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Nach 70 JahrenSaudi-Arabien will Verkauf von Alkohol legalisieren – mit Einschränkungen

Lesezeit 5 Minuten
Prinz bin Salman unterzieht das Land einer radikalen Modernisierung.

Prinz bin Salman unterzieht das Land einer radikalen Modernisierung.

Prinz Mohammed bin Salman zielt mit den Lockerungen auf eine Modernisierung des Landes und hat vor allem die junge Bevölkerung im Blick.

Im Diplomatenviertel von Riad wird demnächst allem Anschein nach Geschichte geschrieben: Das konservative Königreich Saudi-Arabien, Hüter der heiligsten Stätten des Islam, will zum ersten Mal seit 72 Jahren den Verkauf von Alkohol erlauben. Dazu soll in der Hauptstadt Riad ein spezielles Geschäft eröffnen, das Bier, Wein und Schnaps an Diplomaten aus nicht-muslimischen Staaten verkaufen darf, wie die Behörden des islamischen Königreichs jetzt mitteilten.

Die Genehmigung für den ersten legalen Alkoholverkauf seit dem Jahr 1952 passt zur Reformpolitik von Kronprinz Mohammed bin Salman und wirft die Frage auf, ob das Alkoholverbot im Land bald ganz abgeschafft wird und auch normale Bürger legal in den Genuss von Bier, Wein und Co. kommen. Schließlich ist selbst das saudische Königshaus nicht immer so abstinent, wie die Regeln des Islam es eigentlich von den Gläubigen verlangen und es die Herrscher für ihre Untertanen vorschreiben.

Strenge Auslegung des Islam hat Tradition

Dabei steht Saudi-Arabien seit Jahrzehnten für eine besonders strenge Auslegung islamischer Vorschriften. Thronfolger Mohammed bin Salman, genannt MBS, will diese Ideologie allerdings Schritt für Schritt entschärfen, weil er sie als Fortschrittshindernis betrachtet. Der Prinz wolle Saudi-Arabien „de-islamisieren“, sagt der Nahost-Experte und Unternehmensberater Sami Hamdi zum Kurs bin Salmans. Der Einfluss des Islam solle nach dem Willen des Thronfolgers auf die heiligen Städte Mekka und Medina begrenzt werden, sagte Hamdi unserer Redaktion.

MBS will aus Saudi-Arabien ein Hightech- und Urlaubsland machen, um das Königreich aus der Abhängigkeit von den Erlösen aus dem Handel mit Öl und Gas zu befreien. Zu seinem Reformprogramm gehören dabei auch soziale Lockerungen – Führerscheine für Frauen, die Wiedereröffnung von Kinos, die Entmachtung der Religionspolizei – sowie Konzerte internationaler Künstler und sportliche Großereignisse. Damit will sich der Prinz die Unterstützung der vorwiegend jungen Bevölkerung sichern.

Bei der Öffnung des Landes konkurriert MBS mit den Herrschern der Vereinigten Arabischen Emiraten und Katars. Sie fahren einen ähnlichen Reformkurs und erlauben schon länger den Verkauf von Alkohol, um ausländische Touristen und Anleger anzulocken.

Muslimische Pilger umkreisen beim Hadsch das Heiligtum Kaaba in der großen Moschee in Mekka.

Muslimische Pilger umkreisen beim Hadsch das Heiligtum Kaaba in der großen Moschee in Mekka.

Jetzt zieht MBS nach, wenn auch vorsichtig. Zu dem geplanten Laden in Riad sollen nur Diplomaten aus nicht-muslimischen Ländern Zutritt haben, die älter sind als 21 Jahre. Zudem müssen sie sich vor ihrem Einkauf anmelden. Sie dürfen demnach pro Monat 40 Liter Spirituosen, 80 Liter Wein oder 240 Liter Bier kaufen. Die Einhaltung dieser Mengen soll den Angaben nach mit einem Punkte-System kontrolliert werden.

Mit dem legalen Verkauf wollen die saudischen Behörden nicht nur das Ausland beeindrucken, sondern auch den Alkohol-Schmuggel bekämpfen. Bisher dürfen nicht-muslimische Diplomaten nur kleine Mengen an Alkohol einführen, doch kommt nach saudischer Ansicht mehr Schnaps ins Land, als angemessen wäre: „Unkontrollierte Importe“ sollten gestoppt werden, meldeten saudische Staatsmedien.

