Interview

Chansonnier Tim Fischer
„Mich hat die Zeit von Lili Marleen sehr inspiriert“

Lesezeit 4 Minuten
Chansonnier und Schauspieler Tim Fischer.

Chansonnier und Schauspieler Tim Fischer.

Der Chansonnier Tim Fischer im Gespräch über seinen Part im Musical „Cabaret“, das beim „35. Kölner Sommerfestival“ dabei sein wird.

Ab 30. Juli kann man Tim Fischer beim „35. Kölner Sommerfestival“ in der Philharmonie erleben. Im Musical „Cabaret“ übernimmt der 51-Jährige die Rolle des Conferenciers. Susanne Schramm sprach mit dem Chansonnier und Schauspieler über erfüllte und unerfüllte Wünsche und die Großstadt.

Was brachte Sie zum Chanson?

Meine Großtante, die Schwester meiner Oma, kam regelmäßig aus Norwegen zu Besuch nach Hude bei Oldenburg, wo ich aufgewachsen bin. Und die konnte Lili Marleen singen – in fünf Sprachen. Mich hat diese Geschichte so angerührt. Und mit 13 habe ich Lili Marleen gesehen, den Film von Rainer Werner Fassbinder, da war mir klar: „Genau so will ich auftreten, mit einem Pianisten oder einer Pianistin.“ Mich hat auch die Zeit von Lili Marleen sehr inspiriert. Oftmals hatten die Schauspielerinnen einen männlichen Nachnamen, also Marlene Dietrich oder Zarah Leander. Da wurde ein bisschen so zwischen den Geschlechtern gespielt, die Frauen haben dann auch sehr tief gesungen und viele Männer übrigens auch sehr hoch. Besonders fasziniert hat mich Zarah, die hatte so viele fantastische Schlager und Chansons.

Ihren ersten Chansonabend, da waren Sie gerade 17, widmeten Sie der alten Leander. Warum nicht der jungen?

Ich saß nachmittags mit meiner norwegischen Oma auf dem Sofa, und wir haben zusammen so eine Boulevardsendung gesehen. Da sang dann auf einmal Zarah Leander und sprach in einem Interview. Und ich dachte: „Oh mein Gott, meine Oma ist im Fernsehen“. Weil sie genau den gleichen Duktus hatte und diese verrauchte Stimme und diesen skandinavischen Singsang. Und so wurde also Zarah Leander zu meiner dritten Oma und meine Oma wurde für mich zum UFA-Star. Zarah und Marlene, und auch die Garbo, die haben eine Sehnsucht ausgesprochen, die ich wohl auch hatte. Eigentlich waren es für mich Wunsch-Erfüllerinnen.

War es für Sie ein Problem, sich als homosexuell zu outen?

Ich musste mich gar nicht erst groß outen, ich habe halt immer gesungen. Aus dem Blickwinkel der damaligen Zeit heraus war das klar, da hieß es: „Der singt, der ist bestimmt schwul.“ Und ein Junge, der Ball spielt, der ist hetero. Ich bin ja eher ländlich aufgewachsen, habe schnell gemerkt, auch mit meinen beruflichen Zielen, dass ich da nicht am richtigen Ort bin, dass ich in die Großstadt gehöre.

War das wirklich so einfach?

Als Kind wollte ich unbedingt einen Barbie-Bus haben. Den Bus habe ich auch bekommen, aber die Barbie nicht. Dass man schon als Kind so gegängelt wird, habe ich als extrem nervig empfunden. „Nein! Du sollst mit Autos spielen, du bist ein Junge…“. Man wird da in so etwas reingepfropft, anstatt sich frei entfalten zu können und erstmal zu gucken: Was gefällt mir? Was macht mich glücklich? Was erfüllt mich? Meine persönliche Erfahrung war eigentlich die, dass alte Menschen, wie Großeltern, damit viel weniger Probleme hatten als die Eltern.

Der Conférencier in „Cabaret“ changiert zwischen den Geschlechtern ...

… er bewegt sich wie eine Schlange durch die Gesellschaft, und er häutet sich permanent. Man kann ihn so gar nicht fassen. Er ist schwer einzuordnen, eine Persönlichkeit, von der man eigentlich nicht weiß: „Wo kommt sie her, wo geht sie hin?“ Er bleibt immer im Diffusen, er ist eine undurchsichtige Figur, das verleiht ihm eine große Aura. Er hält sich aus politischen Dingen völlig raus, dreht seine Fahne nach dem Wind. Er ist im Grunde wirklich eine spooky Person.

Was gefällt Ihnen an „Cabaret“?

Abgesehen von der 1920er-Jahres-Ästetik, die ich sehr, sehr mag, ist „Cabaret“ auch ein Stück mit einem aufklärerischen und warnenden Aspekt. Unterhaltung, aber eben Unterhaltung mit Haltung.

Kann man die zwanziger Jahre von damals mit denen heute vergleichen?

Für mich ganz klar „Nein“. Die Zeiten waren völlig andere. Der Erste Weltkrieg war vorbei, die Menschen konnten noch nicht absehen, was sich jetzt entwickeln wird in Sachen Nationalsozialismus. Und da gab es noch nicht diese ganze Informationsflut, die wir heute haben. Es herrschte eine ganz andere Naivität in der Gesellschaft, das Aufkommen des Nationalsozialismus, glaube ich, ging sehr, sehr schleichend voran – und das wird in „Cabaret“ auch wunderbar gezeigt.


„Cabaret“ mit Tim Fischer, Abschluss des „35. Kölner Sommerfestivals“ in der Kölner Philharmonie, Bischofsgartenstr. 1. 30.7. bis 4.8., Di., Mi., Do. und Fr. jeweils 20 Uhr. Sa. 15 und 20 Uhr, So. 14 und 19 Uhr. Karten (ab 69. 90 Euro inkl. Geb.): Tel. 0221 280 280. Infos: www.koelner-philharmonie.de und www.atgtouring.de

Nachtmodus
Rundschau abonnieren