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Streit in der EUGibt es doch noch Hoffnung für Verbrenner-Autos?

Lesezeit 5 Minuten
Geht die Zeit der dicken Auspuffe zu Ende oder nicht? Auf EU-Ebene wird erbittert um das „Verbrennerverbot“ ab 2035 gestritten.

Geht die Zeit der dicken Auspuffe zu Ende oder nicht? Auf EU-Ebene wird erbittert um das „Verbrennerverbot“ ab 2035 gestritten.

Nach der Europawahl setzen Politiker und Interessenvertreter darauf, Klimaschutz-Auflagen für Neuwagen ab 2035 zu entschärfen.

Union und AfD haben die Europawahl in Deutschland gewonnen und fordern ebenso wie die FDP, das faktische Verbot neuer Diesel und Benziner in der EU ab 2035 zurückzunehmen. BMW-Chef Oliver Zipse warnt, die Autoindustrie würde sich „halbieren“, wenn das „Verbrennerverbot“ bleibt. Führende Autoexperten sehen es genau andersherum: Mit dem Festhalten am Verbrenner auf Kosten der E-Mobilität würden VW, BMW und Mercedes ihre Zukunftschancen beerdigen und den Klimaschutz sabotieren. Wer hat recht? Und könnte die EU tatsächlich eine ihrer wichtigsten Entscheidungen zurücknehmen? Eine Brüssel-Insiderin meint: Es hängt nicht nur an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sondern auch an Bundeskanzler Olaf Scholz.

Was besagt das sogenannte „Verbrennerverbot“ in der EU?

Die EU-Staaten haben die Verordnung vor 15 Monaten beschlossen: Ab 2035 – in elf Jahren – dürfen nur noch „emissionsfreie Pkw und leichte Nutzfahrzeuge neu zugelassen werden“. Vorher zugelassene Diesel und Benziner dürfen unbefristet weiterfahren. Die FDP setzte damals durch, dass auch ab 2035 neue Autos mit Verbrennermotor verkauft werden dürfen, „die ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen fahren können“. Für solche E-Fuels-Wagen soll eine neue Typklasse geschaffen werden. Das hat die EU-Kommission aber noch nicht erledigt. Neben E-Fuels und Elektrowagen bleiben aber auch Autos mit Wasserstoff-Brennstoffzelle erlaubt.

Das sogenannte „Verbrennerverbot“ ist ein Kernelement des Brüsseler „Green Deal“ und soll sicherstellen, dass die CO2-Emissionen im Verkehr bis 2050 um 90 Prozent sinken. Das noch von der letzten Bundesregierung unter Angela Merkel beschlossene Klimaschutzgesetz schreibt Klimaneutralität schon bis 2045 vor. Allerdings werden die deutschen Minderungsziele im Verkehr nicht eingehalten.

Wer will das Verbot neuer Diesel und Benziner ab 2035 kippen?

Für CDU und CSU, die AfD, die FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht war die Rücknahme des „Verbrennerverbots“ eine der zentralen Forderungen im Europawahlkampf. Nach der Wahl machte FDP-Chef Christian Lindner die Unterstützung seiner Partei für die Wiederwahl von der Leyens zur Kommissionschefin vom Aus für das Verbrenner-Aus abhängig. Und der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Bareiß, forderte die Ampel-Regierung auf, die Zukunft des „klimafreundlichen Verbrenners“ ohne Enddatum zu sichern. Eines der Argumente: „Deutschland kann mehr als nur allein Elektroautos.“

Mit drastischen Worten wirbt BMW für die Rettung von Diesel und Benzinern: „Wenn das Regelwerk so bliebe, würde das eklatante Folgen für die industrielle Basis in Europa haben“, sagte Konzernchef Oliver Zipse der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). „Nach unserer Schätzung würde sich die Wertschöpfung der Automobilindustrie in etwa halbieren.“

Auch Mercedes-Chef Ola Källenius sagte kürzlich auf dem Auto-Kongress „New Manufacturing World“, es brauche „Flexibilität bis in die 2030er-Jahre hinein“. Zwar wolle Mercedes nicht am „Zielbahnhof“ von null Emissionen rütteln. Hinter eine baldige Elektroquote von 100 Prozent „im oberen Segment“ stellte Källenius aber ein dickes Fragezeichen.

Wer kämpft für das Festhalten am faktischen Aus für Verbrenner?

