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Ausstellung in SolingenWie sieht die Arbeit in der Zukunft aus?

Lesezeit 5 Minuten
Belegschaft der Firma Wüsthof, 1992, beim Kartenspiel

Belegschaft der Firma Wüsthof, 1992, beim Kartenspiel

Die Schau im LVR-Industriemuseum Gesenkschmiede Hendrichs in Solingen lädt zum Mitdenken, Mitreden und Mitgestalten ein.

Vorab eine Warnung: Wer einfach nur durch eine Ausstellung schlendern, sich die Exponate anschauen und die dazu passenden Wandtexte lesen möchte, ist hier falsch. Denn bei der Sonderschau, die noch bis 20. Oktober im LVR-Industriemuseum Gesenkschmiede Hendrichs in Solingen läuft, ist vor allem eins gefragt: Eigeninitiative. Statt chronologisch durch die Geschichte von Existenzsicherung und Erwerbstätigkeit zu führen, fordert „Arbeits[T]räume. Ein Zukunftslabor“ zum Mitdenken, Mitreden und Mitgestalten auf.

Inmitten der rotbraunen Backsteinmauern der einstigen Fabrik, in der zwischen 1886 und 1986 unter anderem Scherenrohlinge, Hufeisen und Fahrradteile gefertigt wurden, ist eine   Forschungsstation auf Zeit entstanden. Strahlend weiße Stellwände und Stelen betonen den Laborcharakter des Projekts. Auch akustisch wird man perfekt eingestimmt. „Future World“ heißt die Klanglandschaft des Kölner Kollektivs Neoludic, die mit spacigen Loops, aber dabei ganz sanft, die Gehörgänge flutet. Hineingewoben sind Geräusche von Hämmern und Pressen der Schmiede.

Wir sind kein Technikmuseum, sondern befassen uns mit Sozial- und Industriegeschichte. Insofern liegt das Thema Arbeit bei uns förmlich in der Luft.
Nicole Scheda, Museumsleiterin

„Arbeit in der Zukunft, das ist ein Thema, das fällt uns sofort vor die Füße“, sagt die Leiterin des Museums, Nicole Scheda, „weil uns das so sehr beschäftigt. Die Generation Z arbeitet ja ganz anders als die Boomer.“

Idee entstand vor drei Jahren

Nicht nur die Zeit ist die richtige, auch der Ort passt perfekt: „Wir sind kein Technikmuseum, sondern befassen uns mit Sozial- und Industriegeschichte. Insofern liegt das Thema Arbeit bei uns förmlich in der Luft.“ Vor drei Jahren, so die 60-Jährige, „haben wir begonnen, die Idee dieser Sonderschau auszubrüten, vor zwei Jahren dann richtig mit der Konzeption angefangen.“

Sechs interaktive Arbeitsräume liefern Besucherinnen und Besuchern Anregungen, um über neue Positionen und Perspektiven nachzudenken, eigene Träume und persönliche Hoffnungen zu formulieren und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Büromitarbeiterinnen anlässlich des 75-jährigen Firmenjubiläums der Gesenkschmiede Hendrichs, 1961

Büromitarbeiterinnen anlässlich des 75-jährigen Firmenjubiläums der Gesenkschmiede Hendrichs, 1961

Banderolen in sechs Farben – in Hellgelb, Orange, Dunkelgelb, Pink, Grün und Blau – machen die jeweiligen Themengebiete kenntlich. Warum arbeiten wir? Wann arbeiten wir? Wer bestimmt das? Wo arbeiten wir? Mit wem? Und womit?

An Hörstationen erklingen Stimmen, die zusammen mit Videos von der heutigen Arbeitswelt einer Landwirtin, eines Krankenpflegers oder eines Lehrers erzählen. Fiktive Biografien rücken Berufe aus der Vergangenheit wie den eines 1902 geborenen Gesenkschmieds wieder ins Bewusstsein, illustrieren die Zwangslage eines 1882 geborenen Dienstmädchens oder lassen eine 1438 geborene Handwerksmeisterin zu Worte kommen.

Um am Ende dieser Ahnenreihe der Erwerbstätigen ins Jahr 18 000 v. Chr. zurückzukehren. Wo das Geld zwar noch nicht erfunden war, aber die Existenz – durch Jagen und Sammeln – trotzdem gesichert werden wollte.

Eine Schau, die ganz persönlich wird

„Und warum gehst du arbeiten?“ wollen die Arbeitszukunftsforschenden am Ende wissen. Ganz bewusst in der niedrigschwelligen persönlichen Anrede, die sich durch die ganze Ausstellung zieht, um den Mitmachfaktor zu erhöhen.

