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Bau von Kriegsschiffen?Was Putin mit der Meyer Werft zu tun hat

Lesezeit 5 Minuten
Die Meyer Werft in Papenburg ist bekannt für ihre Kreuzfahrtschiffe. Könnte sie im Ernstfall auch Kriegsschiffe bauen?

Die Meyer Werft in Papenburg ist bekannt für ihre Kreuzfahrtschiffe. Könnte sie im Ernstfall auch Kriegsschiffe bauen?

Nicht nur der Bau von Kreuzfahrtriesen wurde mit Staatsmillionen gerettet: Analysten halten den Standort auch im Kriegsfall für wertvoll.

Bei der staatlichen Rettung der Meyer Werft ging es längst nicht nur um Tausende Arbeitsplätze, die im Nordwesten Deutschlands am wirtschaftlichen Erfolg des größten Schiffsbauers der Republik hängen. Auch russische Mittelstreckenraketen spielten offenbar bei der Frage eine Rolle, ob das Unternehmen aus dem niedersächsischen Papenburg mit Hunderten Millionen Euro Steuergeld vor dem Untergang bewahrt werden soll.

Das zeigen bislang geheim gehaltene Unterlagen, die unsere Redaktion ausgewertet hat. Bevor der Bund und das Land Niedersachsen im Spätsommer als Anteilseigner einstiegen, wurde demnach an verschiedenen Stellen die potenzielle militärische Rolle der Meyer Werft hervorgehoben. Dabei ist sie bekannt für ihre Kreuzfahrt- und nicht für Kriegsschiffe.

In einem Gutachten zum volkswirtschaftlichen Nutzen des Unternehmens kommen die Analysten von „EY Parthenon“ aber zu dem Ergebnis, dass der Bau von Kriegsschiffen eine denkbare Alternative zu Kreuzfahrtschiffen sei – gerade dann, wenn geopolitische Spannungen weiter zunähmen. Deutschland wäre daher gut beraten, so die EY-Schlussfolgerung, die Schiffsbaukapazitäten bei Meyer zu sichern.

Außerhalb der Reichweite russischer Mittelstreckenraketen

Die Analysten schreiben, die Werft könnte jährlich bis zu fünf Fregatten oder andere große Marineschiffe bauen. Im Hafen von Papenburg könnte eine Art Fließbandfertigung etabliert werden. Keine andere Werft in Deutschland verfüge über derart große Kapazitäten wie Meyer mit seinen Trockendocks, heißt es.

Der Standort im nördlichen Emsland sei dabei aus zweierlei Gründen vorteilhaft: Zum einen könnten Schiffe in den großen Hallen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gebaut werden. Zum anderen liege Papenburg im Gegensatz zu anderen deutschen Marine-Werften außerhalb der Reichweite russischer Mittelstreckenraketen, die in Kaliningrad stationiert sind. Die Analysten sprechen von einer „strategisch wertvollen Lage“ der Werft.

Tatsächlich baut Meyer derzeit bereits an Marineschiffen mit. Die Federführung bei dem Projekt hat aber die Marine-Tochter der Lürssen-Werft aus Bremen: Gemeinsam werden zwei Tanker für die Marine gebaut.

Meyer Werft: Rolle im deutschen militärischen Schiffbau

Nach früheren Mitteilungen werden die Spezialschiffe größtenteils bei der zur Meyer Werft gehörenden Neptun-Werft in Rostock gefertigt – Luftlinie deutlich näher an Kaliningrad. Aus Papenburg sollen Teile zugeliefert werden. Wäre künftig auch eine Fertigung von Marineschiffen am Standort Papenburg denkbar? „Unter bestimmten Voraussetzung“, teilt ein Sprecher der Werft mit und ergänzt: „Aber dazu wollen und werden wir aktuell nicht weiter spekulieren. Konkrete Pläne gibt es derzeit dazu nicht.“

Die Argumente der Analysten jedenfalls, die ihr Gutachten im Sommer fertigstellten, finden sich auch wieder in einer Entscheidungsvorlage für den Haushaltsausschuss des Bundestages. Der hatte einige Wochen später für eine staatliche Stützung der Meyer Werft in Form einer Eigenkapitalspritze in Höhe von 200 Millionen Euro und der Übernahme von Bürgschaften in Milliardenhöhe gestimmt. Niedersachsen wird in ebendieser Höhe helfen.

