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Familien im Keller verstecktElf neue „Stolpersteine“ in Bornheim verlegt

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An die geflüchteten Familien Scheuer und Sax erinnern die Messingschilder an der Bonner Straße 70.

Bornheim – Terri Pazornick und ihre beiden Schwestern kämpften mit den Tränen, als sie weiße Rosen auf die gerade von Gunter Demnig verlegten Stolpersteine für ihre Vorfahren niederlegten. Die drei Amerikanerinnen wollten unbedingt in Bornheim dabei sein, wenn die an der Bonner Straße 70 in Roisdorf im Boden verlegten Quader für immer an ihre Familie erinnern, die vor den Nazis in die USA geflüchtet waren. Insgesamt elf Stolpersteine hat der Künstler Guter Demnig am Montag im Bornheimer Stadtgebiet in die Erde eingelassen. Er selbst ist dabei ganz bei der Sache.

Alt-Bürgermeister mit dabei

Er sei schon ein bisschen stolz, dass die Bornheimer Stolperstein-Aktion noch in seiner Amtszeit begonnen habe, sagte Alt-Bürgermeister Wolfgang Henseler, der als Ehrengast dabei war. Besonders gut sei, dass jetzt auch an die Familien geflüchteter Juden in Bornheim erinnert werde. Familien wie die des Metzgers und Viehhändlers Michael Scheuer und dessen Frau Adele, die an der Bonner Straße gewohnt hatten. Elisabeth, die Jüngste unter ihren sechs Kindern, heiratete 1931 den aus Aschendorf stammenden Jakob Julius Sax; sie bekamen Sohn Ralph und Tochter Ruth. Schon zu dieser Zeit hatten die Nazis die Macht übernommen, ihre Doktrin durchdrang alle Lebensbereiche. Weil Michal Scheuer 1935 „in Schutzhaft“ genommen worden war und nur gegen ein hohes Lösegeld freikam, ahnte die Familie was auf sie zukam.

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Sie bemühte sich um die begehrten Visa für die USA. Hertha Scheuer floh 1936, Julius ein Jahr später, Sohn und Ehefrau 1938. Michael und Adele Scheuer waren mit Enkelin Ruth noch in Deutschland, als 1938 die Synagogen brannten und ihr Geschäft zertrümmert wurde. Nachbarin Renate Mangels erinnerte sich am Montag: „In dieser Nacht hat mein Großvater Johann Giesen die Familie in seinem Keller versteckt.“ Mangels war es auch, die der Stadt den Tipp gab, wo die Familien gewohnt hatten. Die drei Töchter von Ruth Sax waren also am Montag dabei, als an ihre Familie erinnert wurde.

Patenschaft übernommen

Das Schicksal der einst Geflüchteten hatte auch Henriette und Horst Becker aus Merten sehr berührt. So sehr, dass sie eine Patenschaft über den Stolperstein von Elisabeth Sax übernommen haben und auch dabei waren, als er verlegt wurde. Die Bonner Gästeführerin findet es „toll, dass in Bornheim schon so viele Steine verlegt worden sind“, sagte Henriette Becker gestern. Paten wie sie, die für einen Gedenkstein 120 Euro bezahlen, finanzieren die gesamte Aktion.So viel Glück wie die Familien Scheuer und Sax hatten Moses, Sibilla und Tochter Marta Katz in der Secundastraße 7 nicht. Hier war einst das Zentrum jüdischen Lebens in Bornheim, im Hinterhof des Wohnhauses befand sich die erste Synagoge der Stadt. Gleich nebenan wohnte Familie Katz. Sie alle mussten 1942 ins Sammellager nach Bonn-Endenich ziehen, wurden von dort aus 1942 in die Vernichtungsstätte Maly Trostinec (Weißrussland) gebracht und ermordet. Auch an sie erinnern seit Montag drei Stolpersteine.

"Schicksale mahnen uns"

Amalia Nathan war 84 Jahre alt, als sie gezwungen wurde, ihr Haus an der Königstraße 75 zu verlassen und nach Köln zu ziehen. 1941 wurde die alte Dame mit 508 anderen Menschen jüdischen Glaubens in einen Zug gesperrt, nach Theresienstadt deportiert und ebenfalls ermordet. Ihr zu Ehren wurde Stolperstein Nummer elf an dieser Adresse verlegt. „All diese Schicksale mahnen uns zu einer humanistischen Flüchtlingspolitik“, sagte Bürgermeister Christoph Becker. Sein Dank galt auch Stadtarchivar Jens Löffler, der den Kontakt zu den Hinterbliebenen aufgenommen und gepflegt hat. Besonders erfreut war Becker, dass eine Schülergruppe des Alexander-von Humboldt-Gymnasiums dabei war, die Interviews mit Gunter Demnig und den Angehörigen der Familie für den Unterricht führen wollten.

Im Mai 2023 wird Demnig seinen 100 000. Stein verlegen und dann mit der Aktion in 30 Ländern der Welt vertreten sein.