300 Jahre alter Baum gefälltVon den letzten Minuten einer alten Eiche in Rheinbach
Rheinbach – Kurz vor 10 Uhr: Frank Bungart, der Vorarbeiter der vier städtischen Forstwirte, ist startklar. Der Traktor, der mit einer Seilwinde die etwa 300 Jahre alte Eiche erst sichern, dann umziehen soll, steht in Position. Der Waldweg ist für Fußgänger, Fahrzeuge und Reiter gesperrt. Doch es fehlen Polizei und Feuerwehr. Sie waren dazu bestellt worden, die Straßengabelung am Forsthaus abzuriegeln. Ein Anruf klärt um 10.17 Uhr auf: Die Polizei hat gerade für Rheinbach und Meckenheim nur einen Streifenwagen frei. Sie will erst kommen, wenn etwas passiert. Die Feuerwehr braucht eine Erinnerung und ist „in fünf Minuten da“.
Bungart schaut sich derweil voller Ehrfurcht, aber auch traurig den Baum an, den er fällen muss. Er trägt das weiße Dreieck, das ihn eigentlich als Habitat-Baum auf ewig schützen sollte. „Er ist schon ganz dürr oben. Man konnte vom Forsthaus aus zusehen, wie er von Jahr zu Jahr vergreist ist. Am Fuß haben sich Pilze und Fäulnis breitgemacht. Ein fortschreitender Prozess.“ Der erfahrene Forstwirt erinnert sich, als vor mehr als 20 Jahren „die Königin“ fallen musste, eine mächtige Buche. „Das hat damals für Aufsehen gesorgt. Seitdem habe ich keinen solch mächtigen Baum mehr gefällt. Die ,Prinzessin‘, eine kleinere Buche, steht noch.“ Dieses „noch“, klingt aber nach ablaufender Uhr.
Bei der Eiche am Zusammentreffen von L 113 und L 492 hat sich laut Förster Tölle der Borkenkäfer ins Holz gefressen. Der Eichenprachtkäfer, um genau zu sein. „Ich könnte dem Baum jetzt noch ein oder zwei Jahre zuschauen, aber die Gefahr ist, dass er umfällt“, sagt der Verantwortliche für den Rheinbacher Stadtforst. Auf 33 bis 35 Meter Höhe schätzt er die Eiche. „Sie ragt über die anderen Bäume hinaus. Aber letztlich gibt der Boden vor, wie hoch die Bäume werden können.“ Im Stadtwald ist das Pseudovergleyter Löslehm – ein Überbleibsel der letzten Eiszeit. „Eine Tonschicht dichtet diesen Boden nach unten ab, so dass der Wasservorrat darin wie in einer Wanne zu Ende gehen kann. Das Problem haben wir hier seit 2018. Viele Bäume haben ohne Wasser den Käfern nichts mehr entgegenzusetzen.“
Die Feuerwehr rückt an. Der Förster und Mitarbeiter helfen, mit Fahnen die Straße abzusperren. Nun wird es ernst für den Baum. Am Stamm ist die Vorarbeit gemacht. „Der Fallkerb gibt die Richtung vor“, erklärt Bungart, der hier per Kopfhörer-Mikrofon-Anlage das Kommando gibt. Die Wurzelansätze an den Seiten sind bereits senkrecht angeschnitten, der Fällschnitt angesetzt. Noch einmal zieht Bungart die Kerbe nach und rutscht prompt mit dem 75 Zentimeter langen Blatt der Motorsäge ins Herz des Baumes ab. „Der Kern ist faul“, gibt er per Funk durch. Nun sind die Kollegen alarmiert, denn solch ein fauler Baum kann beim Fällen ganz unerwartet brechen oder kippen.
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Die Seile sind auf Zug, als Bungart mit der Motorsäge – sie wiegt vollgetankt etwa zehn Kilogramm – den Fällschnitt gegenüber der Kerbe vergrößert. Mit rund neun PS aus dem 120-Kubik-Motor angetrieben, frisst sich die Kette durch das Holz. Förster Tölle, der von der L 113 aus zuschaut, wird es mulmig: „Ein schlechtes Zeichen. Der Baum ist zurückgewippt.“ Doch alles geht gut. Um 10.23 Uhr zieht der Traktor an, der Baum kippt komplett und schlägt mit voller Wucht auf den Waldboden auf. Die vermoosten, teils verfaulten Äste aus der Krone bedecken den Boden wie ein Trümmerfeld. „Der war oben komplett faul“, urteilt der Experte.
Stadtwald
26,5 Prozent des Rheinbacher Stadtgebiets sind Wald: 1850 Hektar. 830 Hektar gehören der Stadt. 45 Prozent der Bäume sind Eichen. (mfr)
Im Boden ist nur noch die mächtige Baumscheibe verwurzelt. In ihrem Herz ist das Nest von Mäusen zu sehen. Sie hatten es sich wollig gemütlich gemacht und auch Nüsse eingelagert. Im Stamm reicht der Stiel einer Axt gut 60 Zentimeter ins faule Herz des Baumes. „Weniger als ich gedacht habe“, sagt David Pütz, der wie Viktor Lust und Georg Strehlow zum Team des Forstamtes gehört. Der Stamm scheint auf viele Meter gesund und hat wenig Äste. Das prädestiniert ihn für eine wirtschaftliche Verwendung. „Womöglich wird er im nächsten Jahr bei der Holzversteigerung für die Möbelindustrie angeboten“, schätzt Tölle. Ihm ist aber wehmütig ums Herz wegen des einst stolzen Baumes, und er tröstet sich: „Das ist Natur. Das gehört dazu.“