Oft werden im Sportunterricht Grenzen verletzt. Wir haben mit Dr. Jeannine Ohlert von der Spoho in Köln über deren Studie zum Thema gesprochen.
Sportpsychologin aus Köln„Duschen mit Schülern ist Grenzverletzung“
Unangemessene Hilfestellungen, herablassende Kommentare oder gemeinsames Duschen mit Lehrkräften – im Schulsport kommt es immer wieder zu Grenzverletzungen. Das hat Dr. Jeannine Ohlert, Sportpsychologin an der Deutschen Sporthochschule Köln, in ihrer Pilotstudie festgestellt. Im Interview mit Marie Busse erklärt sie, was im Sportunterricht besser laufen muss.
Frau Ohlert, an meiner Schule hat mein Sportlehrer die Abkürzung durch die Mädchenumkleide genommen, um in die Turnhalle zu kommen. Was denken Sie darüber?
Das ist eine klare Grenzverletzung. Auch wenn es vielleicht die schnellere Route ist, ist die Privatsphäre der Schülerinnen zu respektieren. Ein Sportlehrer sollte nie ohne Anklopfen und anschließende Zustimmung einen Umkleideraum betreten, egal, ob es eine Jungen- oder Mädchenumkleide ist.
Warum ist der Sportunterricht anfällig für Grenzverletzungen?
Im Sportunterricht sind körperliche Nähe und Berührungen oft Teil des Unterrichts, sei es bei Hilfestellungen, in der Umkleide oder beim Duschen. Diese körperlichen Interaktionen können Raum für Grenzverletzungen bieten. Hinzu kommt, dass die Aufsicht oft schwieriger ist, weil in Sporthallen oder Umkleiden unübersichtliche Situationen entstehen können.
Wie definieren Sie Grenzverletzungen?
Grenzverletzungen umfassen ein breites Spektrum, das nicht nur strafrechtlich relevante Handlungen wie sexuelle Übergriffe einschließt, sondern auch unangemessene Kommentare über den Körper, unerwünschte Berührungen oder das Missachten der Privatsphäre. Auch Blicke oder Bemerkungen, die von der betroffenen Person als unangenehm sexualisiert empfunden werden, zählen dazu.
Wie groß ist das Problem?
Das Problem ist erheblich, auch wenn es häufig unterschätzt wird, weil belastbare Studien für den Schulsport fehlen. Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Eine von uns durchgeführte kleine Pilotstudie zeigte überraschend hohe Zahlen von Grenzverletzungen, besonders durch Kommentare und Verhaltensweisen, die als unangemessen empfunden wurden. Repräsentative Studien sind dringend nötig, um das Ausmaß wirklich zu verstehen und gezielte Maßnahmen umzusetzen.
Von welchen Grenzverletzungen haben Schüler in Ihrer Studie berichtet?
Typische Berichte betreffen Lehrkräfte, die ohne Anklopfen Umkleiden betreten, unangebrachte Kommentare über den Körper von Schülerinnen und Schülern und unangemessene Nähe bei Hilfestellungen. Gemeinsames Duschen von Schülerinnen und Schülern und Lehrerkräften wurde zudem als unangenehm empfunden. Befragte berichteten außerdem von sehr knapper oder enger Sportkleidung, bei der zum Teil die Genitalien sichtbar sind. Auch unter den Schülerinnen und Schülern selbst gibt es häufig Berichte über Mobbing oder Body-Shaming, besonders in Umkleiden oder bei Sportaktivitäten, wo individuelle Leistungen sichtbar werden.
Gibt es ein Problembewusstsein aufseiten der Lehrkräfte? Ist es notwendig, Pädagogen zu erklären, dass sie nicht mit ihren Schülern duschen sollten?
Leider ja, das ist tatsächlich nötig. Duschen mit Schülerinnen und Schülern ist eine klare Grenzverletzung, die die Privatsphäre der Kinder missachtet und in keinem Fall angebracht ist. Es ist daher wichtig, dass Verhaltensregeln aufgestellt werden. Dadurch schaffen wir nicht nur Klarheit, sondern auch eine gewisse soziale Kontrolle. So kann bei Verstößen jemand nachfragen: „Warum hältst du dich nicht an die Regeln?“ Diese klare Kommunikation ist entscheidend, um die Privatsphäre und Sicherheit im Sportunterricht zu wahren.
Welche Unsicherheiten haben Sportlehrer?
Viele Sportlehrkräfte wissen nicht genau, wie sie angemessen Hilfestellungen geben, ohne sich selbst einem Missverständnis auszusetzen. Sie fragen sich oft, wie nah sie Schülerinnen und Schülern kommen dürfen und welche Kommentare oder Anweisungen noch im Rahmen sind. Diese Unsicherheit führt in manchen Fällen dazu, dass Lehrkräfte ganz auf Hilfestellungen verzichten, was ebenfalls problematisch sein kann, weil die Übungen ja korrekt ausgeführt werden sollen.
Wie werden zukünftige Sportlehrkräfte in Ihrem Studium auf das Thema vorbereitet?
Bisher wird das Thema Grenzverletzungen im Sportunterricht nur an wenigen Universitäten im Studium behandelt. Das Bewusstsein für solche Themen ist oft noch gering und es fehlt an festem Lehrplaninhalt dazu. Wir haben das Thema an unserer Hochschule inzwischen in das Lehramtsstudium integriert und bieten Workshops an, in denen wir zukünftige Sportlehrkräfte für Grenzverletzungen sensibilisieren und ihnen Strategien an die Hand geben, mit denen sie sich handlungssicherer fühlen. Allerdings bleibt dies an vielen Hochschulen noch eine freiwillige Weiterbildung und daher fehlt vielen Lehrkräften das notwendige Wissen und die Handlungssicherheit, um diese Situationen sicher zu meistern.