Weil seine Filiale nach Ansicht der Handwerkskammer Köln zu weit entfernt liegt vom Hauptsitz, wurde der Friseur wegen Schwarzarbeit angezeigt.
ProzessWarum ein paar hundert Meter einen Königswinterer Friseur fast die Existenz kosteten
Es mutet an wie eine Rechtsposse, doch dem Friseurmeister Abdulmecit Cendek ist das Lachen längst vergangen. Weil seine Zweigstelle in Niederdollendorf nach Ansicht der Handwerkskammer zu Köln zu weit entfernt liegt vom Hauptsitz in der Königswinterer Altstadt, zeigte ihn die Körperschaft wegen Schwarzarbeit an. Gegen den Bußgeldbescheid über knapp 10.000 Euro legte er Widerspruch ein. Der Fall landete vor dem Amtsgericht.
„Keiner meiner Kunden versteht das, ich verstehe das ja selbst nicht“, sagte der 47-Jährige in der Hauptverhandlung. Der seit langem schwelende Streit lasse ihn verzeifeln, ja, er sei geradezu existenzgefährdend. Denn das zweite Ladenlokal an der Heisterbacher Straße, das er im Juli 2021 eröffnete, musste er im März 2023 wieder schließen. An der Tür hängt ein roter Zettel, wie ein Gefahrenhinweis: „Achtung, diese Geschäftsräume sind amtlich versiegelt.“
Die Mietkosten liefen allerdings weiter - seit 17 Monaten zahle er, ohne Einnahmen erzielen zu können. Auszubildende konnte er nicht übernehmen, zwei frühere Vollzeitkräfte beschäftigt er nur noch stundenweise: „Ich will sie unbedingt halten.“ Freunde, Bekannte, Verwandte hätten ihm schon Geld geliehen, das Jobcenter unterstützt die Familie, die jüngsten Kinder, zwei Zwillingspaare, sind gerade mal drei und fünf Jahre alt. Ein Sachbearbeiter des Job-Centers verfolgte die Verhandlung in Siegburg.
Betriebe eines Handwerksmeisters dürfen nur 15 Gehminuten auseinanderliegen
Amtsrichterin Julia Dibbert hatte sich eingearbeitet in die nicht unkomplizierte Materie, hatte sowohl ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 1994 ausgegraben, wie auch ein zweites vom Oberverwaltungsgericht Köln von Mai 2024, das die BVG-Entscheidung bestätigte. Demnach kann ein Handwerksmeister eine Zweigstelle innerhalb eines Kammerbezirks eröffnen. Von Gehminuten war keine Rede.
Das Urteil bezog sich zwar auf einen Fleischer, sei aber ohne weiteres auf einen Friseur zu übertragen, so die Richterin. Die Verwaltungspraxis der Handwerkskammer zu Köln sei nach ihrer Überzeugung „von der Rechtsprechung nicht abgedeckt“.
Laut einer internen Vorschrift der Kammer dürfen zwei Betriebe eines Handwerksmeisters höchstens 15 Gehminuten auseinanderliegen, damit dieser schnell vor Ort sein könne. Zwischen dem Hauptsitz von „Mecit Hairstylist“ an der Hauptstraße 467 und der genau drei Kilometer entfernten Zweigstelle in Niederdollendorf sind es laut Google Maps aber 42 Minuten zu Fuß.
Mit der Bahn oder mit dem Auto sei er in unter zehn Minuten dort, sagte der Selbständige in der Hauptverhandlung. Sein Verteidiger, der Bonner Fachanwalt Ulrich Almers, argumentierte, dass ein Meister ohnehin nicht immer vor Ort sein könne: „Auch für ihn gilt die 39,5-Stunden-Woche. Ein Salon hat 50 bis 60 Stunden in der Woche geöffnet, ein Meister ist auch mal im Urlaub oder krank, ohne dass ein Geschäft geschlossen werden müsste.“
Sein Mandant sei seit 2007 vorschriftsgemäß in der Handwerksrolle eingetragen, hatte anfangs einen Salon direkt gegenüber dem Königswinterer Amtsgericht, später eine Nebenstelle mit Wellness, Kosmetik und Fußpflege im Gebäude nebenan. Nach dem Umzug 2021 in die beiden drei Kilometer auseinanderliegenden Lokalitäten meldete er bei der Stadt Königswinter die Zweigstelle an, diese leitete die Information routinemäßig ans Finanzamt und an die Kammer weiter.
Im Januar 2024 war ein erster Bußgeldbescheid des Rhein-Sieg-Kreises als zuständiger Bußgeldstelle über knapp 4600 Euro in dieser Sache ergangen, der damals beauftragte Rechtsanwalt habe eine Frist versäumt, so Ulrich Almers. Cendek zahlt die für ihn exorbitante Summe in Raten ab, kratzt die Mittel mit Hilfe seines Umfelds zusammen. Und nun auf Betreiben der Handwerkskammer wegen der angeblichen Schwarzarbeit der mehr als doppelt so hohe Bußgeldbescheid des Kreises.
Das treffe ihn, betonte der Meister: „Ich hatte noch nie etwas mit dem Gericht zu tun, wollte immer korrekt handeln.“ Richterin Dibbert hob den Bußgeldbescheid auf und sprach Abdulmecit Cendek frei. Die Kosten des Verfahrens und für seinen Rechtsanwalt trägt die Landeskasse.
Die Filiale in Niederdollendorf bleibt noch zu, eine Rechtsbeschwerde ist möglich
Sein Anwalt riet ihm, die Zweigstelle noch geschlossen zu haben, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Die Staatsanwaltschaft kann in dem Ordnungswidrigkeitsverfahren noch in Rechtsbeschwerde gehen.
Er werde für seinen Mandanten prüfen, ob der erste Bußgeldbescheid nachträglich außer Kraft gesetzt werden könne, kündigte Almers an. Eventuell könne der erste Rechtsanwalt in Regress genommen werden. Dabei gehe es auch um den Verdienstausfall in den vergangenen 17 Monaten.
Die Kammer wollte zu dem konkreten Fall keine Stellung nehmen, da ihr das Gerichtsurteil noch nicht vorliege. Ihre Verwaltungspraxis diene der „Gefahrenabwehr“, da in Salons auch mit Chemikalien, zum Beispiel beim Haarefärben, gearbeitet werde. „Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Kundinnen und Kunden überwiegt grundsätzlich die Gewerbetätigkeit der Saloninhaber bezüglich eines zweiten, weiter entfernten Salons“, so Jürgen Fritz, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln.
Dieser könne mit einer qualifizierten Betriebsleitung (mit Meistertitel) betrieben werden. Man orientiere sich an einem Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg aus dem Jahr 2002, „das von einer zehnminütigen Entfernung ausging“.