Deutschlands größter Autobauer VW. „Ich sage hier sehr deutlich: Wir brauchen verlässliche und verbindliche Vorgaben von der Politik. Die Autoindustrie ist langzyklisch, wir können nicht alle drei, vier Jahre unsere Entscheidungen infrage stellen“, sagte Volkswagen-Chef Oliver Blume zuletzt im April der „FAZ“. Man habe umfangreich investiert, und „wir arbeiten darauf hin, dass in Europa ab 2035 Neufahrzeuge zu 100 Prozent elektrisch angetrieben sein werden“. Die Dekarbonisierung sei schließlich „eine der wichtigsten Verantwortungen unserer Generation“, sagte Blume der Zeitung. Die gestaffelten CO2-Ziele der EU bis 2035 müssten aber womöglich angepasst werden.

So sieht es auch Stefan Bratzel, einer der führenden Auto-Ökonomen: Die Rücknahme des faktischen Verbotes „würde uns überhaupt nicht weiterbringen“, sagte der Gründer des Center of Automotiv Management (CAM) unserer Redaktion. Wenn Europa weiter eine „Phantomdebatte über Technologieoffenheit“ führe und sich nicht auf die Elektromobilität fokussiere, „dann gewinnen tatsächlich die Chinesen – und zwar weltweit“.

Die Politik müsse aber für mehr Ladesäulen und Verteilnetze sorgen und Anreize setzen. „In Frankreich gibt es bei E-Autos staatlich geförderte Leasingraten für Geringverdiener.“ Und Bratzel sieht die Hersteller in der Pflicht, „mit den Erlösen aus dem Verkauf von Verbrenner-Fahrzeugen ihre Investitionen in die E-Mobilität zu finanzieren“.

Für den Auto-Experten Ferdinand Dudenhöffer hätte das Aus fürs Verbrenner-Aus gar das Potenzial, „unsere Industrie zu zerstören“. Denn Deutschlands Hersteller bräuchten unbedingt den Hochlauf der E-Mobilität, um in die Massenproduktion zu kommen. „Wer sagt, er wolle das Verbrennerverbot kippen, schadet dem Standort“, meint Dudenhöffer.

Wie wird der Kampf um das „Verbrennerverbot“ ausgehen?

Der Ball liegt vordergründig bei Ursula von der Leyen. Will sie ihre Mehrheit im Parlament mit den Stimmen der rechten EKR-Fraktion wasserdicht machen? Oder doch lieber mit denen der Grünen? Auch davon könnte die Zukunft von Diesel- und Benzin-Autos in Europa abhängen. Letztlich aber auch von Olaf Scholz. Vom Brüsseler Sondergipfel am Montagabend wurde ein vorläufiges „Ja“ des Kanzlers für eine zweite Amtszeit der Niedersächsin erwartet. FDP-Chef Lindner wird aber nichts unversucht lassen, Scholz zu drängen, seine finale Zustimmung zu von der Leyen vom Aus für das Verbrenner-Aus abhängig zu machen.

Das freilich würde Scholz nicht nur den Ärger der Grünen einbringen, sondern auch seiner eigenen Partei. „Die europäische Automobil-Branche hat sich darauf eingestellt, den Umstieg bis 2035 zu vollenden. Diese Planungssicherheit jetzt erneut zu untergraben, ist aus unserer Sicht unverantwortlich“, warnt jedenfalls SPD-Mann Tiemo Wölken, bis zur Europawahl Vorsitzender des Umweltausschusses im EU-Parlament. Es kämen immer billigere E-Autos auf den Markt, und das Ladenetz werde immer dichter, sagte Wölken unserer Redaktion. „In der Situation die Vorgaben wieder umzuschmeißen, hilft weder den Automobilfirmen noch den Arbeitnehmern.“

Und was wird Ursula von der Leyen jetzt machen?

Sie selbst hat bislang lediglich vage angekündigt, „weiter auf Technologieoffenheit und Pragmatismus“ setzen zu wollen. Der Technologieoffenheit wäre durch einen E-Fuels-Verbrenner Genüge getan. Das Wort „Pragmatismus“ stellt hingegen das Verbrenner-Aus infrage. „Wir vermuten eher, dass es beim Verbot für Benziner und Diesel bleibt“, sagt eine Brüssel-Insiderin, die für einen EU-Thinktank arbeitet, die Kommission berät und daher nicht namentlich genannt werden will. „Wir gehen davon aus, dass geplante Maßnahmen aus dem ,Green Deal‘ abgeschwächt werden, statt bereits verabschiedete Regeln zur Senkung der CO2- Emissionen noch mal anzufassen.“

Die Wahl von der Leyens durch die EU-Regierungschefs ist für den 27. Juni vorgesehen. Erst am 18. Juli – in genau einem Monat – steht die Bestätigung durch das neue EU-Parlament an. Spätestens dann wird Klarheit herrschen.