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Ukraine KriegWo die Russlandfreunde wohnen – ein Blick auf Deutschlands Osten

Lesezeit 7 Minuten
Russlands Präsident Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher? Im Osten sehen das nicht wenige anders.

Russlands Präsident Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher? Im Osten sehen das nicht wenige anders.

Verständnis für Putin und Nato-Kritik sind in den neuen Bundesländern stärker verbreitet als im Westen. Woher rührt das Misstrauen gegenüber der Regierungslinie? Eine Erklärungssuche.

Lange hatte Kanzler Olaf Scholz gezögert, bevor er Ende Mai einen Kurswechsel hinlegte: Die Ukraine darf westliche und damit auch deutsche Waffen gegen Ziele in Russland einsetzen. Die schwierige Lage des angegriffenen Landes in der Region Charkiw setzte den Kanzler unter Zugzwang. Dabei hatte er sich zuletzt noch als Friedenskanzler geriert, blockt in bestimmten Fragen eine Ausweitung der Militärhilfe für das Land weiter ab. Weder will er Taurus-Marschflugkörper liefern, noch von Nato-Gebiet aus den ukrainischen Luftraum schützen.

Im Osten Deutschlands, wo im September in gleich drei Bundesländern gewählt wird, dürften viele nicht einverstanden sein mit Scholz Kehrtwende. Denn dort blicken viele Menschen besonders skeptisch auf die Militärhilfe für die Ukraine.

Erst kürzlich hatten Kommunalvertreter der brandenburgischen Uckermark einen Brief an den Kanzler geschrieben. Darin forderten sie eine friedliche Lösung statt weiterer militärischer Unterstützung für die Ukraine. Unterzeichnet hatten sowohl Vertreter der AfD und der Linken als auch der CDU und der SPD.

Ostdeutschland: Verschwörungstheorien zum Ukrainekrieg

Wer Gespräche im Osten führt, wird auch immer wieder Extrempositionen oder Verschwörungserzählungen zum Krieg hören. Russlands Präsident Wladimir Putin ein Kriegsverbrecher? Nein, es könne doch nicht sein, dass ständig nur auf ihm herumgehackt werde, meinen nicht wenige. Und: Russland sei 20 Jahre lang vom Westen ausgegrenzt und betrogen worden.

Aber der Angriffskrieg gehe doch klar von dem russischen Machthaber aus? Selbst wenn, der Westen, der sei doch auch nicht besser, wird argumentiert. Putin habe lediglich auf die Nato-Osterweiterung reagiert – ein Narrativ, das von Putin selbst verbreitet wird.

Und wer mehr Militärhilfe für die Ukraine befürwortet, damit das Land sich besser verteidigen kann, der sei ein Kriegstreiber, der nur das Leid verschärfen, den Krieg verlängern und den Tod weiterer Menschen wolle.

Solche Meinungen gibt es zwar überall in Deutschland, im Osten allerdings sind radikale Standpunkte und Verschwörungserzählungen zum Krieg gegen die Ukraine stärker verbreitet als in den alten Bundesländern. Zu diesem Ergebnis kam 2022 eine Studie des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie.

These zum Ukraine-Krieg: Nato provozierte Russland

Demnach findet jede dritte Person in den neuen Bundesländern, die Nato habe Russland so lange provoziert, dass es in den Krieg ziehen musste. Weitere 26 Prozent stimmten dieser Aussage teilweise zu. In den westdeutschen Bundesländern pflichteten der These hingegen nur 16 Prozent vollkommen und 19 Prozent teilweise zu.

27 Prozent unter den Menschen in Ostdeutschland glaubten der Studie zufolge, Putin gehe gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht. 29 Prozent bejahten die These teilweise. Im Gegensatz dazu lagen die Werte in Westdeutschland bei 16 und 26 Prozent.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in Umfragen zu Waffenlieferungen. In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa von April etwa lehnten 72 Prozent der Befragten im Osten umfangreichere Militärhilfen für die Ukraine ab, aber nur 45 Prozent im Westen. Woher aber rührt diese verbreitete Haltung im Osten, die oft als Russlandfreundlichkeit bezeichnet wird?

USA-Skepsis im Osten weiter verbreitet

Die Politikwissenschaftlerin Astrid Lorenz von der Uni Leipzig macht dafür zum Großteil die unter vielen Ostdeutschen „grundsätzlich skeptischere Sicht auf die USA und ihre Rolle in der Welt“ verantwortlich. „Sie unterstellen den USA eine unangebrachte Großmachtattitüde, die selbst Ursache vieler Probleme ist, und empfinden daher die Politik der Bundesregierung gegenüber den USA als zu unkritisch“, sagt Lorenz.

Daraus leite sich ein gewisses Verständnis dafür ab, dass andere traditionelle Großmächte, so auch Russland, den USA sowie der Nato etwas entgegensetzen wollten. Vor allem, da die Nato-Osterweiterung häufig sehr kritisch betrachtet werde. „Das wird quasi als legitime Machtpolitik verstanden, um eine balance of power zu erreichen“, sagt Lorenz.

Eine Rolle spielt aus Sicht der Politikwissenschaftlerin dabei die historische Verbundenheit zu Russland. In der DDR sei eine Geschichtserzählung zu Osteuropa verbreitet worden, die der Perspektive Moskaus entsprochen und die Historie der Ukraine, der baltischen Länder und anderer Republiken nicht gleichrangig betrachtet habe. „Diese Geschichtserzählung haben viele nach wie vor grob im Kopf. Sie beeinflusst, für wie legitim Gebietsansprüche gehalten werden“, so Lorenz.

