AboAbonnieren

Waffenindustrie im AufwindKamikazedrohnen mit deutscher KI für die Ukraine

Lesezeit 5 Minuten
Eine Poseidon H10 Mittelstrecken-Drohne der ukrainischen 22. mechanisierten Brigade fliegt an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut in der Region Donezk . 

Eine Mittelstrecken-Drohne im Einsatz für die Ukraine. Auch Deutschland finanziert Drohnen für die Ukraine. (Archivbild)

Deutschland finanziert der Ukraine Drohnen, die sich selbst in ihre Ziele steuern. Das ist der nächste Schritt in der Automatisierung des Krieges. Derweil verdienen die Rüstungskonzerne so gut wie selten zuvor.

Gioia da Silva und Philipp WolfDeutsche KI hilft ukrainischen Drohnen bei der Bekämpfung russischer Ziele. Das hat ein Sprecher der Bundesregierung jetzt bestätigt. Deutschland finanziert der Ukraine 4000 Kamikazedrohnen, die mit Software der Münchner KI-Firma Helsing ausgerüstet werden.

Drohnen haben die Kriegsführung in der Ukraine entscheidend verändert. Mit den Geräten konnten Dutzende der schwersten russischen Panzer zerstört werden. Nun sollen die Drohnen dank KI autonom werden: Sie fliegen zu ihrem Ziel, ohne durch einen Menschen gesteuert zu werden. Das hat einen großen Vorteil: Im Vergleich zu ferngesteuerten Drohnen können autonome Drohnen weniger einfach abgelenkt werden.

Sowohl das Jamming als auch das Spoofing wird damit verunmöglicht. Beim Jamming verfälschen russische Störsender das Signal für die Fernsteuerung zwischen dem Piloten im Bunker und der Drohne in der Luft. Die Drohne fliegt herrenlos weiter und stürzt ab. Beim Spoofing sendet ein Störsender gefälschte Signale zur Drohne, falsche GPS-Daten zum Beispiel. Die Drohne kann damit umgelenkt und theoretisch sogar dazu gebracht werden, eigene statt feindliche Truppen anzugreifen.

Da autonome Drohen weder ein GPS-Signal noch eine Funkverbindung zum Steuermann brauchen, sind Störsender gegen sie nutzlos. Das macht sie so attraktiv für den Einsatz an der Front. Wie die ukrainischen Kamikazedrohnen mit der Helsing-Software genau funktionieren würden, sei ein streng gehütetes Geschäftsgeheimnis, sagt die Münchner Firma Helsing auf Anfrage.

Davide Scaramuzza, Professor für Robotik und Drohnen-Experte an der Universität Zürich, erklärt die grundlegende Funktionsweise so: Die Drohnen haben aktuelle Satellitenbilder gespeichert. Beim Flug über gegnerisches Gebiet gleicht die Drohne ihre Luftaufnahmen laufend mit den gespeicherten Satellitenbildern ab. So weiß die Drohne, wo sie sich befindet, und kann sich auch lokalisieren, wenn sie das GPS-Signal nicht verwenden kann.

Sobald die Kamera das Ziel erkennt, berechnet die Drohne den Anflug

Die Zielauswahl passiert im Vorfeld: Soldaten entscheiden, wohin die Drohne fliegen soll, und markieren auf einer Landkarte einen Ort für die Detonation. Das können entweder genaue Koordinaten sein oder eine Struktur, die man von oben erkennt, zum Beispiel ein bestimmtes Gebäude oder ein Panzer. Sobald die Kamera in der Drohne das Ziel erkennt, berechnet die Drohne den Anflug und lenkt sich ins Ziel.

Für die Erkennung des Ziels verwendet die Drohne Objekterkennung in Echtzeit. Mit einem Algorithmus werden dabei Objekte wie beispielsweise ein bestimmtes Hausdach oder ein Panzer erkannt. Entweder habe Helsing für die Bilderkennung selbst einen Algorithmus entwickelt, oder die Firma verwende einen, den man gratis im Internet herunterladen könne, sagt Scaramuzza.