Tödliche Schüsse im Vollrausch

Illegaler Alkohol-Konsum wird mit Peitschenhieben, Haft oder Geldbußen bestraft. Trotzdem wird in Saudi-Arabien getrunken – sogar in der Königsfamilie. Das Alkohol-Verbot von 1952 wurde verhängt, nachdem ein saudischer Prinz bei einer Party im Vollrausch einen britischen Diplomaten erschossen hatte: Das Opfer war Gastgeber der Party und hatte sich geweigert, dem jungen Prinzen noch mehr Alkohol zu geben, worauf dieser eine Pistole zückte.

König Fahd, der Saudi-Arabien von 1982 bis zu seinem Tod im Jahr 2005 regierte, hatte als junger Mann den Ruf eines Playboys, der in Europa das Leben mit Alkohol, Frauen und Glücksspiel genoss. In einem Casino in Monte Carlo soll er an einem Abend sechs Millionen britische Pfund verspielt haben. Auch Kronprinz MBS wird nachgesagt, hin und wieder zu trinken. Als der Prinz während einer USA-Reise im Jahr 2018 mit Hollywood-Stars feierte, machten anschließend Gerüchte die Runde, der saudische Thronfolger habe Tequila getrunken.

Jetzt wird spekuliert, dass MBS noch weitergehende Liberalisierungen bei Bier, Wein und Schnaps plant. „Der Alkoholverkauf an Diplomaten ist Teil der schrittweisen Einführung von Alkohol im Königreich“, sagt Nahost-Experte Hamdi. Der Kronprinz lässt am Roten Meer die Zukunftsstadt Neom (siehe Kasten) bauen, die er als Konkurrenz für die US-Partystadt Miami beschrieben hat. Islamische Vorschriften wie die Verhüllungspflicht für Frauen oder das Alkoholverbot sollen nach Medienbericht in Neom nicht gelten. Außerdem richtet Saudi-Arabien in zehn Jahren die Fußball-Weltmeisterschaft aus, was ebenfalls eine Lockerung des Alkoholverbots begründen könnte. Offiziell erklärt die saudische Regierung jedoch, derzeit sei über den Laden in Riad hinaus kein Alkoholverkauf vorgesehen: „Wir bleiben bei unseren geltenden Gesetzen“, sagte die stellvertretende Tourismusministerin Haifa al-Saud auf die Frage nach weiteren Reformschritten.


„The Line“ – Die Zukunft der Zivilisation?

500 Meter hoch soll sich das Doppel-Hochhaus „The Line“ schnurgerade 170 Kilometer von der Küste des Roten Meeres nach Osten ins Landesinnere Saudi-Arabiens erstrecken. Neun Millionen Menschen sollen eines Tages in der Stadt Neom leben, deren Kern das ehrgezige Hochhaus-Projekt ist. Der Zwischenraum soll trotz des saudischen Wüstenklimas ein „optimales Gleichgewicht von Sonnenlicht, Schatten und natürlicher Belüftung“ haben, wie das Projekt auf der Neom-Internetseite der saudischen Regierung angepriesen wird. Vertikale Gärten sollen Nahrungsmittel für die Bewohner liefern; die Energie für die Mega-Stadt kommt laut Plan komplett aus erneuerbaren Quellen: „The Line“ soll damit klimaneutral sein – so zumindest der Plan.

Als „zivilisatorische Revolution“ preist die saudische Regierung das Projekt an. „The Line“ ist der Kern der Zukunftsstadt Neom, mit der Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman das Königreich vom Öl-Staat zu einem Hightech-Land umbauen will.

Auch China ist inzwischen zu einem nicht unwichtigen Teil an dem ehrgeizigen Projekt beteiligt: So bohren Chinesische Firmen Tunnel für einen Hochgeschwindigkeitszug, der unter der geplanten Mega-Stadt fahren soll. Mit der U-Bahn sollen die Bewohner die 170 Kilometer von einem Ende der Stadt zum anderen in rund 20 Minuten bewältigen können. (ts)