„Mit 63 Jahren bin ich die Jüngste, danach kommt lange nichts mehr“, sagt die Leiterin der Windecker Tafel.
SchlangenTafeln im Rhein-Sieg verzeichnen Rekord-Zulauf – Weniger Waren aus Supermärkten
Wenn mittwochnachmittags die ehrenamtlichen Helfer der Arbeiterwohlfahrt die Türen der Tafel in Königswinter öffnen, dann wartet stets schon eine „Riesenschlange“ an Menschen vor dem Gebäude, berichtet Jonny Natelberg. 430 bedürftige Menschen, davon gut die Hälfte Kinder und Jugendliche, sind in Königswinter auf die Lebensmittel angewiesen, so der Leiter der AWO-Tafel in der Drachenfelsstadt.
Und während die Zahl der Bedürftigen zunehme, würden die von Supermärkten zur Verfügung gestellten Waren immer weniger. Weil die Läden ihre Geschäfte ständig optimierten.
Andrang bei den Tafeln im Rhein-Sieg-Kreis nimmt zu
Insgesamt 40 ehrenamtliche Helfer kümmern sich bei der Tafel in Königswinter, die in den Räumen der einstigen Kita Mikado neben der CJD-Schule ihre Bleibe gefunden hat, um den Transport der Waren, deren Aufbereitung und die Verteilung. Dabei sei der Ablauf weitgehend digitalisiert, berichtet Jonny Natelberg. So würden Haushaltsbescheinigungen der Anspruchsberechtigten am Eingang gescannt.
Ein Schritt, den die AWO auch in ihrer Tafel in Hennef gehen will, wie Manuela Klock-Rousselli sagt, die Leiterin der vier AWO-Tafeln. In Hennef würden zurzeit zweimal die Woche insgesamt rund 700 Menschen versorgt. Durch eine Umgestaltung der Räume, eine schnellere Anmeldung und verbesserte Abläufe hofft die Arbeiterwohlfahrt, in Hennef den zurzeit noch geltenden Aufnahmestopp aufheben zu können.
Laut Manuela Klock-Rousselli nimmt der Andrang bei den Tafeln der AWO Bonn/Rhein-Sieg – sie trägt die Einrichtungen in Königswinter, Bad Honnef, Hennef und Much – stetig zu. Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine sei der Bedarf noch einmal stark gestiegen. Aber auch Seniorinnen und Senioren müssten verstärkt unterstützt werden. Die Lebensmittelpreise seien so stark gestiegen, dass sie mit der schmalen Rente trotz aller Sparsamkeit nicht mehr hinkämen.
780 Menschen werden von der Eitorfer Tafel versorgt
Rund 170 Ehrenamtler sind in den vier Tafeln aktiv, so Heinz-Willi Schäfer, der Kreisvorsitzende der AWO Bonn/Rhein-Sieg. Während die Organisation vor zwei Jahren noch aus eigenen Mitteln Geld zuschießen musste, gehe derzeit die Finanzierung über Spenden auf, sagte Schäfer.
Auch der Katholische Verein für soziale Dienste im Rhein-Sieg-Kreis (SKM) betreibt Tafeln an sechs Standorten. In Troisdorf werden hier 500 Familien aus Troisdorf und Siegburg versorgt, teilt die ehrenamtliche Mitarbeiterin Kunigunde Andrée mit: „Seit 2015 mussten wir die Gruppen teilen, da es durch die Geflüchteten sehr viel mehr Bedarf gab. In den letzten zwei Jahren ist der Zulauf nochmal viel stärker geworden durch die Ukrainischen Geflüchteten“. In vier Gruppen können bedürftige Menschen nun je alle 14 Tage zur Tafel in Troisdorf kommen, so Andrée.
Auch in der Eitorfer Tafel des SKM stieg der Bedarf in den letzten Jahren ständig, so der Vorsitzende Paul Hüsson: „Wir haben vor drei Wochen den dreihundertsten Haushalt erreicht, das sind 780 Menschen. Davon sind 220 Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre“. Vor sieben Jahren habe man mit 47 Haushalten angefangen, so Hüsson: „Die Tafel ist leider ein Wachstumsgeschäft“.
Nachwuchssorgen treiben viele Tafeln im Rhein-Sieg-Kreis um
Verhältnismäßig wenige alleinstehende Menschen kommen zur Tafel in Eitorf, so Hüsson. Den Großteil bilden Familien, sehr oft alleinerziehende Eltern, während Rentner eine eher kleine Gruppe bilden: „In Eitorf ist es noch so, dass die Altersarmut relativ gering ist. In den nächsten zwei bis drei Jahren rechnen wir da aber mit einem deutlichen Anstieg.“ Geflüchtete aus der Ukraine besuchen die Tafel meist nur für wenige Monate, da sie wegen ihres Status oft schneller eine Arbeitsstelle finden können als andere Geflüchtete, so Hüsson.
Da die Tafel auch in Eitorf Versorgungsengpässe habe, habe man die Kunden hier ebenfalls in zwei Gruppen aufgeteilt, so Hüsson: „Wir machen keine Warteliste – das würde ich nicht übers Herz bringen. Wenn eine Mutter mit zwei Kindern in Not ist, soll sie auch sofort Hilfe bekommen“.
Genug Spenden bekomme man für die täglichen Ausgaben nicht, so Hüsson: „Von Supermärkten kriegen wir immer weniger, deren Kalkulation wird immer besser. So eine Aktion wie die Rettertüte von Lidl – das ist die Ware, die wir normalerweise abgeholt hätten. Dass die jetzt noch verkaufen, kann ich auch verstehen, so werden die Lebensmittel ja auch gerettet – aber uns tut das schon auch weh.“
Eine Entwicklung, die auch Kunigunde Andrée aus Troisdorf beobachtet: „Mit unseren Kapazitäten sind wir regelmäßig am Ende. Teilweise bekommen wir weniger Spenden, da die Geschäfte selber Lebensmittel, die kurz vorm Ablauf sind, günstiger verkaufen“.
Nachwuchssorgen bei den Ehrenamtlern treiben Gitta Wiens vom Verein „Windeck hilft“ um, der die Tafel am Pfarrer-Stiesch Platz betreibt. „Mit 63 Jahren bin ich die Jüngste, danach kommt lange nichts mehr“, sagt die Vereinsvorsitzende. Zum Start der Tafel im Jahr 1998 seien vielleicht zehn Menschen gekommen, es sei über den Bedarf einer solchen Einrichtung in Windeck diskutiert worden. „Jetzt versorgen wir 140 Menschen – auf unserer Warteliste stehen weitere 60.“