Migranten aus Rumänien und Bulgarien leben in Duisburg oft unter menschenunwürdigen Bedingungen und kassieren Leistungen in vierstelliger Höhe. Steckt dahinter ein System? OB Sören Link redet sich den Frust von der Seele.
Duisburgs OBWas tun gegen kriminelle Sozialbetrüger, Herr Link?
Wenn es um Probleme im Zusammenhang mit Migration geht, tun sich Politiker oft schwer, Klartext zu reden. Sören Link ist da anders. Seit 2012 ist der SPD-Mann Oberbürgermeister in Duisburg. Der Stadt macht seit Jahren ein verstärkter Zuzug von Menschen aus Rumänien und Bulgarien zu schaffen. Steckt dahinter organisierter Sozialleistungsmissbrauch?
Hat Duisburg ein Migrationsproblem?
Duisburg kann Integration, das ist Teil unserer DNA. Die Stadt ist mit Zuwanderern aus dem heutigen Polen, später aus Italien, Spanien und der Türkei gewachsen. Aber: Was wir in den letzten Jahren erleben, ist gezielte Armutszuwanderung aus Südosteuropa. Das bringt ganz neue und bislang nicht gekannte Herausforderungen mit sich. Es handelt sich um organisierte Zuwanderung, es werden Sozialleistungsbezieher vor allem aus Rumänien und Bulgarien regelrecht zugeführt. Die kommen mit fehlerfrei ausgefüllten Formularen bei uns an, obwohl sie kein Wort Deutsch können. Das stellt uns als Stadtgesellschaft und besonders die Menschen in den betroffenen Quartieren vor enorme Herausforderungen.
Über wie viele Menschen reden wir denn da?
Mittlerweile leben 27000 Rumänen und Bulgaren, darunter zigtausende Kinder, in Duisburg. Klar ist, darunter sind auch viele rechtschaffene Bürger. Aber es kommen bei weitem nicht alle hierher, um Fuß zu fassen und um eine reguläre Beschäftigung zu finden. Sie sind Teil eines organisierten Sozialleistungsmissbrauchs.
Wie funktioniert der?
In Europa herrscht Arbeitnehmerfreizügigkeit. Europäer dürfen dort in Europa arbeiten, wo sie wollen. Das ist eine große Errungenschaft. Aber bei dem, was wir hier in Duisburg erleben, werden die einst angedachten Bedingungen für dieses Prinzip überhaupt nicht erfüllt. Im Moment ist es so: Wer für 175 Euro im Monat in Deutschland arbeitet, der kann den Rest seines Bedarfs legal über Sozialleistungen – etwa Kindergeld – aufstocken. Das bedeutet: Wenn bei einer vierköpfigen Familie der Vater für 175 Euro im Monat in einem Minijob arbeitet, kann die Familie fast 2100 Euro an Sozialleistungen bekommen. Aber aus meiner Sicht ist diese geringfügige Beschäftigung nur ein Vorwand, um eben diese Sozialleistungen zu beziehen.
Aber das ist doch keine spezielle Ausgangslage in Duisburg?
Es sind vielleicht 20 deutsche Städte davon betroffen: Duisburg, Gelsenkirchen, aber auch Bremerhaven. Was sie gemeinsam haben: Sie liegen verkehrsgünstig, es gibt verhältnismäßig viel günstigen Wohnraum und der Anteil an Sozialleistungsempfängern ist relativ hoch. So sind die Städte wohl in den Fokus geraten. Ich werde nicht müde, auf das Problem in Düsseldorf, Berlin und Brüssel hinzuweisen. Wir brauchen eine Lösung. Leistungsträger für den Arbeitsmarkt herzlich gerne. Leistungsempfänger für das Sozialsystem bitte nicht. Das spiegeln mir auch die Bürger in den betroffenen Stadtteilen. Der ehrliche Bürger fühlt sich verraten und alleingelassen vom Staat.
Wie sieht das Leben in den betroffenen Quartieren der Neu-Duisburger aus?
Wo soll ich anfangen? Das sichtbarste Problem ist der Müll, der aus dem Fenster fliegt, statt in der Mülltonne zu landen. Die Exkremente, die in Hausfluren hinterlassen werden statt in der Toilette. Ich selbst habe Stromanschlüsse gesehen, da wurde mit Gabeln überbrückt und daneben schliefen Menschen. Oder in einer anderen Wohnung, in der bereits der Strom abgeklemmt war, lief ein Notstromaggregat mit Diesel. Dort lebten auch sechs Kinder. Das sind Lebensumstände und Verhaltensweisen, die gefährden nicht nur die Bewohner der jeweiligen Wohnung, sondern das ganze Haus, die ganze Nachbarschaft. Wenn es dort zu Bränden kommt, wenn Ungeziefer sich ausbreiten kann. Stellen Sie sich vor: Sie wohnen 30 Jahre in einem Haus und plötzlich ziehen Menschen ein, die sich so verhalten. Das können wir nicht akzeptieren. Aber Integrationsbemühungen unsererseits scheitern allein schon daran, dass die Klientel so schnell wechselt: Da haben wir gerade erklärt, wie die Mülltrennung funktioniert und schon ist die nächste Familie da, die Kita-Plätze und Schul-Plätze für die Kinder benötigt. Wir reden da zum Teil von 16-Jährigen, die noch nie eine Schule von innen gesehen haben.
