Wohnhaus, Trauzimmer und MuseumEinst leerstehendes Gebäude am Bahnhof Witterschlick hat einiges zu bieten

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Der historische Bahnhof von außen mit seinem Stellwerk-Museum.

Im historischen Bahnhof ist ein Stellwerk-Museum eingerichtet.

Es lässt sich gemütlich in der kleinen Gartenlaube sitzen. Im Hintergrund fährt gerade die S23 ein. Willkommen am Bahnhof Witterschlick.

Diese Atmosphäre genießt das Ehepaar Söhngen bereits seit 2004. Damals hatten sie das leerstehende Bahnhofsgebäude gekauft und komplett saniert.

Wenn man so will, hat Albert Söhngen seinerzeit seinem Arbeitgeber seinen eigenen Arbeitsplatz abgekauft. Denn der heute 64-Jährige ist Eisenbahner mit Leib und Seele: Und das seit nunmehr 50 Jahren. Am 1. August feiert er sein goldenes Dienstjubiläum als Fahrgastleiter. Los ging alles am 1. August 1973.

Söhngen macht Karriere bei der Bahn

Da war der in Volmershoven geborene Söhngen gerade einmal 14 Jahre alt und hatte seinen Volksschulabschluss in der Tasche: „Wir wussten in dem Alter damals alle noch nicht, was wir werden wollten, also ging ich mit meiner Mutter zum Arbeitsamt, wo es hieß, dass die Bahn Leute suchen würde“, erinnert sich Söhngen im Gespräch mit der Rundschau.

Albert Söhngen ist Eisenbahner mit Leib und Seele. Er wohnt im Bahnhofsgebäude mit seiner Frau Annette.

Albert Söhngen vor dem Bahnhofsgebäude, in dem er mittlerweile mit seiner Frau Annette wohnt.

„Die Idee hat mich sofort gefesselt.“ Prompt erhielt er eine Zusage. Am Bonner Hauptbahnhof startete der Jugendliche seine dreijährige Ausbildung für den nicht-technischen Dienst. Dort machte er Karriere und geht so in wenigen Wochen als beamteter Fahrdienstleiter in den Ruhestand. „50 Jahre bei einem Arbeitgeber, das schafft heute kaum noch jemand, aber ich habe mich bei der Bahn immer wohlgefühlt. Das Arbeitsklima war gut. Es war ein loyaler Arbeitgeber“, schildert Söhngen.

Mit seiner Lehre war Söhngen fertig, da sei er „noch keine 18“ gewesen. Daher konnte er nicht direkt in seinem Beruf eingesetzt werden, wie er eigentlich sollte. Das war erst mit der Volljährigkeit möglich. Seine erste Station führte ihn dann nach Duisdorf auf den „Posten 4“, dem Bahnübergang Heister, der schon vor Jahren stillgelegt worden war. Die Station lag zwischen den Weck-Werken an der Alfterer Straße in Duisdorf und der Almabrücke am Gewerbepark Oedekoven. Sein Arbeitsplatz war eine marode Wellblechhütte.

Alte Stellwerkstechnik ist heute im Museum zu sehen.

Das alte Stellwerk im Stellwerk-Museum.

Unterbrochen wurde seine Karriere bei der Bahn in den Jahren 1977 und 1978 durch den Wehrdienst bei der Bundeswehr. Danach folgte der Aufstieg in den mittleren Dienst. Er arbeitete unter anderem in Roisdorf, Odendorf, am Bonner Hauptbahnhof und schließlich in Witterschlick.

Gebäude 1903 zu Reichsbahnzeiten erbaut

Söhngen war dafür verantwortlich, die richtigen Weichen zu stellen, das Gepäck der Reisenden abzufertigen oder Tickets zu verkaufen. Bis zur beginnenden Privatisierung 1994 war es üblich, dass auch kleinere Bahnhöfe noch Fahrkartenschalter hatten, wo die Passagiere ihre Tickets vor Ort kaufen konnten.

