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Cannabis-FreigabeVerbrechen und unregulierter Schwarzmarkt steigen in Deutschland

Lesezeit 5 Minuten
Kiffen und privater Cannabis-Anbau sind für Volljährige seit 1. April legal.

Kiffen und privater Cannabis-Anbau sind für Volljährige seit 1. April legal.

Trotz aller Mahnungen von Sicherheitsexperten hat die Bundesregierung Cannabis legalisiert. Nun kämpfen Banden um den neuen Markt. Bislang schlimmstes Beispiel: die Mocro-Mafia in NRW.

Nach der Freigabe von Cannabis im April dieses Jahres feierte die Szene in Deutschland. Hunderte jubelten am Brandenburger Tor und reichten einen riesigen Joint durch die Reihen. Seit diesem Tage dürfen Erwachsene legal Cannabis konsumieren und 25 Gramm des Rauschmittels bei sich tragen. Doch seither ist eine Welle der Drogenkriminalität über das Land hereingebrochen. In Nordrhein-Westfalen liefert sich die sogenannte Mocro-Mafia Revierkämpfe mit der kriminellen Konkurrenz, foltert und entführt Menschen.

Diese Entwicklung hätte die Bundesregierung vorhersehen können, sagen Sicherheitsfachleute und Oppositionspolitiker. Einer von ihnen, der Christdemokrat Erwin Rüddel, arbeitete im Gesundheitsausschuss des Parlaments am Cannabisgesetz mit. Er sagt, die Ampelkoalition sei von allen Seiten gewarnt worden, insbesondere von Sicherheitsexperten. Doch sie habe die Warnungen in den Wind geschlagen. Es sei ihr einzig und allein darum gegangen, ihr Prestigeprojekt noch in dieser Legislaturperiode zu vollenden, koste es, was es wolle.

Experten warnten frühzeitig

Der Polizeigewerkschafter Dirk Peglow war einer der Experten, die die Ampel frühzeitig auf die möglichen Folgen einer Cannabisfreigabe hingewiesen hatten. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) ist nicht überrascht, dass nun Drogenkriminelle ins Land strömen. Der Grund: Die Bundesregierung entkriminalisierte zwar den Konsum von Cannabis, schuf aber keinen legalen Markt für den Verkauf. In diese Lücke stoßen jetzt Kriminelle, die ihre Drogen verkaufen und sich um Marktanteile streiten. Hinzu kommt laut Peglow die enorm gestiegene Nachfrage der Konsumenten, die Cannabis nun legal konsumieren und in größeren Mengen besitzen dürfen.

Sein Berufsverband skizzierte bereits vor zwei Jahren das Szenario, das nun eintritt. Die Fachleute warnten davor, dass die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums in Deutschland den Schwarzmarkt nicht würde austrocknen können. Der BDK untersuchte dafür die Folgen der Cannabisfreigabe in mehreren Ländern – unter anderem in den Niederlanden.

In einem Positionspapier aus dem Juli 2022 heißt es, dort schwele seit Jahren ein „brutaler Konflikt“ unter den Drogenbanden, „Liquidationen auf offener Straße mit vollautomatischen Waffen“ häuften sich. Als prominentes Beispiel wird die Mocro-Mafia genannt, die insbesondere mit dem Mord am niederländischen Journalisten Peter de Vries und an dem Strafverteidiger eines Mafia-Kronzeugen von sich reden machte. Auch in Deutschland, so die Warnung des Verbands, könnten solche Zustände eintreten.

Im Juli schrieb Peglow noch einmal in einem Brief an das Bundesgesundheitsministerium und wies auf mögliche Folgen der geplanten Legalisierung hin. Doch die Regierung hielt an ihrem Gesetz fest.

Dann legte der BDK nach. In einer ausführlichen Stellungnahme zu dem Kabinettsentwurf teilte er mit, die kommende Rechtslage würde nicht nur dem Schwarzmarkt nützen, sondern auch den Kriminalbeamten ihre Arbeit erschweren. Sie könnten in bestimmten Fällen die Kommunikation von Kriminellen nicht mehr digital überwachen und durchsuchen. Die Strafprozessordnung sei für solche Fälle auch nicht geändert worden. Doch die Bundesregierung ignorierte die Warnung. Das rächt sich heute.