Nun heißt es, sich eine der Postkarten mit Arbeitsmotiven und –slogans („Samstags gehört Vati mir“) aussuchen, zum Stift zu greifen, zu antworten und die beschriebene Karte an eines der vertikal gespannten Drahtseile zu klemmen. Je mehr die sich füllen, desto weiter schreitet die Entwicklung im Zukunftslabor voran und gewinnt sichtbar Gestalt.

Blick in die Ausstellung im Industriemuseum.

Blick in die Ausstellung im Industriemuseum.

Gleiches gilt für die kurvige Platte, auf der mit Hilfe von Legosteinen Arbeitsräume nach eigenen Wünschen gebaut werden oder die Wand, an der elastische Bänder um Metallstifte gewickelt, je nach Nähe zu einer von zwei Aussagen abbilden, was Besuchern und Besucherinnen wichtiger erscheint: Klare, geregelte Abläufe und Zuständigkeiten oder Mitspracherecht und kreative Beinfreiheit? Stabile, langfristige Arbeit und persönliche Kontakte oder regelmäßig frischer Wind? An einem KI-Bildgenerator kann man sich sein ganz persönliches Arbeitsgerät erfinden oder den Traum von der Remote-Arbeit am Strand wahr werden lassen – und anschließend ausdrucken.

Oder die Ausstellung um ein eigenes Exponat bereichern: für mitgebrachte Arbeitsobjekte, die eine persönliche Geschichte erzählen, ist eine ganze Wand mit Plexiglaskuben reserviert. Das kann ein Hammer sein, ein Block oder was auch immer: „Nur eine Bedeutung für das Arbeitsleben müssen sie haben.“ Während der Laufzeit der Ausstellung kann man sie an der Museumskasse abgeben und hinterher wieder mitnehmen. Objekte wie das Modell eines Hahns, die orangefarben Tasche eines Essenslieferanten auf Rädern oder ein Kicker erinnern an Arbeitszeiten, die einst vom Federvieh eingeläutet wurden, assoziieren immer schnellere Lieferung fast rund um die Uhr oder symbolisieren das Arbeitsumfeld in hippen Start Up-Firmen, bei denen Spaß & Spiel, scheinbar, die Stechuhr verdrängt haben.

Vom früheren Blick in die Zukunft

In Liegestühlen mit Scherendesign kann man sich auf einer Leinwand ansehen, wie man sich früher filmisch die Zukunft ausmalte, angefangen im Jahr 1911, als Walter Booth „The Automatic Motorist“ auf die Piste schickte. Musikalisch begrüßen Ton Steine Scherben 1975 den „Guten Morgen“ (der dann gar nicht so gut anfängt), die in Herne lebende Fotografin Brigitte Kraemer hat mit ihren „Solinger Porträts“ denjenigen, die in der Schneidwarenindustrie tätig waren, Gesichter verliehen. Und Archivbilder aus dem LVR-Bestand erzählen etwa vom 75-jährigen Firmenjubiläum der Hendrichs-Schmiede, als ein Sektchen noch erlaubt war.

Dass die Schau rund um Pflicht und Selbstverwirklichung, Achtstundentag und Work-Life-Balance, Arbeitskampf und digitales Proletariat, Büro und Home-Office, Flexibilisierung und Kollegialität, Supermarktkasse und Smart-Factory so bunt und vielfältig geworden ist, spiegelt wieder, das an der Umsetzung Menschen ganz unterschiedlichen Alters aus ganz unterschiedlichen Bereichen beteiligt waren.

Darunter sind Schülerinnen und Schülern vor der Mittleren Reife, angehende technische Grafikerinnen und Grafiker, Mitarbeiterinnen der kommunalen Koordinierung „Kein Abschluss ohne Anschluss“, wissenschaftliche Kräfte des Museums und Künstler.

Wie der Kölner Michael Szyszka, der die Gedanken derer, die sich erst anschicken, Teil der Arbeitswelt zu werden, als Graffiti gestaltete. Das Ergebnis fand Museumsleiterin Nicole Scheda durchaus beruhigend: „Jugendliche blicken sehr positiv in die Zukunft, sind aber zugleich nicht wirklich blauäugig.“


Die Ausstellung

„Arbeits[T]räume – ein Zukunftslabor“, LVR-Industriemuseum Gesenkschmiede Hendrichs, Merscheider Str. 289-297, 42699 Solingen. Die Ausstellung ist barrierefrei zugänglich und läuft noch bis zum 20. Oktober 2024. Öffnungszeiten: Di. bis Fr. 10-17 Uhr, Sa. und So. 11-18 Uhr, Mo. geschlossen. Eintritt: 6,50 Euro. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt. An jedem 1. Freitag im Monat ist der Eintritt auch für Erwachsene frei.