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„Meritocracy ETF“Was hinter den sogenannten „Anti-Woke-Fonds“ steckt

Lesezeit 4 Minuten
Der „Meritocracy ETF“ (Exchange Traded Fund) der Investmentfirma Azoria soll ausschließlich in den USA erhältlich sein

Der „Meritocracy ETF“ (Exchange Traded Fund) der Investmentfirma Azoria soll ausschließlich in den USA erhältlich sein

Die US-Investmentfirma Azoria bringt mit dem „Meritocracy ETF“ einen Fonds auf den Markt, der Diversität und Inklusion ablehnt. Experten bezweifeln dessen Erfolgsaussichten und kritisieren die politische Agenda.

Der Kampf in den USA um eine vermeintlich „woke“ Kultur hält an. Konservative kritisieren damit eine politische Korrektheit, die ihrer Ansicht nach freiheitliche Debatten einschränke – indem sie allerdings genau das tun, also Kultur und Sprache mit Verboten belegen. Die Cancel Culture der Republikaner treibt mittlerweile wundersame Blüten, die selbst in die Finanzbranche hineinreichen.

Ein neues Finanzprodukt, das im März auf den Markt kommen soll, schließt deswegen explizit rund drei Dutzend Unternehmen aus. Und zwar solche, die stark auf Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion setzen. Der „Meritocracy ETF“ (Exchange Traded Fund) der Investmentfirma Azoria soll ausschließlich in den USA erhältlich sein und verspricht, den Aktienindex S&P 500 nachzubilden. Aber ohne sogenannte Diversity-, Equality- und Inclusion-Richtlinien (DEI) anzuwenden. Experten zeigen sich skeptisch – sowohl gegenüber der Idee als auch hinsichtlich der Erfolgsaussichten.

Christian W. Röhl, Chefökonom beim Online-Broker Scalable Capital, bezeichnet den Fonds als „Umkehrung“ klassischer Fonds, die auf Umwelt und soziale Themen (ESG) fokussieren beziehungsweise solche, mit denen Anleger sozial verantwortlich investieren können.

Vorreiter in Sachen Diversität sind tabu

Demgegenüber gehe der Meritocracy ETF gezielt gegen Unternehmen vor, die als Vorreiter in Sachen Diversität gelten. „Inhaltlich ist der ETF die Übertragung der schon länger laufenden „Anti-Woke-Kampagne„ auf den Finanzmarkt“, so Röhl.

Auch Ali Masarwah, CEO und Chefanalyst bei der Fondsplattform Envestor, sieht im Anti-Woke-ETF vor allem einen „Marketing-Gag“. Er vergleicht ihn mit dem US-amerikanischen Laster-Investmentfonds (Vice Fund), der auf kontroverse Branchen wie Alkohol, Tabak, Glücksspiel und Waffen setzt. Der Unterschied sei jedoch, dass dem Vice Fund durchaus plausible Überlegungen zugrunde liegen. Der Anti-Woke-ETF hingegen operiere mit schwer überprüfbaren Kriterien. Er bediene eine politische Agenda, ohne einen klaren finanziellen Mehrwert zu bieten.

Befürworter des Fonds argumentieren, dass „woke“ Unternehmenspolitik dem Leistungsprinzip widerspreche und langfristig die wirtschaftliche Performance gefährde. Röhl hält dagegen: „Der behauptete Zusammenhang zwischen „wokem“ Management und schlechter wirtschaftlicher Performance, „Go woke, go broke“, entspringt eher einer politisch-gesellschaftlichen Agenda als wissenschaftlicher Evidenz.“

Zwar hätten Unternehmen wie Walt Disney und Starbucks, die sich Vielfalt, Fairness und Inklusion auf die Fahnen geschrieben haben, in den vergangenen Jahren tatsächlich unterdurchschnittlich performt. Die Gründe dafür sieht der Experte jedoch nicht in deren Diversitätsstrategien, sondern in spezifischen Branchenherausforderungen wie der Transformation zur Streaming-Plattform oder Konsumzurückhaltung. „Der hier angenommene Zusammenhang zwischen „Wokeness“ und Underperformance der Aktien ist Koinzidenz statt Kausalität“, so Röhl.

Starke Zweifel an Grundlagen des Fonds

Das sieht Masarwah ähnlich. Ihm sei unverständlich, warum Unternehmen mit männlich-weißen Aufsichtsräten gegenüber solchen mit Frauen im Vorstand besser abschneiden sollten. Er sieht zudem die methodische Grundlage des Fonds kritisch. „Mir ist nicht klar, ob es dazu überhaupt Daten gibt.“ Es sei demnach zweifelhaft, ob Unternehmen mit weniger Diversität tatsächlich besser abschneiden.

Außerdem sei die Frage, ob irgendein Unternehmen aus dem S&P 500, in die der ETF investieren wird, explizit ausschließe, mehr Frauen, Angehörige von Minderheiten oder Menschen aus der LGBTQ-Community anzustellen. Masarwah: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendein Unternehmen aus dem S&P 500 tun würde.“

Letztlich ist der Fonds nicht nur ökonomisch fragwürdig, sondern offenbar auch politisch kontrovers. „Solche Strategien haben nichts mit ,konservativ’ zu tun, sondern mit Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung von Minderheiten“, so Masarwah. Röhl sieht die Initiative des Fonds als Versuch, eine bestimmte Zielgruppe anzusprechen und deren Weltanschauung in die Geldanlage zu integrieren. Doch eine erfolgreiche Anlagestrategie müsse diversifiziert sein – inhaltlich wie ideologisch. Ist der Meritocracy ETF eine verfassungsfeindliche Luftnummer?

Die Erfolgsaussichten des Meritocracy ETFs bewertet Masarwah skeptisch. In einem stark diversifizierten Markt wie dem US-amerikanischen gebe es wenig Raum für solch eng gefasste Strategien. Zudem fehle es an belastbaren Daten, um die Fondsstrategie umzusetzen. „Das Ganze ist zu undurchdacht und kaum umsetzbar – was ja Marketing-Gags auch nicht sein müssen“, resümiert Masarwah. Der Fonds sei „eine absolute Luftnummer“, außerdem nicht „konservativ, sondern höchstwahrscheinlich auch verfassungsfeindlich“.

Die Diskussion um den Anti-Woke-Fonds zeigt, wie stark politische und gesellschaftliche Debatten den Finanzmarkt beeinflussen. Doch die Verbindung von Ideologie und Geldanlage bleibt ein Drahtseilakt – für Investoren ebenso wie für Anbieter.