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Kardiologe Stephan Baldus„Wieviel Wahrheit kann ich zumuten?“

Lesezeit 6 Minuten

Das Gespräch mit den Angehörigen ist genauso wichtig wie das mit dem Patienten, erklärt Stephan Baldus.

Professor Stephan Baldus ist Kardiologe und als Direktor an der Klinik III für Innere Medizin am Herzzentrum der Uniklinik Köln nicht nur verantwortlich für komplexe Operationen, sondern auch für die richtige Kommunikation. Nur mit der richtigen Ansprache kann er bei den Patienten vor einem komplizierten Eingriff Vertrauen gewinnen. Über den Umgang mit Medien und deren Wissensvermittlung sprach er mit Joachim Frank.

Professor Baldus, es gehört zu Ihrem Beruf als Arzt, mehr zu wissen als Ihre Patienten. Wie gehen Sie mit diesem Informationsgefälle um?

Für die Behandlung einer Krankheit nützt mir mein ganzer Wissensvorsprung nichts, wenn mein Patient den mir vorgeschlagenen Behandlungsweg nicht aus Überzeugung und Vertrauen mitgeht. Dafür wiederum braucht der Patient einen Überblick, der sowohl dem Kenntnisstand der Wissenschaft als auch Urteilsfähigkeit des Laien gerecht wird. Der Patient kann ja nicht erst Medizin studieren, um zu verstehen, was ich als sein Arzt mit ihm vorhabe. Ich bin also auf eine Form der Vermittlung angewiesen, die komplexe Sachverhalte vereinfacht, ohne sie zu verfälschen – genau das ist nach meiner Auffassung auch die Aufgabe der Medien.

Zur Person

Stephan Baldus, geboren 1969, ist Direktor der Klinik III für Innere Medizin am Herzzentrum der Uniklinik Köln. Er hat in Ulm und Hamburg studiert, war als Stipendiat der Max Planck Gesellschaft an der University of Alabama (USA) und vor seiner Berufung nach Köln an der Universitätsklinik in Hamburg tätig.

Der Kardiologe ist unter anderem Spezialist für die kathetergestützte Herzklappen-Therapie. Baldus (verheiratet, zwei Kinder) ist der Sohn von Otto Baldus, der viele Jahre als Kardiologe in Köln-Mülheim praktiziert hat.

Wie leisten Sie diese Vermittlung?

Schlicht und einfach zunächst einmal mit dem Grundsatz, den Sie im Volontariat oder in der Journalistenschule auch lernen: möglichst wenig Fach-Chinesisch. Aber mit „leichter Sprache“ ist es natürlich nicht getan. Oft helfe ich mir, indem ich einen Therapieweg buchstäblich aufzeichne – in Form eines Schemas. Also das, was in den Medien als „Infografik“ verwendet wird. Und noch etwas erinnert an die Mechanismen der Medien: Erfahrungsgemäß ist es sehr hilfreich, Gespräche über oft komplizierte Therapien nicht allein mit dem Patienten zu führen, sondern zum Beispiel mit seinen Angehörigen. So haben alle einen gleichen Kenntnisstand und können sich anschließend darüber austauschen. Solch eine gemeinsame kommunikative Plattform errichten auch die Medien.

Sie haben Wissen und Vertrauen vorhin in einem Atemzug genannt. Wie setzen Sie in Ihrer Arbeit beides ins Verhältnis?

Menschliches Vertrauen ist am Ende das Entscheidende, auch und gerade in einem so hoch technisierten Fach wie meinem, der Kardiologie. Die allermeisten Gespräche über die Techniken, die ich bei einem Eingriff anzuwenden gedenke, enden mit der Frage des Patienten: „Aber Sie sind dann auch derjenige, der mich operiert?“ Da geht es letztlich nur noch um das Vertrauen des Patienten zu seinem Gegenüber, das er kennengelernt hat.

Spüren Sie eine Sorge Ihrer Patienten, Sie könnten – etwa im Fall einer gefährlichen, gar tödlichen Erkrankung – ein „Lügendoktor“ sein, ihnen also wider besseres Wissen nicht die Wahrheit sagen?

