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Interview

Verkehrsexperte gegen Elterntaxis
„Kinder können ab der ersten Klasse alleine gehen“

Lesezeit 3 Minuten
Bevor es zur Schule geht, sollten Kinder den Weg dorthin vorher mit Erwachsenen üben.

Bevor es zur Schule geht, sollten Kinder den Weg dorthin vorher mit Erwachsenen üben.

Warum der Präsident der Deutschen Verkehrswacht nichts von Elterntaxis hält, verrät er im Interview mit dieser Zeitung.

Im Interview mit Ankea Janßen spricht der Präsident bei der Deutschen Verkehrswacht (VDW), Kurt Bodewig, über die Gefahren durch Elterntaxis und motorische Defizite bei Kindern.

Herr Bodewig, wie sind Sie selbst als Kind zur Schule gelangt?

Zu Fuß oder mit dem Bus. Und später – in der Sekundarstufe – dann mit dem Fahrrad. Und bei meinen Kindern haben wir es so gehandhabt, dass immer abwechselnd zwei Elternteile die Kinder in einer kleinen Kolonne mit dem Fahrrad zur Schule begleitet haben – bis sie es alleine konnten.

Laut ADAC wird mittlerweile jedes vierte Grundschulkind mit dem Auto zur Schule gefahren. Elterntaxis stehen massiv in der Kritik. Worin besteht Ihrer Meinung nach das Problem?

Diese Form des Schulwegs wird gewählt, weil sie bequem ist. Aber Elterntaxis sind vor allem eine Gefährdung und führen zu mehr Unfällen. Nahezu überall beginnt morgens um acht die Schule, es sind also riesige Verkehre, die da stattfinden. Vor den Schulen werden Kinder einfach nur schnell rausgelassen, auch mal auf der Fahrerseite. Zudem sind wir der Meinung, dass man Kinder unbedingt an eigenständige Mobilität heranführen muss. Bereits vor der Einschulung sollte der Schulweg erprobt werden und in der Grundschule zu Fuß erfolgen. Nach der Radfahrausbildung dann mit dem Fahrrad. Leider stellen wir aber fest, dass Kinder seit der Pandemie in ihren Mobilitätsfähigkeiten zunehmend eingeschränkt sind.

Was bedeutet das konkret?

Kinder zeigen immer öfter motorische Defizite. Das stellen wir bereits in den Kitas fest. Immer wieder geht es darum, dass sich die Kinder zu viel zu Hause aufhalten, sich weniger bewegen und nicht mehr in der alten Form spielen. Schon einfache Bewegungen wie Rückwärtsgehen können dann Schwierigkeiten bereiten. Uns geht es aber vor allem um die aktive Eigenständigkeit der Kinder, denn das ist eine wichtige Voraussetzung für einen sicheren Schulweg. Elterntaxis sind da kontraproduktiv. Wer hinten auf der Rückbank sitzt, hat kein Gefühl für den Verkehr.

Woran liegt es, dass Eltern ihre Kinder offenbar lieber mit dem Auto zur Schule bringen?

Der Grund ist oft Zeitdruck oder Bequemlichkeit. Aber auch ein erhöhtes Schutzbedürfnis wird oft angeführt. Das Verkehrsklima hat sich verschlechtert und Kinder sind das schwächste Glied in diesem Gefüge. Deswegen ist es so wichtig, dass sie lernen, sich sicher und eigenständig fortzubewegen. Je mehr Eltern ihre Kinder zur Schule bringen, desto gefährlicher ist die Situation.

Was hilft gegen Elterntaxis?

Eltern und Lehrer müssen für das Thema Schulweg sensibilisiert werden und auch die Kinder müssen einbezogen werden. Ist die Planung ein gemeinsamer Prozess, ist die Sicherheit am besten gewährleistet. Es gibt zum Beispiel Schulwegplaner, in dem sichere Routen und Gefahrenstellen gekennzeichnet sind. Und natürlich lässt sich der Schulweg mit dem Auto nicht immer vermeiden. Die Bring- und Abholsituation sollte aber in keinem Fall direkt vor der Schule stattfinden, sondern wenn, dann in dafür eingerichteten Zonen. Vor Schulen sollte ein absolutes Halteverbot gelten und ein Knöllchen bei Verstoß kann helfen – das ist ein Lernprozess.

Ab wann können Kinder denn alleine zur Schule gehen oder fahren?

Nach einem intensiven Schulwegtraining können Kinder in den meisten Fällen bereits ab der ersten Klasse allein gehen. Schulen müssen in die Planung der Verkehrsinfrastruktur einbezogen werden, es braucht Fußgängerampeln und Zebrastreifen. Ein Fußweg darf nicht plötzlich enden, sondern sollte durchgehend sein. Wir begrüßen außerdem sehr, dass vor den meisten Schulen Tempo 30 gilt. Sehr dankbar sind wir außerdem über rund 40.000 Schülerlotsen und Elternhelfer in Deutschland. Überall, wo diese Ehrenamtlichen den Verkehr prägen, gibt es keine schweren Unfälle – eine echte Erfolgsstory. Aber leider wird es immer schwieriger, Nachwuchs zu finden.