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Taschengeldbörse in RheinbachSusanne Mertes vermittelt mit Fingerspitzengefühl Jobs bei Senioren

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Sabine Mertes organisiert in Rheinbach von Anfang an die Taschengeldbörse. Hier sitzt sie im Wohnzimmer der ebenfalls für das Seniorenforum engagierten Familie Vollert

Sabine Mertes organisiert in Rheinbach von Anfang an die Taschengeldbörse. Hier sitzt sie im Wohnzimmer der ebenfalls für das Seniorenforum engagierten Familie Vollert

Fast 80 junge Menschen sind bei der Taschengeldbörse in Rheinbach gemeldet. Sabine Mertes vermittelt sie an hilfsbedürftige Senioren und achtet erfolgreich darauf, dass die Chemie stimmt.

Noch ein paar warme Tage können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Herbst geworden ist. Außer Laubbeseitigung ist nun auch im Garten nicht mehr viel los, und in der Taschengeldbörse Rheinbach wird die Zahl der Aufträge, für die es so um die zehn Euro die Stunde gibt, sehr übersichtlich. „Wir haben gerade einen ganz guten Stand an Schülern, die Aufträge von Senioren übernehmen wollen. Allen können wir keine Tätigkeit vermitteln“, sagte Sabine Mertes, die Verantwortliche für diese Börse, im Gespräch mit der Rundschau.

Im Vorstand des Seniorenforums Rheinbach ist Merten mit ihren 69 Jahren die Jüngste. Als Soldatenfrau ist sie oft umgezogen. „Dreimal haben wir in Rheinbach gewohnt, seit 2003 sind wir hier nun sesshaft. Die Stadt ist die eigentliche Heimat unseres Sohnes“, sagt Mertes, die ihrem Mann auch sechs Jahre in die USA gefolgt war. „In den Staaten läuft ohne Ehrenamt eigentlich gar nichts“, hat sie dort gelernt, und so engagierte sie sich damals in der Unterstützung der Familien deutscher Soldaten, die dort stationiert waren.

Rheinbach: Entstehung der Taschengeldbörse

Bei der Rückkehr nach Rheinbach arbeitete sie Günter Wittmer zu, dem damaligen Seniorenbeauftragten der Stadt, der auch ein Kamerad ihres Mannes war. Wieder ging es um die Unterstützung bedürftiger Familien. Doch bald merkte sie, wie sich ehrenamtliches Engagement an bürokratischen Hürden aufrieb. „Zudem durften wir keine Spenden annehmen.“ So entstand ein Verein, und alsbald schon - im Jahr 2016 auf Anregung des Jugendparlaments und in Zusammenarbeit mit dem Freiwilligenzentrum Blickwechsel - die Taschengeldbörse. Seitdem sind 585 Jobs vermittelt worden und einige dauerhafte Freundschaften zwischen Alt und Jung entstanden.

Schwere Maschinen sind tabu

Bürokratische Hürden sind alle längst geglättet, die jungen Leute bei ihrer Arbeit gut versichert, und Mertes schaut, dass es auch nicht zu gefährlich wird. Darum lässt sie keine Arbeiten zu, bei denen schwere Maschinen zu bedienen sind. Ein Rasenmäher ist das höchste der Gefühle, zumal das auch eine der häufigsten ausgeschriebenen Tätigkeiten ist. Unkraut jäten und mit der Schere Pflanzen stutzen gehört mit zu den Betätigungsmöglichkeiten, die Senioren in fortgeschrittenem Alter ohne Hilfe nicht mehr so gut selbst erledigen können.

Gleich danach folgt auf der Beliebtheitsskala die Arbeit mit Medien: „Am Handy und mit Computern kennen sich die jungen Leute einfach super aus, können beim Einrichten von Geräten helfen und sogar, wenn jemand sein Passwort verloren hat“, sagt Mertes. Hilfe im Haus, da zählt Einkaufen mit, und Tierbetreuung, sind ebenfalls zu vermitteln.

14 bis 20 Jahre sind die jungen Leute in der Regel alt, die sich bei der Börse anmelden. „Immer wieder melden sich auch Fast-14-Jährige, die sind aber auch schwerer zu vermitteln, weil Senioren sehr, sehr scheu sind, einen solch jungen Menschen zu beschäftigen. Die wünschen sich meist 16-Jährige“, sagt Mertes und muss darum bei den älteren Rheinbachern doch oft erst einmal Überzeugungsarbeit leisten.

Ich merke ja, wenn ich es mit einer Schlaftablette zu tun habe
Susanne Mertes, Seniorenforum Rheinbach über ihre Gespräche mit jungen Leuten

70 bis 80 Jugendliche stehen aktuell auf der Vermittlungsliste. Grundsätzlich telefoniert sie mit jedem, der sich auf dem Anrufbeantworter der Aktion bewirbt, vor allem, um den neuen jungen Menschen einzuschätzen. „Ich merke ja, wenn ich es mit einer Schlaftablette zu tun habe.“ Die Werbung hat sie im Internet und vor allem aber durch ihre Besuche in den Schulen gemacht. Mundpropaganda erledige den Rest. Der Erfolg ist so groß, dass sie auch schon 32 Wagenengel für die Sicherung der Festwagen im Karneval so gewinnen konnte, teils auch durch eine Gruppe engagierter Geflüchteter, die da fleißig mitwirkt.

