Altschulden-Mogelpackung, Mallorca-Gate, Wohnungsbau-Flaute – und jetzt auch noch Verfassungsbruch: Kommunalministerin Ina Scharrenbach steht unter Druck.
NRW-Ministerin in der KriseIna Scharrenbach entzaubert sich im Rekordtempo
Als Ina Scharrenbach im Februar des vergangenen Jahres zum dritten Mal in den Zeugenstand des Untersuchungsausschusses „Hochwasserkatastrophe“ geladen war, schien sich die Raumtemperatur im Landtag einer ernsthaften Gasmangellage anzunähern. Es wurde eisig.
Geschlagene 61 Minuten lang ließ die Kommunalministerin die fragenden Abgeordneten mit hingeworfenen Kurzantworten auflaufen. Wie sie sich in den dramatischen Tagen nach der Flut im Sommer 2021 mit dem damals eingesetzten Sonderkoordinator abgestimmt habe? „Bei mir geht alles. Meine Tür steht immer offen.“ Wie die Schrittfolge beim Wiederaufbau war? „In Ihrem Untersuchungsgegenstand findet sich der Wiederaufbau nicht.“ Warum sie sich früh ein Lagebild aus dem Innenministerium besorgte? „Ein bisschen Respekt vor meinem Amt wäre auch gut.“
Lust- und ausdruckslos atmete Scharrenbach jedes Thema weg. Die 47-jährige CDU-Politikerin gab sich erst gar keine Mühe, Respekt vor dem Landtag als ihrem Gesetzgeber und obersten Kontrollgremium zu heucheln. Sie hatte dem Untersuchungsausschuss, der gerichtsähnliche Befugnisse hat, überhaupt nur zehn Aktenseiten zur Verfügung gestellt. Es sei schließlich lediglich nach Material „während“ der Flut gefragt worden, belehrte sie das Gremium.
Spektakuläres Urteil
Eine Provokation. Und ein Verfassungsbruch, wie das oberste NRW-Gericht in Münster an diesem Dienstag in einem spektakulären Urteil feststellte. Es sei klar gewesen, dass der Untersuchungsgegenstand „nicht auf den Zeitraum bis zum Abfließen der Wassermassen beschränkt ist“, erklärte Verfassungsgerichtspräsidentin Barbara Dauner-Lieb.
Geklagt hatte die SPD-Opposition, die sich von Scharrenbach gedemütigt fühlte. Das erlebt man im parlamentarischen Miteinander sehr selten, da es zur demokratischen Dialektik gehört, dass man im Landtag miteinander erbittert streitet und dennoch hinterher zusammen ein Bier trinken kann. Scharrenbach hat diesen unausgesprochenen Konsens aufgekündigt.
In Düsseldorf rätselt man, ob die Politikerin aus Kamen etwas zu verbergen hat. Oder nur ihre Macht ausspielen wollte. Oder einfach nur Recht behalten. Alles erscheint vorstellbar. Nun ist der Schaden groß und trifft Scharrenbach in einer empfindlichen Phase ihrer Karriere. Seit geraumer Zeit zeigt die Kurve nämlich nach unten.
Die gelernte Betriebswirtin, die vor ihrem politischen Aufstieg für eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet hat, versteht sich eigentlich auf Prozessoptimierung. Korrektheit zählte lange zu ihrer politischen DNA. In der Ruhr-CDU wurde die „strenge Ina“ nie geliebt, aber stets geachtet. Obwohl sie über das Bronzeabzeichen im Tanzen verfügt und in einer Gärtnerei groß geworden ist, die heute ihr Zwillingsbruder führt, schien ihr dieses wärmende Familiäre einer Partei immer ein wenig abzugehen.
Seit sie 2017 zur Kommunalministerin berufen wurde, umflorten sie Geschichten über Arbeitswut, Aktenfleiß und eine phänomenale Auffassungsgabe. In Düsseldorf entstand das Bild einer Paragrafen-Frau, die nie Urlaub macht und Politik als schnörkellose Problemlösung begreift. Außer einer Zigarette zwischendurch oder einem Griff in den Süßigkeitenschrank in ihrem Vorzimmer schien Scharrenbach an ihren 14-Stunden-Tagen nichts zu brauchen.
Als Chefin der Frauen-Union und Präsidiumsmitglied der Bundes-CDU wurde ihr vor zweieinhalb Jahren sogar zugetraut, Ministerpräsident Armin Laschet zu beerben. Doch ihr fehlte damals das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Landtagsmandat für den Sprung in die Staatskanzlei. Ihr Konkurrent Hendrik Wüst hatte eins. Nach der Landtagswahl 2022 beließ Wüst sie im Amt, obwohl da schon die „Mallorca-Affäre“ an ihrem Nimbus kratzte.
Hochrangige Mitarbeiter gehen
Scharrenbach war ausgerechnet im Flutsommer 2021, als 49 Menschen starben und viele Existenzen weggespült wurden, zu einer Geburtstagsparty des Ehemanns von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser auf die Baleareninsel geflogen. „Party hart statt Krisenstab“, höhnte das Netz. Heinen-Esser musste zurücktreten, Scharrenbach blieb.
Seither glückt nicht mehr viel. Die Unruhe in ihrem Ministerium ist groß, einige hochrangige Mitarbeiter haben das Haus verlassen. Gegen die Abschaffung der umstrittenen Straßenausbaubeiträge wehrte sich Scharrenbach lange. Bei der hohen Grunderwerbsteuer in NRW und dem Wohnungsmangel tut sich wenig. Die mittlerweile in ihrem Haus angesiedelte „Ruhrkonferenz“ droht in Vergessenheit zu geraten.
Vor allem das gebrochene Versprechen der schwarz-grünen Landesregierung, bis Ende 2023 einen Altschuldenfonds für finanzschwache Kommunen aufzulegen, hängt Scharrennach nach. Sie musste im vergangenen Sommer ein „Münchhausen-Modell“ (Oppositionsspott) zurückziehen, bei dem die Städte die Schuldenhilfen selbst bezahlt hätten.
Die Klatsche vor dem Verfassungsgericht wird Scharrenbach rasch mit ihrem enormen Terminpensum vergessen machen wollen. Kaum ein Kabinettsmitglied hält Woche für Woche so eifrig Grußworte im ganzen Land wie die Kommunalministerin. Doch eine mögliche Wüst-Nachfolge, sollte es den Ministerpräsidenten tatsächlich nach Berlin ziehen, hat sich wohl erledigt.Politik bleibt eben „People’s Business“, ein Geben und Nehmen unter Menschen.
Längst gilt Staatskanzleichef Nathanael Liminski, der in den Landtag nachrücken könnte, als erster möglicher Wüst-Nachfolger. Über Liminskis Umgangsformen urteilte neulich selbst ein gestandener SPD-Mann in der Landtagstiefgarage halblaut: „Politisch kann ich mit dem nix anfangen, aber persönlich: tadellos.“