 Uhr, die Randalierer trotz heftiger Gegenwehr in unterschiedliche Richtungen zu zerstreuen. Es soll ein Sachschaden in Höhe von knapp 18.000 Euro entstanden sein infolge Beschädigungen der Fahrbahndecke, von Fahrzeugen und den als Brennkörpern genutzten Müllbehältern.
Einen 19-jährigen Verdächtigen erwischten die Beamten noch in Tatortnähe. Über sein Handy stießen sie auf die Whatsapp-Gruppe, über die sich die Randalierer wohl verabredet hatten. Wenige Tage später durchsuchte die Polizei sechs Wohnungen von Verdächtigen in Medinghoven und Duisdorf. Unter den damals acht ermittelten Verdächtigen waren nach Polizeiangaben fünf deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund und jeweils einer weiteren Staatsbürgerschaft. Drei weitere waren Ausländer. Alle acht seien in Bonn geboren, so die Behörde. „Die jungen Täter scheinen in einer Art Parallelwelt gelebt zu haben“, kommentierte Polizeipräsident Hoever später im Lauf der Ermittlungen.