Nach dem Terroranschlag von Solingen gerät Flüchtlingsministerin Josefine Paul in die politische Schusslinie. Sowohl Kanzler Scholz als auch die Opposition erhöhen den Druck.
Terroranschlag in SolingenOpposition erhöht Druck auf Flüchtlingsministerin Josefine Paul
Zunächst stand nach dem Terroranschlag von Solingen die Trauer im Vordergrund. Inzwischen wird aber die Frage lauter, wer dafür die politische Verantwortung trägt, dass der mutmaßliche Terrorist aus Syrien überhaupt noch in NRW war und nicht schon längst in Bulgarien, wohin er abgeschoben werden sollte. Im Mittelpunkt dieser Frage steht mehr und mehr Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne).
Als der Landtag am Freitag in einer Sondersitzung über den Anschlag redet, sitzt Paul auf ihrem Platz und richtet den Blick meist nach unten. Sie beugt sich tief über Dokumente auf ihrem Pult, notiert etwas, als würde sie Protokoll führen. Den Parlamentsbetrieb kennt die 42-Jährige gut. Sie hat sich hier einst zur Fraktionschefin der Grünen hochgearbeitet und nach Ansicht vieler einen guten Job gemacht.
NRW: Josefine Paul im Fokus
Seit gut zwei Jahren ist Josefine Paul Ministerin und steht derzeit unter verschärfter Beobachtung. Ihr Ressort – Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration – ist kompliziert. In den anderen Bundesländern sind Innenminister für Flüchtlingsfragen zuständig. In NRW ist es Paul, und sie geht nach Solingen nicht gerade offensiv damit um. Vier Tage dauert es, bis sie die Öffentlichkeit sucht. Da hat Innenminister Herbert Reul (CDU), obwohl gar nicht verantwortlich, schon auf allen Kanälen geredet.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat schon auf Paul gezeigt, ohne sie beim Namen zu nennen. Auf die Frage des „Spiegel“, warum sich der mutmaßliche Attentäter noch in Deutschland aufhielt, sagte er: „Das wüsste ich auch gern.“ Man könne niemandem vermitteln, warum es offenbar nur einen Versuch gegeben habe, den Mann zwecks Abschiebung in seiner Unterkunft aufzusuchen. Die Verwaltung, um die es geht – die Zentrale Ausländerbehörde Bielefeld –, gehört formal zu Pauls Apparat.
Am Freitag erhöht die Opposition den Druck auf Paul deutlich. „Es hätte die Möglichkeit gegeben, den Täter abzuschieben“, sagt FDP-Fraktionschef Henning Höne. „Warum gab es keine Fahndung, keine Aufenthaltsermittlung?“ All diese Fragen lägen in der Zuständigkeit des Landes. „Wie konnte es sein, dass ein Mann, der abgeschoben werden sollte, einfach so weiter in seiner Unterkunft ein- und ausgeht?“, fragt auch SPD-Fraktionschef Jochen Ott. Dass Paul nun Regeln zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Menschen, der abgeschoben werden soll, einführen wolle, komme zu spät.
Panzer aus Verwaltungssprache Die Ministerin selbst ist in diesen Tagen im Selbstverteidigungsmodus. Sie versucht, das heikle Thema Abschiebung auf eine höhere Ebene zu schieben, verweist auf die Lage in anderen Ländern und die dysfunktionale EU-Asylpolitik. Zudem verschanzt sich Paul nicht erst seit Solingen hinter einem fast undurchdringlichen Panzer aus Verwaltungssprache. Das macht sie zwar relativ unangreifbar, lässt sie aber auch distanziert und unempathisch wirken.
Ein Beispiel: Der Grund für die gescheiterte Abschiebung des Syrers, sagt Paul, sei „die Dublin-3-Verordnung und die restriktiven Rücküberstellungsbedingungen. Die Überstellungsmodalitäten sind sehr einschränkend, was in der Konsequenz dazu führt, dass die Bereitschaft zur Übernahme zwar erscheint, als wäre es sehr einfach möglich, Menschen nach Bulgarien rückzuüberstellen, aber die faktischen Möglichkeiten eingeschränkt sind.“
Wie man gefühlvoller mit diesem schwierigen Thema umgehen kann, macht der Innenminister vor. „Ich habe eine hier Debatte erlebt, die ich nicht ganz verstanden habe, vielleicht, weil ich zu blöd bin, vielleicht, weil ich das nicht mehr mitmachen will“, sagt Reul am Ende der Sondersitzung. „Dieses Gehetze, Geschimpfe, Verantwortlichkeiten zuschieben, ohne am Ende einen Schritt weiterzukommen. Es geht nur, wenn wir das gemeinsam hinkriegen mit den demokratischen Parteien.“