Ukraine-Krieg: Nur 47 Prozent der Jüngeren hält Russland für verantwortlich

Doch es sind keineswegs nur ältere Ostdeutsche, die russlandfreundliche Positionen vertreten. Die Sozialisations- und Bildungsforscherin Nina Kolleck hat untersucht, was junge Menschen über den Krieg in der Ukraine denken. In einer Studie von 2022 zeigte sich: In Ostdeutschland machten nur 47 Prozent der Befragten zwischen 16 und 29 Jahren Russland gänzlich verantwortlich für den Krieg, im Westen hingegen 55 Prozent.

Viele junge Menschen im Osten plädierten zudem dafür, dass Deutschland sich heraushalten solle aus dem Konflikt. Zwar will Kolleck allein aus den Ergebnissen nicht grundsätzlich auf eine größere Russlandfreundlichkeit im Osten schließen. „Eher steckt da der Ruf nach einer starken Hand – einer autoritären Kraft – dahinter, die vor dem Chaos beschützen soll.“

Dennoch hält sie es für einleuchtend, dass durch die historische Nähe zur Sowjetunion russlandfreundliche Positionen von Generation zu Generation getragen werden. Das sei empirisch schwer zu belegen, aber plausibel mit Blick auf sozialistisch sozialisierte Lehrkräfte, die schon zu DDR-Zeiten unterrichtet haben, und Eltern, die ihre Haltung an ihre Kinder weitergeben. „Man passt die eigene Meinung sehr schnell an das Umfeld an“, sagt Kolleck.

Der Westen als Feindbild

Es gebe auch eine verbreitete feindliche Einstellung gegenüber dem Westen. Vor allem aber sinke das Vertrauen in die Medien und die politischen Institutionen, so Kolleck. Gerade in ländlichen Regionen, wovon Ostdeutschland bekanntlich viele hat. „Dort gibt es oft keine fundierte politische Bildung in den Schulen“, klagt sie. Politische Bildung, Medienbildung oder Geschichte würden oft nur als Begleitfächer gesehen und damit vernachlässigt, gerade an Schulen jenseits von Gymnasien. „Nur bröckelt dadurch unser gesellschaftlicher Zusammenhalt“, so Kolleck. Die Demokratie sei darauf angewiesen, dass Bürger mündig erzogen werden. „Diese Relevanz erkennt die Politik nicht ausreichend, obwohl damit auch ihre Existenz bedroht ist.“

Hinzu kommen die Brüche nach der Einheit: Arbeitslosigkeit, Wohlstandsverluste, Perspektivlosigkeit. Alte Denkmuster und Autoritäten seien weggebrochen, sagt die Historikerin Silke Satjukow. Bis heute sind Menschen in Ostdeutschland ökonomisch benachteiligt und seltener in Eliten vertreten, was das Misstrauen verstetigt.

Ostdeutschland: Viele fühlen sich abgehängt

Besonders in ländlichen Räumen im Osten fühlten sich viele oft abgehängt und ohnmächtig, sagt Kolleck. Und: „Dieses Gefühl, aus einer prekären Situation nicht herauskommen zu können, von den Krisen und Kriegen bedroht zu sein, während Kapitalisten sich durch das System bereichern, kann auch Einfluss haben auf eine ablehnende Haltung“, so Kolleck.

Eine Rolle spielten aber auch demokratiefeindliche Influencer in den sozialen Medien, die die Skepsis gegenüber der Ukrainepolitik nicht nur, aber auch im Osten befeuern. Beispielhaft nennt sie den rechtsgerichteten Podcast „Hoss & Hopf“, in dem schon öfter Verschwörungserzählungen zum Krieg in der Ukraine verbreitet worden sind.

Und dann ist da noch die AfD, die in ostdeutschen Bundesländern in Wahlumfragen derzeit um die 25 bis 30 Prozent erreicht und in den sozialen Medien besonders präsent ist. Dort zeichne die in Teilen rechtsextreme Partei ein russlandfreundliches Bild, sagt Kolleck. „Die AfD versteht es, geschickt die Sorgen und Nöte zu erkennen und auf die Menschen, die sich vernachlässigt fühlen, zuzugehen.“ Ob in den sozialen Medien oder in der analogen Welt.

Maßnahmen gegen das fehlende Vertrauen in die Institutionen und extremistische Positionen sieht Kolleck einige. Sie fordert, den außerschulischen Sektor zu stärken – gerade die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die immerhin mit jungen wie alten Menschen ins Gespräch kommen. Außerdem sei ein gesamtschulischer Ansatz nötig, um die politische, historische und mediale Bildung zu verbessern.

Wichtigste Waffe der Politik: das Gespräch„Alle Lehrkräfte müssen wissen, wie sie mit Extremismus, Verschwörungserzählungen und Menschenfeindlichkeit umgehen können“, so Kolleck. Und auch wenn es angesichts der zunehmenden Attacken gegen sie schwerfalle, müssten Politiker vermehrt das Gespräch mit Bürgern suchen. „Ein kompletter Rückzug ist keine Lösung“, sagt Kolleck. Nicht zu vergessen seien die sozialen Medien, für die die demokratischen Parteien dringend ihre Strategien überarbeiten müssten.

Nur kostet das alles Geld. Geld, das ohnehin knapp ist. Trotzdem, sagt Kolleck, dürfe nicht im Bildungssektor gespart werden, „wenn das gesellschaftliche System bröckelt“. Wie sehr, wird sich im September bei den Landtagswahlen zeigen. Laut Umfragen ist Russlands Krieg jedenfalls eines der Themen, das den Menschen am wichtigsten ist.

Dieser Artikel erschien zuerst im „Tagesspiegel“ in Berlin.