Interview

Ralf König über die queere Szene
„Mit Facebook und Instagram schwappt auch die amerikanische Prüderie zu uns“

Lesezeit 5 Minuten
Sieht die amerikanische Prüderie rüberschwappen: Comiczeichner und -autor Ralf König.

Sieht die amerikanische Prüderie rüberschwappen: Comiczeichner und -autor Ralf König.

„Der bewegte Mann“ brachte schwule Subkultur in den Mainstream. Wie sieht Erfinder Ralf König die Szene heute?

In seinem neuen Comic „Harter Psücharter“ lässt Ralf König zwei Stammfiguren älter werden – und mitansehen, wie das schwule Leben sich verändert. Wie blickt der 63-Jährige selbst auf die queere Szene? Daniel Benedict hat mit dem Schöpfer von „Der bewegte Mann“ gesprochen.

Herr König, Sie begleiten seit Jahrzehnten Ihre Figuren Konrad und Paul beim Älterwerden. Im neuen Buch sagt der eine: „Vielleicht bist du nicht mehr zeitgemäß.“ Und der andere: „Aber noch sind wir anwesend!“ Ist das Ihr eigenes Lebensgefühl?

Naja, ich bin jetzt 63. Comics zeichne ich seit 43 Jahren, und es ist mir wichtig, dass die Figuren nicht stehenbleiben. „Harter Psücharter“ ist nicht das erste Buch mit dem Thema Älterwerden. Als ich bei „Herbst in der Hose“ damit angefangen habe, dachte ich, dass das Buch floppt. Dass meine Leser das alles gar nicht so genau wissen wollen: Männer, die Erektionsprobleme haben oder überhaupt keinen Sex mehr. Älterwerden ist eine sehr individuelle Erfahrung, aber mit jedem Jahr weniger erfreulich. Zu meiner großen Überraschung wollten meine Leser das aber lesen. Viele, die lange kein Buch von mir in der Hand hatten, waren auf einmal wieder dabei.

Nicht nur Ihre Figuren ändern sich, auch die Welt ist eine andere.

Und natürlich habe ich als junger schwuler Mann andere Erfahrungen gemacht als junge Männer heute. Vor allem wird heute mehr über Worte und Begrifflichkeiten gestritten. Nach meinem Coming-out in den 80ern haben wir schon diskutiert: Wie feminin darf ein Mann sein? Darf man sich die Nägel lackieren? Das waren schon immer politische Fragen. Nur haben wir damals von „Tunten“ gesprochen. Heute heißt es divers oder non-binär. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob das was anderes ist oder eben nur andere Wörter.

Worte wie Tunte oder Transe waren mal Selbstbeschreibungen aus der Community. Heute wird eine Triggerwarnung ausgesprochen, wenn ältere Schwule sich selbst immer noch so nennen.

Ja, sollen sie triggern. Beim Kölner CSD habe ich einmal auf einer Veranstaltung aus einem Comic gelesen. An einer Stelle fragt da eine Figur: „Wollen wir uns auftransen?“ Daraufhin ist im Publikum eine Transperson aufgestanden und hat sich beschwert, der Begriff sei völlig deplatziert. Das passt nicht für Tunten, die sich nur Frauenkleider anziehen und ihren Spaß haben. Alle guckten erstaunt und am erstauntesten war ich. Da habe ich begriffen, dass Wörter sich ändern. Wir wussten damals nicht viel von „trans“.

War die Sprache in den 80ern auch schon so umkämpft und tabuisiert?

Ich erinnere mich, dass es ältere Männer gab, die sich an dem Wort „schwul“ störten. „Homosexuell“ oder „homophil“ klang für sie besser. „Schwul“ kannten sie noch als Schimpfwort. Das gab es also immer. Heute wird nur viel lauter debattiert, weil das Internet alles verstärkt.

Ihr neues Comic ist erst bei Facebook und Instagram erschienen. Im Nachwort schreiben Sie, dass Sie mit Rücksicht auf die Plattform-Regeln keine Erektionen mehr zeichnen können. Hat das Internet uns weniger frei gemacht, als wir mal dachten?

Das betrifft nicht nur die Bilder. Es geht auch um die Sprache. Ich brauche Facebook und Instagram, um mein Publikum zu erreichen. Aber mit diesen Plattformen schwappt auch die amerikanische Prüderie zu uns rüber. Eine meiner Figuren ist Pauls homophobe Schwester Edeltraut. Wenn die ihren Bruder beleidigt, hagelt es Wörter wie „Schwuchtel“. Bei Facebook gilt das als „Hassrede“. Wie soll man als Comiczeichner damit umgehen, wenn Satire und Ironie nicht verstanden wird?

Ihre Figur Konrad wundert sich über Regenbogenflaggen, auf denen Dutzende Identitäten ihre Farbe beanspruchen. Sein Kommentar: Sollten wir nicht alle eine Fahne hochhalten? Zerfällt die queere Gemeinschaft? Streiten sich jetzt Schwule mit Transpersonen, statt gemeinsam die Vielfalt zu feiern?

Wegen der CSD-Paraden gab es schon immer den Tuntenstreit: Ist es okay, in Stöckelschuhen und Perücken rumzustolzieren – wenn die Medien Schwule dann nur noch als schräge Paradiesvögel zeigen? Obwohl die meisten doch ganz normal aussehen? Es gab immer verschiedene queere Gruppen mit verschiedenen Standpunkten. Vielleicht halte ich mich selbst auf eine etwas opportunistische Weise raus.

Aus was denn zum Beispiel?

Ach, ich guck mir das als Satiriker mit einem Schritt Abstand an. Ich selbst bin ja ein sogenannter Cis-Mann. Auch so ein Begriff, der mir erst mal neu war. Ich identifiziere mich mit dem Geschlecht, mit dem ich geboren wurde. Darüber bin ich auch froh, das Leben ist sehr viel schwerer, wenn man eben nicht nach dem aussieht, was man ist. Ich bin einfach ein Mann, mich glotzt auf der Straße keiner an, man sieht auch nicht, dass ich schwul bin. Wenn man eine Transfrau ist, aber maskulin wirkt, auch wenn man einen Rock trägt, dann ist das ein Kampf mit der Umwelt. Ich verstehe, dass das sehr viele Kränkungen mit sich bringt. Ich verstehe aber auch schwule Männer, die sagen: Was habe ich damit noch zu tun? Und sich von den schrillen CSD-Paraden abwenden.

Ein Höhepunkt Ihrer Karriere war Sönke Wortmanns Verfilmung Ihres Comics „Der bewegte Mann“ vor genau 30 Jahren. Könnten Sie sich dazu heute eine Fortsetzung vorstellen?

Das war sogar zum Filmjubiläum angedacht, aber mir fiel zu der Geschichte nichts mehr ein. Nicht mal als Comic wäre das interessant, und das nochmal mit Katja Riemann und Til Schweiger aufzubrühen … was sollte mit denen 30 Jahre später noch passieren? Ich hatte dazu keine zündende Idee – und dann lieber nicht.

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