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Prozess in BonnSäugling fällt bei ritueller Beschneidung ins Koma – Arzt vor Gericht

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Das Eingangsportal des Bonner Landgerichts.

Das Eingangsportal des Bonner Landgerichts.

Nach einer rituellen Beschneidung in einer Bonner Wohnung, bei der ein Säugling reanimiert werden musste, musste sich ein syrischer Arzt aus Hamburg vor Gericht verantworten.

Das Ritual der Beschneidung sollte – wie es ihre Religionsgemeinschaft verlangt – eine heilige Handlung werden. Zwei Eltern syrischer Abstammung hatten händeringend einen ausgebildeten Beschneider für ihre Söhne gesucht und einen Mann, der diese Kunst 1000-fach bereits angewandt hat, in Hamburg gefunden. Sie baten den 40-jährigen Religionsmann und Arzt nach Bonn zu kommen, damit ihre beiden Säuglinge – drei und vier Monate alt – zu Hause beschnitten werden könnten. Am 24. April 2021 sollte der große Tag sein: Alles war geschmückt, der Wohnzimmertisch, der als OP-Tisch diente, mit einem sauberen Tuch ausgelegt: Beim ersten Säugling verlief die rituelle Handlung ohne Probleme; beim zweiten Kind jedoch kam es nach der Lokalnarkose zu lebensbedrohlichen Komplikationen. Der Junge wurde kurzatmig, weinte und lag kraftlos in den Armen seiner Mutter. Durch die Injektion hatte er einen Krampfanfall erlitten, lief blau an und fiel ins Koma. Der Beschneider reanimierte den Säugling und wies die Eltern an, einen Notarzt zu rufen. Das Kind wurde in die Uniklinik gebracht und gerettet.

Der 40-jährige in Syrien ausgebildete Arzt aber landete wegen vorsätzlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht Bonn, wegen Beihilfe auch seine 34-jährige Ehefrau, die ihn damals nach Bonn begleitet und im Auto auf ihn gewartet hatte. Der Angeklagte, so der Vorwurf der Staatsanwältin, hätte ohne wirksame Einwilligung dem Kind mit der Narkosespritze Gift beigebracht und es mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs – dem Skalpell – körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt. Auch habe der Angeklagte gewusst, dass er nicht die notwendigen hygienischen Bedingungen und Methoden der ärztlichen Kunst angewendet habe.

Richter sieht keinen erkennbaren Schädigungsvorsatz

Dieser Fall, so der Amtsrichter gleich zu Prozessbeginn, bewege sich „in rechtlich durchaus kompliziertem Fahrwasser“. Denn der angeklagte Beschneider habe ja im Auftrag und mit Einwilligung der Eltern gehandelt, weil ihre Kinder sonst – nach dem 6. Lebensmonat – aus der Religionsgemeinschaft ausgeschlossen würden. Schließlich auch sei eine Beschneidung bei Jungen gesetzlich erlaubt. Zwar sei es keine Heilbehandlung im klassischen Sinn, so der Richter weiter, aber eine andere, vom Gesetz gedeckte Handlung. Jedenfalls gebe es, anders als bei anderen Körperverletzungsvorwürfen, in diesem Fall keinen erkennbaren Schädigungsvorsatz. Weder mit dem Narkosegift, noch dem Skalpell sollte dem Kind ein körperlicher Schaden zugefügt werden. Auch der Vorwurf, der 40-Jährige sei kein Arzt, laufe rechtlich ins Aus, so sein Verteidiger Dr. Stefan Hiebl. Schließlich sei sein Mandant „in dieser Kunst sicher versierter als so mancher Urologe an deutschen Kliniken“.

Dass die Sache schiefgegangen sei, argumentierte Hiebl weiter, sei ein Unglücksfall gewesen. Das aber sei rechtlich höchstens eine fahrlässige Körperverletzung. Schließlich habe der heute Dreijährige, so die Auskunft seiner Eltern, keinen bleibenden Schaden erlitten. Auf Vorschlag des Amtsrichters und mit Einwilligung der Staatsanwältin wurde der Fall gegen eine Geldauflage von 3000 Euro eingestellt; die Summe muss der 40-Jährige an den Verein „Ärzte ohne Grenzen“ zahlen. Das Verfahren gegen die mittlerweile geschiedene Ehefrau wurde auf Kosten der Landeskasse eingestellt.