Die Technologisierung und die Digitalisierung schritten jedoch voran. Der Service wurde abgebaut, Schalter geschlossen, manuelle Stellwerktechnik wurde durch computergesteuerte ersetzt. Es folgten Schulungen und Weiterbildungen. Söhngen hat diese Entwicklungen alle mitgemacht.

Im Zuge der Modernisierungsoffensive und dem geplanten Börsengang wurden aber auch alte Bahnhofsgebäude stillgelegt oder zum Verkauf angeboten, so wie der Bau in Witterschlick. Um die Jahrtausendwende stand das 1903 noch zu Reichsbahnzeiten erbaute, denkmalgeschützte Gebäude zum Verkauf.

Der leidenschaftliche Eisenbahner Söhngen griff 2004 zu: „Der Zeitpunkt war günstig, die Kinder waren aus dem Gröbsten raus, ich war Mitte vierzig und bereit, noch einmal etwas Neues auszuprobieren. Mir gefiel das Gebäude, also habe ich es gekauft.“ Im oberen Bereich lebt der Sohn mit seiner Familie, in der frühere „Vorsteherwohnung“.

Wohnzimmer war früher Betriebsraum

Albert und Annette Söhngen bewohnen das Erdgeschoss: „Wir schlafen in der ehemaligen Wartehalle und unser Wohnzimmer war früher der Betriebsraum für das Stellwerk“, schildert der Bahnhofseigentümer. Das Gebäude wird teilweise noch von der Bahn genutzt, die den Eheleuten dafür Miete zahlt. Die beiden hatten außerdem eine kreative Idee, den ehemaligen Geräteschuppen zu nutzen: Sie ließen ihn zum Trauzimmer ausbauen. Seit 2009 ist er offiziell eine Außenstelle des Alfterer Standesamtes.

Die Idee wurde am 8. August 2008 geboren, also einem beliebten Schnapszahldatum: „Es gab Paare, die hätten zu dem Datum gerne eine Alternative zum Standesamt gehabt, die gab es aber nicht, also kamen wir auf die Idee mit dem Güterschuppen.“

Während die damalige Bürgermeisterin Bärbel Steinkemper sofort begeistert war, musste bei dem früheren Ordnungsamtsleiter Johann Gimnich noch Überzeugungsarbeit geleistet werden: „Als wir den Raum umgebaut und erneut präsentiert hatten, war alles in trockenen Tüchern“, sagte Söhngen. Mittlerweile haben sich in diesem außergewöhnlichen Ambiente schon über 400 Paare das Ja-Wort gegeben.

Viele kommen aus ganz Deutschland: „Wir hatten schon Paare aus München und Hamburg hier, die uns über das Internet gefunden haben.“ Söhngen hat einen differenzierten Blick auf seinen Arbeitgeber und sieht mittlerweile vieles kritisch.

Er sagt aber auch: „Die Bahn 2023 hat einen wesentlich besseren Stand und Ruf als 1973. Damals hatte der Autoverkehr Vorrang. Die Bahn galt als altmodisch. Man fuhr Auto, aber nicht Bahn. In der Schule musste ich mich vor meinen Lehrer sogar dafür rechtfertigen, dass ich eine Ausbildung bei der Bahn machen wollte.“

Rückblickend sei dies aber genau die richtige Wahl gewesen. Und wann immer es geht, reisen die Eheleute Söhngen mit der Bahn durch das Land. Ein paar Tipps für besonders schöne Strecken hat Albert Söhngen auch: Besonders beeindruckend sei die Fahrt durch das obere Donautal, die Schwarzwaldbahn über Triberg und natürlich die Bahnstrecken entlang des Rheins: „Das ist immer wieder ein Erlebnis.“

Interessierte können das historische Stellwerk-Museum besuchen. www.bahnhof-witterschlick.de

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