Die Senioren, die sich auf einem anderen Anrufbeantworter melden müssen, wenn sie Unterstützung benötigen, führt Mertes auf einer gesonderten Liste. Den Umzug in einen anderen Ort oder ins Altenheim beziehungsweise der Tod sorgen dafür, dass diese Liste immer wieder schrumpft. 40 Namen stehen aktuell darauf. Derzeit gilt es also für die Taschengeldbörse, verstärkt Anbieter von Taschengeldjobs zu finden, Senioren, die Unterstützung benötigen. Mertes: „Die Jugendlichen sind schon traurig, dass sie weniger zu tun haben.“

Die Erfolgsgeschichte der Taschengeldbörse ist vor allem mit zwischenmenschlichen Verbindungen geschrieben worden. So gehörte Julius Clasen im Jahr 2016 zu den ersten vermittelten Schülern. Damals 15 Jahre alt, half er Marianne Schöneweiß mit seinen Computerkenntnissen, und die beiden treffen sich immer noch. Sie ist inzwischen 82 Jahre alt und weiß immer noch zu schätzen, wie gut der junge Mann erklären kann, so dass sie es versteht. „Er hat die nötige Geduld mit uns Älteren“, lobte sie damals bereits den Schüler, der inzwischen sein Studium absolviert hat. Inzwischen betrachtet sie Julius als ihren „Ersatzenkel“.

Mancher Senior hat vielleicht Angst, einen Fremden ins Haus zu lassen. „Zu Beginn steht vor allem die Hürde, nach Hilfe zu fragen“, weiß Mertes, zumal viele Senioren alleine seien, die Enkel meist weit weg wohnten. Erst zweitrangig gehe um Misstrauen und Sicherheit. In all den Jahren ist aber nichts passiert, wie Mertes versichert: „Ein einziges Mal gab es eine Anschuldigung, weil angeblich eine Brille verschwunden war. Zwei Tage später rief die Tochter an und meldete, sie war bloß verlegt.“

Wer ist eigentlich ein „Senior“ und kann Jobs anbieten. Mertes setzt spontan die Grenze bei 60 Jahren. „Wir haben aber auch schon jüngeren Paaren, die Unterstützung brauchten, Hilfe bei der Kinderbetreuung vermittelt.“ Eine kuriose Erfahrung brachte die Corona-Pandemie: „Wir waren auf einen großen Andrang vorbereitet und mussten dann lernen, dass die Nachbarschaftshilfe so gut funktionierte, dass alle Senioren, etwa für den Einkauf, gut versorgt waren. Für die Taschengeldbörse gab es damals sogar weniger zu tun als üblich, um Kontakte zu vermeiden.“

Kontakte sind aber wichtig. Mertes lässt kaum eine Vermittlung zu, wenn ein Senior nicht den Taschengeldjobber anleiten kann. Schließlich soll die Aktion auch Menschen zusammenbringen. So könne ein Senior sicher noch erklären, wie er seine Pflanzen im Garten gerne gestutzt haben möchte, wenn der Jugendliche zum Arbeiten komme.

Laubfegen und Töpfe rücken, stellt Mertes sich vor, gehen derzeit noch. Schnee räumen im Winter? Da hat sie eher bedenken: „Ich möchte nicht, dass die jungen Menschen morgens vor der Schule im Dunkeln durch den Schnee stapfen und sich in Gefahr begeben. Wenn jemand zufällig in der Nähe eines Seniors wohnt, mag das aber gehen.“

Auch nach einer Vermittlung bleibt Mertes in Kontakt mit beiden Seiten. Sie schaut, ob die Chemie stimmt: „Sonst würde ich einen anderen suchen.“ Und sie moderiert bei Unstimmigkeiten, also wenn ein Schüler „runde Ecken mäht“ und ein Senior damit unzufrieden ist. Meist passen die Paarungen aber gut.„ Wir hatten bislang zwei blinde Personen in der Vermittlung, denen vorgelesen wurde. Einer der Schüler hält seinen Kontakt auch jetzt nach seiner Banklehre noch aufrecht.“

Sabine Mertes ist übrigens auch schon von ihrer Arbeit für die Kleiderstube bekannt, die vor allem Flüchtlinge ausgestattet hat. Das habe ich drei Jahre lang gemacht, und dabei ist uns auch „ein Sohn aus dem Iran zugelaufen“, berichtet sie. Das heißt, sie und ihr Mann haben einen inzwischen 38-Jährigen so intensiv betreut, dass er inzwischen ausgebildeter Elektriker ist. Als Dank empfindet sie seine Worte: „Ohne Euch hätte ich das wegen der Schule nicht geschafft.“