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Amerikanerin bei den ParalympicsEin Hai riss ihr ein Bein ab – nun will sie Gold

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Hofft auf Medaillen in Paris: Schwimmerin Alexandra Truwit lebt mit einer Prothese.

Hofft auf Medaillen in Paris: Schwimmerin Alexandra Truwit lebt mit einer Prothese.

Die 24-jährige Amerikanerin Alexandra Truwit, die einen Haiangriff überlebte, tritt bei den Paralympics an und zählt zu den schillerndsten Persönlichkeiten.

Für alle Heranwachsenden, die keine Lust auf Schwimmunterricht in der Schule haben, hat Alexandra Truwit eine Mahnung parat: „Schwimmen hat mir definitiv das Leben gerettet“, sagt die 24-jährige mit weit aufgerissenen Augen. 15 Jahre war sie auf Leistungsniveau geschwommen, ehe sie an einem Tag im Mai 2023 alles, was sie in unzähligen Trainingseinheiten gelernt hatte, anwenden musste. Immerhin trat sie gegen einen Hai an. Und schwamm am Ende ohne Fuß, aber mit dem Leben davon.

Bei den Paralympischen Spielen, die noch bis Sonntag in Paris stattfinden, zählt Truwit zweifellos zu den schillerndsten Persönlichkeiten. Am 5. und 6. September startet sie jeweils über 400 Meter Freistil und 100 Meter Rücken. Je weiter sie in diesen Wettbewerben kommt, desto häufiger dürfte dieser Tage ihre unglaubliche Geschichte erzählt werden.

Schwimmerin Alexandra Truwit richtet vor dem Wettkampf ihre Prothese.

Schwimmerin Alexandra Truwit nimmt vor dem Wettkampf ihre Prothese ab.

Truwit selbst hat sie gegenüber US-amerikanischen Medien so erzählt: „Zwei Tage nach dem College-Abschluss fuhr ich mit einer meiner besten Freundinnen auf einen Schnorcheltrip.“ Zu den Turks- und Caicosinseln nahe den Bahamas waren sie gereist, um die atemberaubende Natur über und unter Wasser zu erleben. „Dann kam aus dem Nichts ein Hai auf uns zu, rammte uns, attackierte uns.“

Hai-Attacke: Schwimmen, um zu überleben

Die zwei Freundinnen wehrten sich mit Kräften. „Wir kämpften. Aber ziemlich schnell war mein Bein in seinem Maul“, erinnert sich Truwit. „Das Nächste, woran ich mich erinnere, war, dass mein Fuß und ein Teil meines Beins abgebissen waren.“ Die Distanz, die Truwit und ihre Freundin und Schwimmkollegin Sophie Pilkinton im Ozean bis zu ihrem Boot schwimmen mussten, hat die Überlebende mal auf rund 25, mal auf gut 80 Meter geschätzt. Klar scheint: Um vor einem Hai davonzuschwimmen, war es eine beträchtliche Strecke. „Alles, was ich gelernt hatte, musste ich zu meinem Vorteil nutzen, in einer Situation, in der ich eigentlich keinen Vorteil hatte.“ Denn der jungen Frau, die gerade ihr Studium in Kognitiven Wissenschaften und Ökonomie abgeschlossen hatte, war in jenen Momenten völlig bewusst: „Ich hatte keinen Fuß mehr und blutete stark. Der Hai kreiste auch noch um uns.“

Schwimmerin Ali Truwit in Aktion

Schwimmerin Ali Truwit in Aktion

Die zwei schafften es auf ihr Boot. Pilkinton band ihrer Freundin das Bein fest ab, damit Truwit nicht noch mehr Blut verlor. Die Zeit danach verbrachte Truwit im Krankenhaus. Doch bald schon folgte die Bewältigung eines Traumas. „Es war dann schwierig für mich, Wassergeräusche auch nur zu hören und nicht gleich wieder gedanklich in die Momente dieses Haiangriffs zurückgeworfen zu werden.“

Haie: Faszination und Angst zugleich

Kaum eine Gattung von Lebewesen aus dem Meer ruft bei Menschen so viel Faszination, aber auch so viele Ängste hervor wie Haie. Sie gelten als elegant und schön, aber auch als gefährlich. Bilder aus erfolgreichen Filmen wie „Der weiße Hai“ oder „The Beach“, in denen ein Hai schwimmende Menschen angreift, haben sich im kollektiven Gedächtnis eingeprägt. Unzählige weitere Geschichten, Cartoons und Karikaturen adaptieren solche Bilder.

Tatsächlich sind Angriffe durch Haie selten. Das Florida Museum of Natural History, das hierzu Statistiken führt, kommt für das Jahr 2023 auf weltweit 120 Interaktionen zwischen Menschen und Haien, in 91 Fällen biss der Hai zu – dies traf zu 42 Prozent Personen, die surften, schnorchelten oder andere Wassersportarten betrieben. Zudem kommt es meist dann zu Bissen, wenn Menschen ins natürliche Habitat der Haie eindringen, seltener nachdem sie durch Anfassen und ähnliche Aktionen provozierten. Gestorben an den Interaktionen sind 2023 weltweit nur 14 Personen, lebenslang verletzt deutlich mehr.

Truwit gehört zu denen, die sich nicht zurückwerfen lassen wollten. Drei Monate nach der traumatisierenden Begegnung im Ozean war sie wieder im Wasser, wenn auch in einem Schwimmbecken, und begann zu trainieren. „Ich wollte für all das kämpfen, was ich zurückkriegen könnte. Meine Liebe fürs Wasser gehörte dazu.“ 2024 war sie schon bei den Para Swimming European Open Championships im portugiesischen Funchal dabei, wurde über 400 Meter Freistil Zweite.

Auf dem Weg ins neue Leben half auch der Austausch mit anderen. Truwits Prothesenbauer stellte Kontakt zur Para-Schwimmerin und mehrfachen Medaillengewinnerin Jessica Long her. Die zwei wurden Freunde. „Ihr Selbstvertrauen und die Art, wie sie ihre Prosthese auch stolz außerhalb des Beckens zeigt, haben mir Kraft gegeben, mich so zu akzeptieren, wie ich bin“, sagt Truwit. „Ich habe Glück, sie in meinem Leben zu haben.“

Auch die 32-jährige Long tritt dieser Tage in Paris an. Eine direkte Konkurrentin Truwits ist sie aber nicht. Long schwimmt in der Kategorie S8, die für eher milde Beeinträchtigungen vorgesehen ist wie einen Mangel an umfassender Muskelkraft. Truwit dagegen gehört der Kategorie S10 an, wo Personen mit Bewegungseinschränkungen in Hüfte oder unteren Beinpartien teilnehmen oder eben solche mit Fußamputation.