Erste juristische Folgen

Nach dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes im April passierte genau das, was Peglow befürchtet hatte. Nur zwölf Tage danach musste das Landgericht Mannheim einen Verdächtigen freisprechen, der im Alleingang 450 Kilogramm Marihuana im Gesamtwert von rund 1,9 Millionen Euro aus Spanien nach Deutschland geschmuggelt haben soll. In seiner Kommunikation benutzte der Tatverdächtige das verschlüsselte Chat-Programm Encrochat, das unter Kriminellen besonders beliebt ist.

Die Ermittler waren ihm durch die Entschlüsselung seiner Nachrichten auf die Schliche gekommen. Nach der neuen Rechtslage hätten sie seine Nachrichten aber nicht durchsuchen dürfen, weil er laut Cannabisgesetz keine schwere Straftat begangen hat. Somit entfiel das zentrale Beweismaterial. Was dem Gericht an übrigen Informationen über den Mann vorlag, reichte für eine Verurteilung nicht aus. Die Staatsanwaltschaft ging vor dem Bundesgerichtshof in Revision, noch ist kein Urteil gefallen.

Streit über die Methodik

Dabei klangen ursprünglich die Versprechen der Ampel ganz anders. Das Bundesgesundheitsministerium kündigte an, der Schwarzmarkt werde durch die legale Möglichkeit des Eigenanbaus von Cannabis „zurückgedrängt“. Auch Modellprojekte zur Abgabe von Cannabis seien geplant, hieß es, mit denen die Kommerzialisierung von Genusscannabis getestet werden sollte.

Einen Zeitplan dafür legte die Ampel aber nicht vor. Bis heute gibt es keinen. Eine Sprecherin teilte auf Anfrage mit, sie könne weder einen Zeitplan noch inhaltliche Details nennen, „solange die Beratungen andauern“. Der Christdemokrat Rüddel hält das für Augenwischerei. Derartige Abgabestellen würden nie und nimmer noch in dieser Legislaturperiode eingeführt werden, sagt er.

Er plädiert stattdessen für einen anderen Weg: Es sei sinnvoller, sich zuerst um eine Reform des EU-Rechts zu bemühen, das bislang den Verkauf von Genusscannabis verbietet. Erst in einem nächsten Schritt wäre es sinnvoll, den Cannabiskonsum, -anbau und -besitz auf breiter Front zu entkriminalisieren. Langfristig wirbt er für ein Modell, in dem Konsumenten an lizenzierten Abgabestellen – wie etwa Apotheken – legal Cannabis erwerben können.

Selbst Hersteller unzufrieden

Denn auch Cannabishersteller sind mit der derzeitigen Gesetzeslage unzufrieden. Finn Age Hänsel, Geschäftsführer des Medizinalcannabis-Herstellers Sanity Group und CDU-Mitglied, erklärt den Grund: Es fehle der geregelte Übergang zum kommerziellen Verkauf. Er hätte sich einen „klaren Fahrplan“ gewünscht.

Statt allein auf eine Reform des europäischen Rechtsrahmens zu setzen, schlägt Hänsel vor, Medizinalcannabis in Deutschland zunächst als rezeptfreies Arzneimittel erhältlich zu machen. So wäre es von der EU-Vorschrift ausgenommen, die den Verkauf von Cannabis als Genussmittel untersagt.

Peglow ist all diesen Überlegungen gegenüber mehr oder minder aufgeschlossen. Eines aber weiß er sicher: Die jetzige Gesetzeslage müsse schleunigst wieder geändert werden. Er hält das Cannabisgesetz nicht nur für eine „ernste Gefahr für den Jugendschutz“, sondern auch „für die innere Sicherheit in Deutschland“.

Dieser Artikel erschien zuerst in der „Neuen Zürcher Zeitung“.