Das Dental Emergency Team aus Bornheim packte eine komplette Praxis in einen alten Rettungswagen und hilft derzeit Geflüchteten aus der Ukraine. Es war auch schon in Griechenland im Einsatz.
Praxismobil aus BornheimZahnarztteam hilft Geflüchteten aus der Ukraine
„Wenn jemand auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung ist, ist das schlimm genug, schlimmer wird es, wenn dann auch noch Zahnschmerzen hinzukommen und die Menschen dringend Hilfe benötigen“, weiß Alexander Schafigh. Daher hat der Bornheimer Zahnarzt vor drei Jahren das „Dental Emergency Team“ (kurz Dental-EMT) gegründet, um Menschen in Not zahnmedizinisch zu versorgen, sowohl in Flüchtlingslagern in Griechenland als auch aktuell im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet.
Wie enorm der Aufwand ist, den Betroffenen zu helfen, zeigen Alexander Schafigh und Christian Novoselac vor dem Wohnhaus der Familie Schafigh in Hersel. Dort ist ein ehemaliger Rettungswagen geparkt. Doch Notfallpatienten werden darin schon lange nicht mehr transportiert, wie die beiden zeigen, als sie die große Schiebetür des Gefährts öffnen. Im Inneren befindet sich eine mobile, komplett ausgestattete Zahnarztpraxis.
Novoselac, von Beruf Rettungssanitäter und Techniker aus Ludwigsburg, hat den ehemaligen Rettungswagen komplett entkernt, um darin die funktionstüchtige Zahnarztpraxis einzurichten. Die Bauzeit betrug zehn Monate. Gut 150 000 Euro wurde darin investiert – komplett durch Spenden finanziert. Einsatzgebiet ist die polnisch-urkainische Grenzregion. Erst im Frühjahr waren Navoselac und Schafigh vor Ort. Dann waren der TÜV und einige Reparaturen fällig und sie kehrten zurück nach Deutschland.
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Nun ging es erneut auf Tour, 1100 Kilometer von Bornheim entfernt. Das bedeutet rund elf Stunden Fahrt, die Navoselac alleine bewältigte. Dort übergab er das Fahrzeug Ärzten vor Ort und flog zurück nach Hause. Zahnärzte, zahnmedizinisches Fachpersonal und Studierende der Zahnmedizin aus ganz Deutschland wechseln sich in Teams ab, und besuchen die unterschiedlichen „Shelter“, Stützpunkte in Polen, wo Geflüchtete vor den russischen Aggressoren Schutz finden. Alles läuft ehrenamtlich, viele Helfer nutzen dafür ihren Urlaub.
„Die zahnmedizinische Versorgung läuft in den Flüchtlingslagern oder Notunterkünften im Gegensatz zur anderen medizinischen Versorgung eher so nebenbei, niemand hat sie so richtig auf dem Schirm“ schilderte Schafigh. Hinzu komme, dass das polnische Gesundheitssystem nicht so gut aufgestellt sei wie das deutsche und vielfach überlastet sei, nicht zuletzt auch wegen der vielen Geflüchteten: „Mit unserer Zahnstation können wir auch das polnische Gesundheitssystem entlasten. Oft warten Patienten Monate auf einen Behandlungstermin beim Zahnarzt“, so Schafigh.
Der Bedarf an zahnärztlicher Hilfe ist seiner Erfahrung nach enorm. Im Frühjahr und im Sommer, als das Fahrzeug zum ersten Mal an der Grenze war, haben die Ärzte rund 1000 Patienten behandelt: „Wir wurden regelrecht überrannt.“ Die Praxis ist nach modernsten zahnmedizinischen Standards ausgestattet, inklusive Klimaanlage, Absaugvorrichtungen, EDV-Anlage und – wenn es für die Kollegen mal besonders stressig wird, ist sogar eine Espressomaschine vorhanden, zeigt Novsoelac.
Sämtliche Zahnbehandlungen können die Ärzte vor Ort durchführen, ob Füllungen, Röntgenaufnahmen, Wurzelbehandlungen oder das Ziehen von Zähnen. Mobile Zahnarztpraxen gibt es einige, die Station aus Bornheim hat aber ein Alleinstellungsmerkmal, wie Novoselac vorführt. „Wir haben ein integriertes Notstromaggregat und eine Trinkwasseraufbereitung und sind damit autark.“ Das bedeutet, extrem ausgedrückt: „Im Ernstfall könnten wir sogar Patienten in der Wüste behandeln, wo es keinen Strom und kein fließendes Trinkwasser gibt.“ Bis zu fünf Tage reichten Strom und Wasser aus.
Diese Flexibilität soll auch genutzt werden, wenn in der Ukraine einmal Frieden einkehren sollte. So könnten Ärzte mit der mobilen Praxis in Länder fahren, die von Naturkastrophen heimgesucht wurden und dort den Opfern zu helfen. Wunsch ist es, ein zweites Fahrzeug finanzieren zu können. Dafür werden Spenden benötigt. „Für uns alle, die wir mitarbeiten, ist das ein großes Herzensprojekt“, betont Schafigh, der sich nicht erst mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges für Geflüchtete einsetzt.
Im 2020 abgebrannten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hatte er eine feste Zahnstation aufgebaut. Auch in einem Flüchtlingslager auf der fünftgrößten Insel Griechenlands, Chios, hat das Dental-ET eine solche Station errichtet. Alexander Schafighs Tochter Ann Christin, ebenfalls Zahnärztin, war mit vor Ort. Allerdings seien die griechischen Behörden mittlerweile sehr restriktiv und erschwerten die Arbeiten von Medizinern in den Lagern. Schafigh mutmaßt, die Behörden wollen es den Geflüchteten so unattraktiv wie möglich machen, nach Griechenland zu fliehen.
Das Dental-ET arbeitet eng mit anderen Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen zusammen, etwa mit dem Verein STELP aus Stuttgart mit dem der Rettungswagen für die mobile Zahnstation vom Bayerischen Roten Kreuz angeschafft wurde. Zu den Unterstützern und Sponsoren zählen Stiftungen, Unternehmen, Zahnärzte, aber auch Privatpersonen wie „die Oma, die zum 80. Geburtstag keine Geschenke wollte, weil sie schon alles hat“, so Schafigh.