Woraus schließen Sie, dass das organisierter Sozialleistungsmissbrauch, mithin organisierte Kriminalität ist?
Eine Familie am Rande Rumäniens oder Bulgariens wacht ja nicht morgens auf und sagt: Lass uns mal nach Duisburg gehen und dort Sozialleistungen mit fehlerfrei auf Deutsch ausgefüllten Formularen beantragen. Das ist doch illusorisch! Diese Menschen haben keine Erwerbsperspektive in Deutschland. Sie sprechen kein Deutsch, sie haben keinen Schulabschluss oder irgendwelche anderen Qualifikationen, mit denen sie in der Lage wären, ausreichend Geld auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verdienen, um sich selbst und ihre Familie zu versorgen. Sie sind also hier, um Sozialleistungen zu beziehen. Da gibt es Hintermänner, die profitieren. Die organisieren Transport, Unterbringung und wohl auch den Minijob.
Wer sind diese Leute und wo sitzen sie?
Das müssen Sie Polizei und Staatsanwaltschaft fragen. Was ich sagen kann: Wir als Stadt treffen immer wieder auf dieselben Vermieter, die Wohnungen zur Verfügung stellen. Oder Menschen, die als Arbeitgeber auftreten und mehrere Dutzend Kleinstarbeitsverhältnisse mit Rumänen und Bulgaren abschließen. Diese Leute machen den Sozialleistungsmissbrauch erst möglich, das ist ein ausgeklügeltes System.
2014, als die Freizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien erweitert wurde, warnte vor allem die Union genau vor diesen Zuständen. Das wurde von anderen Parteien als Panikmache, auch als rassistisch abgetan.
Moment, ich habe auch damals schon gewarnt. Heute muss ich sagen: Es war eine vermeidbare Fehleinschätzung, unter deren Folgen Duisburg jetzt leidet. Das muss umgehend korrigiert und der Zuzug dieser Menschen unter dem Etikett der Arbeitnehmerfreizügigkeit muss gestoppt werden. Da müssen die Bundesregierung und die Europäische Kommission ran.
Nun gehören Rumänien und Bulgarien auch zum Schengen-Raum. Neben der Arbeitnehmer- gilt jetzt auch die Reisefreizügigkeit. Wird das Auswirkungen haben?
Die Menschen kommen so oder so nach Duisburg, Schengen-Raum hin oder her. Da mache ich mir mehr Sorgen um eine weitere EU-Osterweiterung. Armutsgefälle und fehlende Perspektiven vor Ort machen Menschen empfänglich für das Versprechen: In Deutschland geht’s dir besser. Ich befürchte, dass wir die Fehler, unter deren Folgen Duisburg leidet, gerade wiederholen. Seit 2012 bin ich Oberbürgermeister und seit 2012 habe ich jetzt diverse Bundes- und Landesregierungen mit dem Thema genervt. Ich habe das, was mich von Bürgern an Hilferufen erreicht, weitergetragen an diejenigen, die das Problem lösen könnten. Aber egal, wie die Minister oder Kanzlerinnen und Kanzler hießen: Am Ende gab es außer Betroffenheit und großen Augen nichts Substanzielles. Das ist frustrierend.
Bleiben Sie trotzdem am Ball?
Vor wenigen Tagen habe ich noch an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geschrieben: Er könnte dafür sorgen, dass nicht schon der 175-Euro-Minijob ausreicht, um Sozialleistungen zu beziehen. So könnte man dem Missbrauch der Freizügigkeit einen Riegel vorschieben. Darauf habe ich die Antwort einer Staatssekretärin bekommen: Nein, tut uns Leid, das ist legal und man muss das so akzeptieren.
Populär ist das, was Sie und wie Sie es sagen, in der SPD aber vermutlich nicht?
Ich bin Sozialdemokrat mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Ich kann nicht rechtfertigen, dass Menschen 50 Jahre lang harter Arbeit nachgehen und am Ende auf einem mickrigen Rentenniveau landen, während auf der anderen Seite Menschen für 175 Euro im Monat arbeiten gehen und dazu mehr als 2000 Euro an Sozialleistungen beziehen. Da muss der Staat handeln. Diese Ungerechtigkeit treibt Menschen in die Arme von Populisten und Extremisten.