Der achte Hilfsgütertransport von „Rheinbach hilft“ hat die Akteure an ihre Grenzen gebracht. Sie standen in einem Wald nahe der Front nach dem Abzug der Russen plötzlich vor Hunderten von Gräbern.
Rheinbach hilftWo Russen Hunderte Leichen verscharrten – Hilfskonvoi erlebt „Horror“ hautnah
„Es war die härteste aller Touren“, sagt Alfred Eich, der Vorsitzende des Vereins „Rheinbach hilft“. „Am 23. Juni sind wir von unserer achten Tour nach Charkiw zurückgekommen.“
Mehr als drei Tonnen medizinische Hilfsgüter, so Eich, seien an Bord des roten Ford Transit gewesen, der dem Verein gehört. Eine Fracht, deren Verkaufswert er auf 25.000 Euro schätz. Diesmal war er mit dem stellvertretenden Vorsitzenden, Andreas Klassen alleine unterwegs.
„Wir hatten alles dabei, was in ein Krankenhaus gehört: Kanülen, Windeln für Erwachsenen, Pflaster, Katheder. Aber keine Klamotten. Die sammeln wir derzeit nicht, weil sie vor Ort auch nicht gefragt sind.“ Bis zum 29. Juli sei die Annahme von Spendengütern in Rheinbach wegen der Ferien geschlossen.
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Am 18. Juni waren Eich uns Klassen gestartet, morgens um 4 Uhr. Hinter der polnischen Grenze legten sie auf ukrainischem Gebiet eine Zwischenübernachtung ein, wo auch viele Geflüchtete untergebracht sind. Über Kiew mussten die beiden nochmals 1000 Kilometer zurücklegen, um Charkiw zu erreichen. Gegen Abend sind sie am zweiten Tag ihrer Reise dort angekommen. „Unterwegs ist der Turboschlauch gerissen, alle Lampen gingen an, wir sind trotzdem weitergefahren. Es war schon abenteuerlich.“
Vor Ort wurde sortiert. Für 1500 Euro hatte er eingekauft und auch gespendete Lebensmittel an Bord. "Dann ging es ab in die Dörfer." Vier bis fünf Kilometer seien es vor dort nur noch bis zur Front gewesen.
„Wir sind zuerst zu einem Pfarrer gefahren. Die kennen sich alle untereinander. Unser Kontaktmann, Jakob von einer freien Kirche, ist mit uns in ein Waldstück gefahren. Was wir dort erlebt haben, war der Horror. Dort waren große Löcher gegraben, in die man mit einem Panzer hätte hineinfahren können. Waren dort, wo vorher Russen waren.“ Das Grauen daran: 500 Gräber im sandigen Boden, alle leer. „Die Russen hatten, bevor sie die Stellung verließen, über 500 Ukrainer gefoltert und abgeschlachtet“, erfuhr Eich von dem Pfarrer. „Sie haben sie im Waldboden verscharrt. Der Pfarrer hat alle 500 Leichen ausgegraben. Die Ukrainer haben sie in Säcke gesteckt, nummeriert und mit Holzkreuzen auf einem Friedhof in einem anderen Wald bestattet.“
Vom Pfarrer erfuhr Eich per Dolmetscher: Er habe nur funktioniert. Es sei kaum zu ertragen gewesen. Als Andreas Klassen sagte: „Riech' mal! Hier riecht es nach Tod und Leichen“, roch Eich es auch. „Ich schätze, es gab dort auch 50 Löcher, in denen Panzer standen.“
Auch zwei Wochen nach der Rückkehr sagt Eich: „Ich weiß schon, mit solchen Dingen umzugehen. Aber das war doch eine Schippe zu viel.“ Seine erste Reaktion war, er bräuchte eine Pause. „Aber wenn man nach Hause fährt und sieht die, die nichts zu Essen haben ...“ Also wird er Ende August wieder auf Tour gehen.
Denn es gibt auch schon wieder Zusagen für weitere Spenden. „Wir bekommen noch ein Notstromaggregat für 80 Kilowattstunden Strom aus Süddeutschland. Jemand bringt es her, und wir werden es zu einem Krankenhaus in die Ukraine transportieren.“ Damit es nicht verhökert wird, hat Eich beschlossen, dass das Aggregat Vereinseigentum bleiben und verliehen werden soll. „Wir haben noch einen Anhänger gekauft, einen Viertonner, denn das Aggregat wiegt 700 Kilogramm.“
Zahlreiche Reparaturen in ukrainischen Werkstätten
Die Touren in die Ukraine sind jedes Mal eine Herausforderung. „Das klappt nur, weile es mit Andreas Klassen zwischenmenschlich stimmt. Es sind ja 5000 Kilometer, die wir gemeinsam zurücklegen. Er kann simultan übersetzen. Wir bereden alles.“ Klassen wohnt - wie der gesamte Vorstand von „Rheinbach hilft“, mit Ausnahme des Vorsitzenden, in Swisttal.
Der rote Transit ist nun so oft repariert, dass er auch die nächsten Fahrten überstehen sollte. Eich: „Die Bremsen und Sättel wurden unterwegs gemacht, und auch die Schläuche sind ersetzt worden - mit Neuteilen auf einem Schrottplatz in einer regulären Werkstatt. Das hat dort umgerechnet 94 Euro inklusive Turbo ausbrennen gekostet. Wir haben mit ukrainischem Geld bezahlt.“ Bei einer früheren Fahrt sei schon der linke Turboschlauch für umgerechnet 7 Euro frei gebrannt worden.
Auf die Hilfsbereitschaft der Ukrainer kann sich das Gespann aus Rheinbach verlassen. „Der Bus hat eine Automatik, die bei einem starken Rums den Motor abstellt“, sagt Eich. Als sie mal wieder durch ein Schlagloch gerumpelt seien, hätten sie zunächst hilflos am Straßenrand gestanden, weil sie den Reset-Knopf noch nicht kannten. „Jemand hat uns 30 Kilometer weit abgeschleppt. Derjenige wollte partout kein Geld, nahm aber zwei Tassen Kaffee an.“
Hundefutter aus Extraspende verteilt
Aus einem Sonderfonds der Stadt Rheinbach stehen dem Verein 4500 Euro zur Verfügung, und es gibt zahlreiche auch große Spenden. Und auch kurioses. So hat eine Frau aus Flerzheim 250 Euro „für Hundeleckerli“ gespendet. „Also haben wir von dem Geld Hundefutter gekauft und immer, wenn wir unterwegs Straßenhunde sahen, Futter verteilt.“
In Rheinbach will der Verein am 6. August groß feiern. Für dieses Familien- und Kinderfest im Freizeipark soll es 500 Verzehrbons geben. „Es geht um Inklusion und Integration“, kündigte Alfred Eich an. Darum sind zum Ferienausklang gezielt auch Kinder aus der Ukraine und aus Syrien eingeladen. Der Verein mit seinen inzwischen weit mehr als 100 Mitgliedern sei Ausrichter und Veranstalter zugleich.
In der Woche danach werde es Lesungen und Konzerte geben. Ein Wirt, und die Feuerwehr seien beteiligt. Das „Hoffnungswerk“ komme mit seinem Doppeldeckerbus, es gebe Kutschfahrten und Ponyreiten. Eine Hüpfburg von zwölf Mal zwölf Metern will Eich organisieren und eine große Bühne für eine bekannte Band. Bernd Schumacher werde auf der Bühne sein und ein Trikot des Radfahrprofis Christian Knees versteigert.