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Interview

Wirtschaftsweise Monika Schnitzer
„Schuldenbremse bremst wichtige Investitionen aus“

Lesezeit 4 Minuten
Monika Schnitzers Vorschlag ist Wasser auf die Mühlen von Grünen und SPD: Sie fordern seit Langem die Lockerung der Schuldenbremse, während Finanzminister Christian Lindner (FDP) abwinkt.

Monika Schnitzers Vorschlag ist Wasser auf die Mühlen von Grünen und SPD: Sie fordern seit Langem die Lockerung der Schuldenbremse, während Finanzminister Christian Lindner (FDP) abwinkt.

Die „Wirtschaftsweise“ Monika Schnitzer hält das Instrument für zu streng. Außerdem sieht sie die Wirtschaft vor großen Umbrüchen. Ein Interview

Im Interview mit Rena Lehmann erklärt die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, warum sie eine Reform der Schuldenbremse jetzt für notwendig hält.

Frau Schnitzer, Sie wollen eine heilige Kuh schlachten und die Schuldenbremse lockern, möglichst noch in dieser Legislaturperiode. Wie wollen Sie denn Finanzminister Christian Lindner von Ihrer Idee begeistern?

Die Ausgestaltung der Schuldenbremse ist ja seit Jahren umstritten. Wir haben versucht, Stellschrauben aufzuzeigen, um ganz offensichtliche Konstruktionsschwächen der Schuldenbremse aufzuzeigen. Sie ist zu rigide, und sie hat keine Übergangsregel nach Notlagen. Wir halten unseren Vorschlag für konsensfähig.

Die erste Reaktion des Finanzministers klang aber anders. Er hält davon nichts...

Ich kann der Regierung nur empfehlen, sich in der Koalition darauf zu verständigen und gemeinsam mit der Opposition eine Reform anzugehen. Die Spielräume sind unnötig klein, das bremst wichtige Zukunftsinvestitionen aus. Das wird auch eine nächste Regierung betreffen. Wir können nicht wegen der Schuldenbremse auf notwendige Investitionen verzichten.

Aber hat die Schuldenbremse nicht erst ermöglicht, dass Deutschland die Krisen der vergangenen Jahre im Vergleich gut überstanden hat?

Wir schlagen eine Flexibilisierung der Schuldenbremse vor, nicht ihre Abschaffung. Wenn wir die Schuldenbremse jetzt in der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten rigiden Form beibehalten, würde unsere Schuldenstandsquote, auch wenn wir immer wieder Notlagen hätten, in den nächsten Jahrzehnten auf 40 Prozent sinken. Das ist im Sinne der Schuldentragfähigkeit aber gar nicht notwendig und kann sogar schädlich sein, weil es staatliche Investitionen in die Zukunft ausbremst. Der Staat beschneidet sich hier ohne Not seiner Handlungsfähigkeit.

Die Schuldenbremse wurde als Lehre aus der Staatsschuldenkrise 2009/2010 eingeführt. Verführt eine Lockerung die Politik nicht wieder zu mehr Wohltaten statt zu notwendigen Zukunftsinvestitionen?

Es ist ein Problem der Politik, dass sie immer Politik für ihre jetzigen Wähler macht. Wir haben bisher keine Lösung dafür gefunden, die Balance zwischen konsumtiven Ausgaben und Investitionen zu erreichen. Die Schuldenbremse löst dieses Problem aber auch nicht. Sie begrenzt nur die Ausgaben insgesamt, aber nicht, wofür man das Geld ausgibt. Dafür muss man andere Mechanismen finden.

Das Statistische Bundesamt sieht Deutschland in der Rezession. Wie dramatisch ist das?

2024 ist wenig Wachstum zu erwarten, wenn überhaupt. Dazu hat auch die lange Unsicherheit um den Bundeshaushalt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht beigetragen. Wir haben nach wie vor das Problem, dass die Wirtschaft international schwächelt. Außerdem ist die Kaufkraft in Deutschland zurückgegangen. Das sollte sich mit den Lohnsteigerungen wieder normalisieren, aber ob die Konsumenten ihr Geld ausgeben, hängt auch davon ab, wie zuversichtlich sie in die Zukunft schauen.

Gleichzeitig fahren DAX-Unternehmen Rekordgewinne ein, und es gibt so viele Beschäftigte wie noch nie. Wie passt das zusammen?

Das hängt mit den unterschiedlichen Zukunftsaussichten zusammen. Beispiel Autobranche: Sie hat in den letzten Jahren hohe Gewinne eingefahren. Aber jetzt wird sichtbar, dass die kleinen Elektroautos der Zukunft nicht von deutschen Herstellern kommen. Die Konkurrenz aus China ist enorm. Hier liegt es an den Unternehmen selbst, sich auf die Zukunft vorzubereiten.

Inwiefern hat das lange Ringen um den Bundeshaushalt 2024 die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst?

Es ist Sinn und Zweck der Priorisierungen im Bundeshaushalts, die Klima-Transformation in Gang zu bringen. Dazu zählen etwa der Ausbau der Windenergie und der Netze oder die Umstellung auf die Produktion von grünem Stahl. Der Staat muss hier unterstützen und dafür sorgen, dass die nötigen Genehmigungsverfahren schnell genug ablaufen. Das ist schwer genug: Im bayerischen Altötting hat sich gerade ein Gemeinderat gegen den Ausbau der Windkraft ausgesprochen, obwohl der dortige Chemie-Konzern davon profitieren würde. Wenn die Bürger nicht mitmachen, kann die Politik sich noch so sehr bemühen, die Entwicklung zu beschleunigen.

Jetzt ist der Haushalt beschlossen. Setzt er die richtigen Prioritäten?

Beim Sparen sehe ich wenig Prioritätensetzung. Man hat sich nicht getraut, grundsätzlich an klimaschädliche Subventionen ranzugehen. Dann hätte man aber nicht nur die Landwirte getroffen, die sich jetzt ungerecht behandelt fühlen, sondern hätte die Belastungen breiter verteilen können.