Richards scheint das Altern vor geraumer Zeit eingestellt zu haben. So lange man sich erinnern kann, sieht Keith aus wie Keith.
„Ich habe mich an mich gewöhnt!“Rolling-Stones-Mitbegründer Keith Richards feiert seinen 80. Geburtstag
Und so begab es sich an einem Dezembertag im Kriegswinter des Jahres 1943, dass für Doris Richards die Zeit der Niederkunft gekommen war. In Dartford, einem Nest in der englischen Grafschaft Kent, brachte sie einen gesunden Sohn zur Welt, Vater des Jungen war ihr Mann Bert. Das Paar gab dem Kind den Namen Keith. Von Anfang an war er ein schalkhaft lustiges Wesen, so erinnern sich Zeitzeugen, mit riesigen Augen und abstehenden Ohren. Nicht überliefert ist, ob Keith Richards bereits als Baby jene zauselhaarige Unfrisur trug, ohne die man sich dieses absolute Unikat bis heute kaum vorstellen kann.
Keith Richards, der höchstwahrscheinlich bekannteste sowie beliebteste Rockgitarrist der Welt, wird also an diesem Montag 80 Jahre alt. Was eine kuriose Tatsache ist, denn einerseits sieht er mit seinen ganzen Falten, Furchen und Zotteln schon seit Ewigkeiten nicht mehr jung aus (so er das denn jemals tat).
Scheinbar alterslos
Andererseits scheint Richards (in zweiter Ehe verheiratet mit Patti Hansen, vier erwachsene Kinder, ein Haufen Enkel) das Altern vor geraumer Zeit eingestellt zu haben. So lange man sich erinnern kann, sieht Keith aus wie Keith. Das Aussehen, die Posen, das ganze Keithsein.
„Mir war das lange nicht bewusst“, sagte er im Gespräch vor gut einem Jahr, „aber es ist offensichtlich etwas ziemliche Spezielles.“ Ist Keith Richards glücklich damit, Keith Richards zu sein? Ein leises, aber nicht unfreundliches Knurren. „Jetzt fängst Du auch schon an, so zu fragen wie mein Psychiater. Ich selber habe mich das viele Jahre lang nie gefragt. Dann gab es eine Zeit, wo ich mir nicht so sicher war, ob ich mich in meiner Haut wohlfühle. Aber ich habe mich an mich gewöhnt. Und ich möchte gerne noch ein bisschen länger hier sein, denn das Leben macht mir wirklich Spaß.“
Die Chancen auf Langlebigkeit stehen so schlecht keineswegs. Doris Richards wurde 93, und bei allem, was ihr Sohn in der ersten Lebenshälfte seinem Körper so zugemutet hat, ist es ohnehin ein kleines Wunder, dass er noch hier ist. „Für unverwüstlich halte ich mich nicht, für unsterblich schon gar nicht. Doch ich bin schon ziemlich widerstandsfähig. So schnell haut mich nichts um.“
Er überlebte eine Heroinsucht, von der er sich Ende der Siebziger löste, später trennte er sich auch vom Kokain, seit 2019 sogar von seinen einst so geliebten Fluppen. Nur einem gelegentlichen Drink, am liebsten guter Wein, ist Keith Richards nach wie vor nicht abgeneigt.
Der junge Keith Richards war ein schüchterner Gesell
Aber auch jenseits der Rauschmittel trachtete ihm Gevatter Tod bisweilen nach dem Leben. 1998 wurde er in seiner eigenen Bibliothek schwer von einem Buch getroffen und brach sich ein paar Rippen. Es handelte sich ausgerechnet Leonardo da Vincis Standardwerk über die Anatomie eines Menschen. Acht Jahre später fiel Keith aus einer Kokospalme und zog sich dabei eine leichte Gehirnblutung zu.
Das ewige Leben hat Keith Richards natürlich längst erlangt, nämlich als Gitarrist der Rolling Stones, der nach wie vor – und seit dem tollen Album „Hackney Diamonds“ – mehr denn je bedeutendsten Rockband aller Zeiten. Hätte er selbst ja auch nicht gedacht, dass er einmal so einen Werdegang einschlägt, schließlich war der junge Keith ein eher schüchterner Gesell.
Erste musikalische Erfahrungen in der Öffentlichkeit machte er ausgerechnet als Chorknabe. Keith war zwölf und soll die Stimme eines jungen Engels gehabt haben. Höhepunkt seiner Chorkarriere war ein Auftritt in Westminster Abbey, bei einem Weihnachtsgottesdienst in Anwesenheit von Queen Elizabeth.
Jagger und Richards, zwei unterschiedliche Persönlichkeiten
Der Stimmbruch kam einer weiteren Sängerlaufbahn in die Quere (okay, manchmal singt Keith auch bei den Stones, und das durchaus ganz charmant), und nach einigen eher unauffälligen Jahren lief Richards 1962 auf einem Bahnsteig zufällig seinem ehemaligen Grundschulkumpel Mick Jagger in die Arme. Sie quatschen über ihre gemeinsame Leidenschaft für den Blues, waren voneinander hinreichend fasziniert und riefen die Rolling Stones ins Leben. Der erste Auftritt folgte schon bald, am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club, na ja, und der Rest ergab sich dann quasi wie von selbst.
Bis heute sind Jagger und Richards zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die sich aufs Wunderbarste ergänzen. Hier der extrovertierte Front- und Lebemann, dort der ruhige Gitarrist, der sich aus dem ganzen Ruhmgedöns nie so wahnsinnig viel gemacht hat.
Natürlich sind die Reibereien zwischen den beiden legendär, „aber es ist uns nie passiert, dass wir das stabile Band, das uns zusammenhält, zerreißen.“ Offensichtlich, so Richards mit leicht schelmischem Grinsen, „ist diese Gruppe größer und stärker als die darin versammelten Egos. Und das will wirklich was heißen.“
Viele der größten Hits der Gruppe schrieben Jagger und Richards gemeinsam, („I Can't Get No) Satisfaction“ zum Beispiel, „Gimme Shelter“, oder auch „Angie“, Keiths Lieblingslied der Stones, „das ich damals im Entzug geschrieben habe.“
Jetzt ist Keith Richards also auch 80, Mick Jagger ja schon seit dem Sommer, Bandküken Ron Wood ist 76, und Charlie Watts lebt seit zwei Jahren nicht mehr. Aber den Gedanken ans Aufhören, an die ja längst wohlverdiente Rock'n'Roll-Rente, schieben sie beharrlich weg. Sie sind ja auch alle noch wirklich fit. Nach dem künstlerischen wie kommerziellen Triumph mit „Hackney Diamonds“ steht für Frühling und Sommer eine Nordamerikatournee im Plan. Dass die Rolling Stones anschließend auch nach Europa kommen, liegt auf der Hand.
„Ich bin sehr froh darüber, dass ich immer noch dieser Tätigkeit nachgehen kann“, sagt der rüstige Jubilar, „denn in dieser Band zu spielen ist für mich nach wie vor das Schönste auf der Welt.“
Auf Solopfaden
Neben den Stones-Platten hat Keith Richards nur drei Solostudio-Alben veröffentlicht: „Talk Is Cheap“ (1988), „Main Offender“ (1992) und „Crosseyed Heart“ (2015) — wobei auch Mick Jagger nur vier allein herausgebracht hat.
Viele Kolleginnen und Kollegen luden ihn jedoch ein, als Gast bei ihren Aufnahmen mitzuwirken — etwa Aretha Franklin, Nona Hendryx, Peter Tosh, Tom Waits, Marianne Faithfull, Jerry Lee Lewis oder John Lee Hooker. (EB)