Stellen Sie sich einen Patienten auf der Intensivstation kurz vor einer Operation vor. Wenn ich ihm in dieser Lage sagte, dass er in den nächsten zwei, drei Stunden mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:40 stirbt, dann wäre das zwar statistisch zutreffend, aber nicht richtig. Was „wahr“ ist, darüber entscheidet immer auch der Moment. Als Arzt muss ich mich fragen, was ich einem Patienten an „nackter Wahrheit“ überhaupt zumuten kann – abhängig von seiner Situation und von seiner Fähigkeit, damit umzugehen. Wenn ich es aus „Liebe zur Wahrheit“ dahin kommen ließe, dass ein Patient aus einem subjektiven Gefühl der Angst heraus eine Therapie ablehnt, die objektiv seine einzige Chance ist, was wäre dann mit meiner Verantwortung für diesen Patienten, mit meiner „Liebe zum Menschen und zum Leben“? Ich würde es ein Wahrheits-Desaster nennen. Umgekehrt darf ich einem Patienten in einer Situation bewusster Abwägung keine Information vorenthalten, die ihn womöglich veranlasst, eine Therapie aus freien Stücken abzulehnen.

Welche Bedeutung haben dieMedien f Ihrer Patienten?

Eine sehr große Bedeutung! Es gibt kaum noch einen Patienten, der sich nicht schon in Zeitungen, Zeitschriften oder im Internet „schlau gemacht“ hätte, bevor er zu mir in die Sprechstunde kommt. Ich finde es deshalb sehr wichtig, dass die Presse auf Probleme in Diagnostik und Therapie aufmerksam macht, sie aber so in den Kontext stellt, dass es nicht zu Verunsicherungen oder Schieflagen in der Beurteilung kommt.

Können Sie das mit Beispielen

belegen?

Nehmen wir an, Sie zitieren bei einem neuen Medikament zur Behandlung von Schlaganfällen aus klinischen Studien, dass das Präparat zu Blutungen führen könne. Dann müssten Sie aber auch hinzufügen, dass das in der Natur der Sache liegt: verminderte Gefahr von Blutgerinnseln hier, erhöhtes Blutungsrisiko dort. Und wenn das Blutungsrisiko dann insgesamt niedriger ist als bei bisher verfügbaren Medikamenten, so ist dieses eine ganz wesentliche Information. Ohne diesen Zusammenhang entstünde aus einem korrekt wiedergegebenen Sachverhalt ein falsches Bild.

Stöhnen Sie, wie viele Ihrer Kollegen, über „Dr. Google“ – also die Selbstdiagnose mit Hilfe des Internets?

Im Grundsatz halte ich den vereinfachten Zugang zu Informationen über Gesundheit und Krankheit für etwas sehr Positives. Niemand braucht heute mehr das Gefühl zu haben, er sei dem Fachwissen seines Arztes hilf- und ahnungslos ausgeliefert.

Eine wirklich ausgewogene Information aber kommt nach wie vor nur im direkten Arzt-Patienten-Verhältnis zustande. Denn nur dann können die individuellen Gegebenheiten des konkreten Falls Berücksichtigung finden, nur dann gibt es eine Vertrauensbasis.

Ist die Mediengesellschaft mit ihrer Informationsbeschleunigung und Datenüberflutung ein Treiber für Herzkrankheiten?

Das wird oft behauptet. Ich sehe – ehrlich gesagt – keinen ursächlichen Zusammenhang. Gefährdungen sehe ich da eher für das seelische Befinden des Einzelnen und für das gesellschaftliche Miteinander. Unsere Sprache weist, was den Umgang mit Medien betrifft, vielleicht eher in eine entgegengesetzte Richtung.

Inwiefern?

Wenn wir den offenen Zugang zu Information, Presse- und Meinungsfreiheit als „Herzensanliegen“ der Gesellschaft oder „Herzstück“ der Demokratie bezeichnen, dann nimmt das einerseits die Metapher vom Herzen als dem emotionalen Zentrum des Menschen auf. Es sind aber auch Aussagen, die biologisch einleuchten: Mit Ausfällen viler Organe kann unser Körper zunächst überleben. Mit einem Ausfall des Herzens nicht. Die Medien als Impulsgeber haben ähnliche Bedeutung für die Vitalität der Gesellschaft.