In der Vorlage aus dem Bundesfinanzministerium an die Abgeordneten heißt es – ohne Russland explizit zu erwähnen: „Außerdem könnte die Meyer Werft bei einer Verschärfung der geopolitischen Lage potenziell eine bedeutende Rolle im deutschen militärischen Schiffbau einnehmen.“ Dabei stützt sich das Ministerium nicht nur auf die EY-Analysten. Auch das Bundesverteidigungsministerium hat eine Stellungnahme zur Meyer Werft abgegeben. Diese wird von der Bundesregierung aber nach wie vor unter Verschluss gehalten.

Argumentation nach der Zeitenwende

Sebastian Bruns vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel sieht in der Argumentation jedenfalls auch einen Ausdruck der Zeitenwende nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine: „Mit sicherheitspolitischen Aspekten wurde in der Vergangenheit eher selten argumentiert. Es ist sinnvoll, entsprechende Schiffbaukapazitäten zu sichern, um eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren.“

Allerdings hält der Marine-Experte Bruns die Argumentation gerade mit Blick auf den Radius russischer Mittelstreckenraketen nur für bedingt schlüssig: „Natürlich ist das ein Stück weit auch eine Milchmädchenrechnung: Im Falle eines Krieges wird sich Russland wohl nicht allein auf seine landgestützte Raketen beschränken, Russland verfügt beispielsweise auch über seegestützte Raketen, wo die Distanz-Frage eher zweitrangig ist.“

Und noch einen weiteren Punkt gibt Bruns zu bedenken: Man müsse nicht zwangsläufig die Meyer Werft angreifen, um die Schiffbauproduktion lahmzulegen. Russland verfüge auch über Kapazitäten für Cyber-Angriffe, etwa auf das Ems-Sperrwerk. Das wird derzeit genutzt, um den Fluss aufstauen und so die Überführung von Schiffen in Richtung Nordsee zu ermöglichen. Wenn das Sperrwerk nicht ausreichend gegen Hacker geschützt werde, „nützen auch die Werftkapazitäten an der Ems nicht mehr viel“, so Bruns.

Keine Mittel für neue Militärschiffe

Die Diskussion beschränkt sich indes häufig aufs Geld. Was bekannt ist: Derzeit hat der Staat keine Mittel übrig, die in neue Militärschiffe investiert werden könnten. Die Bundesregierung hatte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Ertüchtigung der Bundeswehr ausgelobt. Daraus sollen 8,9 Milliarden Euro in Marine-Projekte fließen. Das Geld ist komplett verplant. Die Marine-Werften in Deutschland sind auf längere Zeit ausgelastet. Die Überlegungen zur militärischen Nutzung der Meyer Werft greifen also nur dann, wenn zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt wird.

Auftragsbücher auf absehbare Zeit gefüllt mit Kreuzfahrt-NeubautenHeiko Messerschmidt, Schiffbau-Beauftragter bei der IG Metall Küste, verweist darauf, dass die Auftragsbücher der Meyer Werft auf absehbare Zeit gefüllt sind mit Kreuzfahrt-Neubauten. Aber: „Grundsätzlich halten wir es für richtig, dass die Bundesregierung mit dem Einstieg bei der Meyer Werft schiffbauliche Kapazitäten sichert, die in Deutschland insbesondere auch für die Sicherung der Energieversorgung und die Verteidigung benötigt werden.“

Aktuell gilt das aber vor allem an den ostdeutschen Meyer-Standorten: Auf dem Gelände der ehemaligen MV-Werften baut Meyer derzeit ein Kreuzfahrtschiff für Disney fertig. Nach Fertigstellung geht das Gelände an die Marine-Sparte von Thyssen-Krupp. In Rostock entsteht nahe der Neptun-Werft ein Nato-Umschlagspunkt. Den Dokumenten ist zu entnehmen, dass die Rostocker Werft in den Ausbau eingebunden werden soll.

Ein Faktor, den die EY-Analysten übrigens noch nicht in ihre Prüfung eingepriesen hatten: die erneute Wahl von US-Präsident Donald Trump. Bekanntermaßen will der, dass Nato-Partner wie Deutschland mehr Eigenverantwortung für ihre Sicherheit übernehmen. Das könnte auch bedeuten: die eigene Marine zu stärken.