Kann die von Sahra Wagenknecht geplante Partei auf Dauer Erfolg haben? Warum wird das nach Einschätzung einer Parteienforscherin erst in zehn Jahren wissen werden.
Partei-NeugründungWagenknechts wichtigste Basis heißt NRW
2024 wird in ein Superwahljahr, und eine Partei, die kurz vor der Gründung steht, will die politische Landschaft in Deutschland aufmischen: Für den 27. Januar 2024 plant der Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) einen Bundesparteitag in Berlin, im Anschluss an einen Gründungsakt. Ob das Experiment „Wagenknecht-Partei“ gelingt, ist kurz vor dem Start aber noch ungewiss.
Eine Parteigründung ist vor allem: Maloche. Christian Leye (42), einst Vorsitzender der Linkspartei in NRW und jetzt „Vize“ im Verein BSW, sind die Strapazen anzusehen. „Ich esse am Schreibtisch“, gesteht Leye, dessen Duisburger Wahlkreisbüro frisch eingerichtet ist. Der Bundestagsabgeordnete hat Ränder unter den Augen, die Wochenenden arbeitet er durch, denn die Zeit wird knapp für die kleine Gründungs-Truppe: Nur 25 Köpfe zählte der Verein kurz vor Weihnachten, bundesweit. Acht kommen aus NRW.
Je näher der Gründungsakt rückt, desto lauter werden die Fragen nach Chancen und Risiken der Wagenknecht-Partei: Gelingt ihr der Kaltstart? Wem schadet sie? Kann Deutschland eine weitere populistische Partei neben der AfD ertragen? CDU-Bundeschef Friedrich Merz wettert kurz vor dem Jahreswechsel gegen die neue Konkurrenz: „Diese Mischung aus Sozialismus und Nationalismus braucht in diesem Land niemand.“ Die „etablierten Parteien“ ließen keine Lücke offen, die Wagenknecht besetzen könnte, glaubt Merz.
Alles zum Thema Europäische Union
- Nach umstrittener Wahl Opposition in Georgien ruft zu neuen Protesten auf
- Georgien, Türkei und Ukraine EU knüpft Beitritt an Bruch mit Russland
- Rundschau-Debatte des Tages Neue Zölle auf chinesische E-Autos – ein Fehler?
- Wahlen in Georgien Zehntausende gehen gegen Wahlergebnis auf die Straße
- Wahlen in Moldau Moldaus Präsidentin beklagt „Angriff auf Demokratie“ nach EU-Referendum
- Vor richtungsweisender Parlamentswahl Zehntausende demonstrieren für Europa in Georgien
- Starker Einfluss prorussischer Kräfte Präsidentenwahl und EU-Referendum in Moldau beendet
Das mit der Lücke kann man auch anders sehen. Parteienforscherin Kristina Weissenbach von der Universität Duisburg-Essen meint, das BSW scheine durchaus ihre Nische gefunden zu haben. „Ich traue dem BSW den Aufstieg zu. Die Wagenknecht-Partei hätte Chancen, über fünf Prozent zu kommen, weil sie die bisher offene Position „sozial-konservativ“ besetzt, weil sie an der Spitze eine Person mit großer Außenwirkung und dahinter politisch erfahrenes Personal hat“, erklärt die Vertretungsprofessorin. Die dominierende Rolle von Sahra Wagenknecht berge aber Risiken. Die Partei stehe und falle mit dem Ruf ihrer Führungsfigur.
Parteiengründungen seien im EU-Vergleich zwar laut Weissenbach gang und gäbe – zwischen 2005 und 2021 seien in Europa 139 Parteien gegründet worden-- , nicht jedoch in Deutschland, wo die letzte nennenswerte Gründung die der AfD vor zehn Jahren gewesen sei.
„Wir werden kontrolliert wachsen müssen“, sagt Christian Leye. Das heißt, dass die neue Partei jetzt weder das Geld noch die Strukturen habe, um einen unkontrollierten Zustrom von Mitgliedern aufzufangen. Die Gründer haben große Angst vor Kontrollverlust. Amid Rabieh (43) – er war mal Oberbürgermeister-Kandidat der Linken in Bochum – befürchtet, dass sich die Partei häuten könnte, also ihre Ausrichtung verändert, wie zuletzt die AfD und die Piraten.
Vor Häutungen seien sei wohl auch die Wagenknecht-Partei nicht gefeit, vermutet Professorin Weissenbach: „Immer, wenn eine Partei gegründet wird, beginnt ein Kampf um den Markenkern. Neuausrichtungen sind später durchaus normal, denken wir nur an die Grünen.“
Wie dünn die Ressourcen der künftigen Wagenknecht-Partei sind, stellte die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali gegenüber dpa dar. Es sei fraglich, ob die Partei in allen Bundesländern, in denen 2024 gewählt wird, antreten kann, also in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. „Dafür müssen wir Landesverbände gründen, eine starke Kandidatenliste haben und in der Lage sein, einen guten Wahlkampf zu finanzieren“, so Mohamed Ali. Für den Europa-Wahlkampf fehlten noch Spenden. Die bisher eingesammelten 1,2 Millionen Euro Spenden seien zwar genug für die Parteigründung, reichten aber nicht für die Europawahl im Juni. Ein Landesverband NRW sei noch nicht in Sicht, betonen Leye und Rabieh.
Die Wagenknecht-Partei habe zum Start Vorteile gegenüber Parteien, die aus dem „Nichts“ kommen. Durch ihre Vorgeschichte in der Linken verfüge sie über politische Erfahrung, erläutert Weissenbach. Folgende Fragen müssten aber erst beantwortet werden: „Gelingt es der Partei, Gliederungen, zum Beispiel für die Parteijugend und Frauen, aufzubauen? Kann die Partei einen Führungswechsel überleben?“ Der AfD sei dies wiederholt gelungen.
Laut einer Analyse der CDU liegt das Stimmenpotenzial der Wagenknecht-Partei bei bis zu zehn Prozent. Ob sich Union, SPD und Grüne jetzt warm anziehen müssen, bezweifelt Kristina Weissenbach. Stimmen sammeln könnten die Wagenknecht-Getreuen vor allem unter AfD- und Linken-Wählerinnen und Wählern sowie im Lager der Nichtwähler.
Wie nachhaltig das Wagenknecht-Experiment ist, sei derzeit nicht abzusehen, erklärt Expertin Weissenbach: „Die Parteienforschung zeigt für die ganze EU: Neue Parteien halten sich meistens dann dauerhaft, wenn sie die dritte Wahl auf nationaler Ebene überstehen.“ Das wäre, falls sich die Termine nicht verschieben, im Jahr 2033.