Manfred Lütz (71) aus Bornheim verbindet mit Papst Franziskus berührende Erlebnisse und wünscht sich vom nächsten Papst, dass er ihn „fruchtbar irritiert“.
Manfred Lütz im GesprächDieser Bornheimer lernte drei Päpste näher kennen

2016 direkt rechts hinter Papst Franziskus: Manfred Lütz im Kreis der Kinder von Brücke-Krücke aus Bonn
Copyright: Manfred Lütz
Der Bornheimer Psychiater und Diplomtheologe Manfred Lütz ist Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben und war „Konsultor der Kongregation für den Klerus“. Drei Päpste hat er ganz aus der Nähe erlebt, auch den verstorbenen Papst Franziskus.
Wie nah waren Sie am verstorbenen Papst?
Manfred Lütz: Wie eng kennt man einen Papst? Ich habe ihn jedes Jahr getroffen bei der Gruppenaudienz der „Päpstlichen Akademie für das Leben“ und dem „Dikasterium für Laien, Familie und Leben“. Da wechselt man kurz ein paar Worte, sagt, wo man her ist. Im März hätte es wieder ein Treffen gegeben, doch da war er gerade im Krankenhaus. Ich hatte aber mal mit Franziskus ein berührendes Gespräch unter vier Augen. Damals hat er mir seine private E-Mail gegeben, so dass ich ihn vor anderthalb Jahren fragte, ob er Lust habe, Otto Kernberg zu treffen, einen aus Wien zunächst nach Chile geflohenen Juden, der ein bekannter Psychotherapeut ist und nun in den USA lebt. Er hat sehr freundlich geantwortet und eine handschriftliche Karte geschickt. Otto Kernberg war schließlich eine Stunde bei ihm.
Im Vorfeld hatte ich den Sekretär des Papstes angeschrieben, um zu erfahren, wie das abläuft. Man kann ja nicht einfach irgendwo klingeln und zum Papst wollen. Der Papst schrieb dann wieder selbst, nannte die Pforte, zu der Kernberg kommen könne und organisierte alles selbst. Er wollte keine andere Machtinstanz neben sich haben – wie das die Vorgänger hatten. Das war schon in Argentinien seine Art. Solch ein Vorgehen hat sicher Vor- und Nachteile, und er hätte sicherlich Besseres zu tun gehabt.
Aber wie war Ihr Gespräch mit dem Papst?
Das war sehr persönlich. Ich hatte ihn am Ende gebeten, für einen Menschen zu beten, der ein großes Problem hatte. Er fragte gleich nach dem Namen und sagte dann, er komme sofort wieder. Damals konnte er schon schlecht gehen, aber er ging selbst raus, fuhr mit dem Aufzug in seine Wohnung und schenkte mir bei der Rückkehr einen Rosenkranz, den er eigens für ihn geholt hatte. Er hätte ja einfach einen Schweizer Gardisten schicken können, aber das war seine persönliche Art. Er war gerne Seelsorger.
Sie haben sich sehr für die Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche eingesetzt. Wie erfolgreich war er dabei?
2003 fand der erste vatikanische Kongress zum Missbrauch statt. Papst Benedikt hat sich sehr intensiv damit befasst, denn es hatte ihn sehr betroffen gemacht. Ratzinger hat auf Konsequenzen bestanden. Schon 1999 war ich bei einem Geheimgespräch im Vatikan dabei, und Ratzinger war damals der einzige der Kardinäle, der sich für konsequentes Handeln einsetzte. Papst Franziskus, schien mir, war auf das Thema nicht richtig vorbereitet. Er ist ein aufrechter Mensch gewesen. So setzte er sich für einen Bischof ein, gegen den Vertuschungsvorwürfe erhoben worden waren, weil andere nur Gutes über den Mann berichteten. Franziskus hat sich später für seine voreilige Reaktion entschuldigt und ab 2019 sehr intensiv um das Thema gekümmert. Weltweit hat er alle Bischofskonferenzvorsitzenden zu einem Treffen eingeladen und neue rechtliche Normen eingeführt.
Was unterscheidet Papst Benedikt von Papst Franziskus?
Franziskus war gerne Papst. Papst Benedikt eher nicht. Der zog sich zurückzog, als er merkte, dass er den Anforderungen nicht mehr gerecht werden würde. Die beiden hatten ganz unterschiedliche Mentalitäten. Theologisch aber waren sie, wie sie mir beide versicherten, ganz auf einer Linie.
Haben Sie Sorgen oder Wünsche für die kommende Papstwahl?
Ich hoffe, dass wir einen Papst bekommen, der mich fruchtbar irritiert. Anregung ist wichtig. Wir hatten in der Vergangenheit immer viel Glück mit den Päpsten. Die Katholische Kirche versammelt immerhin 1,4 Milliarden Menschen weltweit, und hat keine ökonomischen, sondern werteorientierte Ziele. Sie hält Menschen aus dem Süden und dem Norden zusammen. Es ist wichtig, dass Päpste unterschiedlich sind. In der Renaissance, also vor Jahrhunderten, war der nächste Papst meist ein Gegner des vorigen, und das war für die Kirche nützlich. „Einheit in Vielfalt“ ist ein katholisches Prinzip. Ich hoffe, der nächste Papst überrascht uns vielleicht mit einer ganz neuen Facette.