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Memoiren erschienenMerkel über Merkel – So persönlich wurde sie noch nie

Lesezeit 3 Minuten
Angela Merkel bei der Vorstellung ihres Buches

Angela Merkel bei der Vorstellung ihres Buches

Die oft so unnahbare Altkanzlerin stellt in Berlin ihre Memoiren vor und zeigt sich dabei ungewohnt verletzlich.

Mancher Zuschauer dürfte sich in eine andere Zeit zurückversetzt gefühlt haben. Auf der Bühne im Deutschen Theater saßen sich noch einmal die ewige Talkshow-Moderatorin Anne Will und die ewige Kanzlerin Angela Merkel gegenüber. Diesmal nicht, um das aktuelle politische Geschehen zu besprechen, sondern um Merkels Buch „Freiheit“ vorzustellen, ihre Memoiren auf 700 Seiten. Das Publikum konnte die 70-jährige CDU-Politikerin von einer neuen Seite kennenlernen: Die einstige Teflon-Kanzlerin zeigte sich verletzlich.

Erst durch das Schreiben des Buchs habe sie etwa Gelegenheit gehabt, „mal in Ruhe auf mein Leben in der DDR zurückzublicken“. Erst jetzt sei ihr klar geworden, dass ihre Eltern ihr auf dem Hof in Templin „Schutzräume“ geschaffen hatten, in denen sie und ihre Geschwister unbeschwert aufwachsen konnten. „Dafür werde ich meinen Eltern immer dankbar sein.“ Herauszufinden, wo die Grenzen dessen lagen, was in der DDR möglich war, bezeichnet Merkel als „die eigentliche Lebenskunst“. Die Unbekümmertheit, die sie sich in der Diktatur erhalten konnte, empfindet sie als ihren „größten persönlichen Sieg über das System“.

Merkels Memoiren: Blick auf die DDR

Dass sie dem ersten Teil ihres Lebens in der DDR jetzt so viel Aufmerksamkeit schenkt, erklärt sie an diesem Abend damit, dass sie es als Bundeskanzlerin aller Deutschen nicht angemessen fand, ihre DDR-Vergangenheit zum Thema zu machen. Und doch sei der zweite Teil ohne den ersten nicht zu verstehen. Wenn andere ihr Leben in der DDR aber thematisierten hat es sie bisweilen verletzt, sogar empört, wie sie jetzt in seltener Offenheit einräumte. Etwa als ihre DDR-Biografie in einer Festschrift der Konrad-Adenauer-Stiftung als „Lebenballast“ bezeichnet wurde. Oder als ein „Welt“-Journalist ihre viel zitierte Äußerung in der Flüchtlingskrise „Dann ist das nicht mein Land“ als das Aufblitzen der nur „angelernten Bundesbürgerin“ interpretierte.

„Das hat mich empört!“, sagt Merkel auf der Bühne. Es muss sie, wie jetzt deutlich wird, einige Disziplin gekostet haben, das in ihrer Amtszeit nicht zu zeigen. Hätte sie nicht vielen Ostdeutschen das Leben leichter gemacht, wenn sie es doch getan hätte, will Anne Will wissen. Merkel antwortet: „Es ist doch eine schöne Mitteilung, dass die Fähigkeiten, die ich dort erworben habe, gereicht haben, um 16 Jahre Bundeskanzlerin zu sein.“

Merkel: Als Frau nach ganz oben

Wie unglaublich ihr Aufstieg von der Physikerin aus der DDR durch die männerdominierten Parteistrukturen der CDU bis ins Regierungsamt war, wird an diesem Abend aber doch noch einmal klar. Sie habe 1991, als sie am Kabinettstisch von Helmut Kohl als Frauenministerin Platz nahm, es selbst kaum glauben können. „Ich kannte diese Bilder aus der Tagesschau. Und jetzt bist Du hier, dachte ich.“ Welches Hindernis größer war, Ostdeutsche oder Frau zu sein, fragt Anne Will. Merkel antwortet entschieden: Frau zu sein.

Zu Beginn ihrer Amtszeit hätten die meisten Männer in ihrer Partei sie lediglich als eine „Übergangsvorsitzende“ gesehen, einen „Betriebsunfall“ nach den Wirren der Parteispendenaffäre um Kohl. Es kam anders, und Merkel zeigte einen Machtinstinkt, von dem viele kalt überrascht wurden. Bekanntlich war sie es, die die Karriere von Friedrich Merz 2002 jäh beendete, indem sie ihm den Fraktionsvorsitz abnahm. Zur Aussicht, dass er nun womöglich doch noch Kanzler werden könnte, sagt sie: „Man braucht diesen unbedingten Willen zur Macht. Friedrich Merz hat ihn auch. Und deshalb gönne ich es ihm.“

Zwischen Machtkampf und Disziplin gab es aber auch immer wieder den einen Moment der Zufriedenheit. Nach ihrer Vereidigung zu Beginn einer neuen Legislatur nahm Angela Merkel als Kanzlerin auf dem Regierungssessel vorne links im Plenum ihren Platz ein. Das habe sie immer genossen, gibt sie zu. „Ein paar gute Momente muss man ja haben.“