Helsing verneint auf Anfrage, dass ihre Drohne funktioniere wie dargestellt. Experten sagen aber, es gebe im Grunde nur eine Möglichkeit, wie sich die Drohnen autonom, also ohne GPS-Signal, ohne Internet- oder Funkverbindung fortbewegen könnten: indem sie sich am Untergrund orientierten.

„Autonome Drohnen müssen sich an Referenzpunkten am Boden ausrichten“, sagt ETH-Professor Roland Siegwart. Nebst Satellitenbildern und Geländekarten können dafür auch Straßen oder Zugschienen infrage kommen. Insgesamt dürfte die Kamikazedrohne mit deutscher KI-Software damit noch weit entfernt sein vom autonomen Killerroboter. Schließlich wird das Ziel nach wie vor bei jeder Drohne von Menschen ausgewählt. Nur der Anflug passiere automatisiert, sagt Scaramuzza.

Trotzdem dürften die Drohnen der ukrainischen Armee einen Vorteil bringen. Schließlich schalten sie ein Gefahrenpotenzial aus, das heute besteht: Sitzen Drohnenpiloten im Bunker und steuern ihre Geräte in russisches Frontgebiet, senden sie elektronische Signale aus. Die russische Armee kann diese Signale verwenden, um den Aufenthaltsort von Drohenpiloten zu erkennen und diese selbst zu beschiessen.

Senden autonome Drohnen kein Signal mehr an eine dazugehörige Bodenstation, werden ukrainische Soldaten besser geschützt. Trotzdem veränderten die 4000 Drohnen mit deutscher Software die Realität an der Front nicht entscheidend, sagt Scaramuzza. „Die Ukraine brauchte wohl Millionen, nicht Tausende dieser Drohnen.“

Gefechtsfeld ist längst zum Testgebiet für autonome Drohnen geworden

Die Bedeutung solcher Waffen im Ukraine-Krieg hat das Gefechtsfeld längst zu einem Testgebiet für autonome Drohnen gemacht. Es ist bekannt, dass ukrainische Streitkräfte neue Drohnen in Frontnähe unter Kampfbedingungen testen. Erweist sich die Drohne als gefechtstauglich, so wie jüngst ein Modell des amerikanischen Startups Shield AI, wird sie hundertfach bestellt.

Wie viele teilautonome Drohnen ähnlich dem Helsing-Modell derzeit auf ukrainischer oder russischer Seite standardmäßig eingesetzt werden, ist unbekannt. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Ukrainer in diesem Bereich über leichte Vorteile verfügen. Zwar können die Russen viele Innovationen der Ukrainer schnell und massenweise kopieren. Doch bei KI-Anwendungen profitiert die Ukraine von westlichen Startups wie Helsing oder Shield AI.

Derweil soll Russland ein geheimes Kampfdrohnen-Projekt in China betreiben. Doch ist ungewiss, ob und inwiefern Russland im Ukraine-Krieg von chinesischem KI-Know-how profitiert. Während sich die ukrainischen Streitkräfte bei der Drohne mit der Helsing-Software eine günstige Alternative zu teuren Marschflugkörpern erhoffen, treiben sie damit die Automatisierung auf dem Schlachtfeld unweigerlich einen Schritt weiter.

Die Frage, wie weit die Automatisierung von Waffensystemen gehen soll und ob es Grenzen braucht, bleibt derweil bisher ungestellt. Für die Ukraine sind solche ethischen Bedenken nebensächlich. Schließlich kämpft sie ums Überleben. So sagte etwa der ukrainische Minister für digitale Transformation der „New York Times“: „Wir brauchen maximale Automatisierung.“ Die Technologien seien für einen Sieg der Ukraine fundamental.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung.